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Die Templer in Bessarabien1

(Dieser Artikel ist Kleopha Fuchs, Schwester meines Ururgroßvaters Gabriel Fuchs, und Elisabeth Dorothea Bechtle, die Schwester meines Ururgroßvaters Christoph Wilhelm Bechtle, gewidmet)

 

Wanderprediger
Wanderprediger

Anfang der 1860er Jahre bereiste Johannes Lange, ein Mennonit aus Gnadenfeld an der Molotschna, auf seiner Rückreise in seinen Heimatort die 24 deutschen Mutterkolonien in Bessarabien.

Lange, der 3 Jahre lang die Evangelistenschule der Templer auf dem Kirschenhardthof im Königreich Württemberg besucht hatte, war begeistert von der Tempellehre und versuchte nun die deutschen Kolonisten in Bessarabien und Südrussland für die Tempellehre zu gewinnen und sie dazu zu bewegen aus der lutherischen Kirche auszutreten.

Lange verteilte nicht nur Flugschriften und Schriften von Christoph Hoffmann, Georg David Hardegg u.a., sondern auch das Sprachrohr der Templer „Die Warte des Tempels“, die Monatsschrift für offenes Christen-tum.

Erfolg hatte Lange allerdings nur in den schwäbischen Separatistenkolonien Gnadental (heute: Dolynivka), Lichtental (heute: Svitlodolyns'ke) und Sarata.

Neben den Separatisten aus Württemberg gab es noch die Mennoniten an der Molotschna und in Igren bei Jekaterinoslaw, aus der sich die Templer in Russland rekrutierten.

 

Gnadental in Bessarabien
Gnadental

Im Frühjahr des Jahres 1866 kam der pietistische Pfarrer Friedrich Schock aus Hoffnungstal2 (heute: Zebrikowe) im Glückstaler Kolonistenbezirk nach Gnadental in Bessarabien und gründete dort, wie in Lichtental, eine Tempel-ortsgruppe. Schock, geb. 1830 in Talheim bei Tübingen, war 1857 mit seiner Frau Katharina, seinem Sohn Johann, seinen Eltern und Geschwistern nach Hoffnungstal (heute: Zebrikowe) im Glückstaler Kolonistenbezirk ausgewandert, schloss sich dann der Tempelgesellschaft an, was seine Landesverweisung bewirkte, und zog dann als Tempelprediger nach Gnadental in Bessarabien.

 

Lichtental
Lichtental

Leiter der Tempelorts-gruppe in Gnadental wurde Andreas Fickel3. In seinem Haus wurden fortan die Versammlungen der Gruppe abgehalten. Mitglieder waren Karl Roth4, Salomon Singer5 und David Singer.

In Lichtental wurde Samuel Hahn6 als Leiter eingesetzt. In seinem Haus trafen sich die Anhänger zu Versammlungen. Mitglieder waren Christian Messerle7, Gottlieb Steudle8, Jakob Schreiber9, Daniel Strecker10, Christian Fickel11, Georg Müller12 und Friedrich Aldinger13.

 

Beide Leiter, Andreas Fickel und Samuel Hahn, nahmen Verbindung mit der Zentralverwaltung der Tempelgesellschaft in Kirschenhardthof auf.

Schon 1856 konnte man in der „Warte“ lesen, weder der Bergungsort Russland, den die Auswanderer 1816/17 gesucht hatten, noch der in Amerika sei vor dem modernen Verkehr sicher. „Babel14“ breite sich unaufhaltsam aus. Doch nur ein nach Gottes Willen geordnetes Gesellschaftsleben könne die sozialen Probleme lösen und dem Abfall vom „Mosaischen Glauben“ widerstehen.

 

Jerusalem vom Berg Zion aus gesehen
Jerusalem vom Berg Zion aus gesehen (1849)

Den Wunsch in Süd-russland eine Templer-kolonie zu gründen, war kaum machbar, da sie bald erkannten, dass sie in ihrer bisherigen Zer-streuung (Bessarabien, Molotschna, Igren bei Jekaterinoslaw) zu keiner erfolgreichen Entwick-lung kommen würden und überall nur Antipathie und Bedrückung zu erwarten hätten.

Die eigentliche Absicht der Jerusalemfreunde war, sich in Palästina zu sammeln, wo nach der Weissagung der Propheten das Volk Gottes seine Heimstätte haben werde. Da das zu den Osmanen gehörende Palästina zu dem Zeitpunkt wenig zugänglich war und, weil sie für ein Volk Gottes noch fähig werden mussten, fanden sie es für passend, sich diesem Ziel wenigstens anzunähern und sich vorläufig in dem seit Ende des 18. Jahrhunderts zu Russland gehörenden Kaukasien zu sammeln und zu einer Gemeinde zu verschmelzen. Über Zentralasien wollte man dann, wenn die Zeit günstig war, nach Palästina.

Da ihnen die neue Gegend unbekannt war, sowohl was die Bodenbeschaffenheit als auch die klimatischen Verhältnisse anbelangt, und da auch viele glaubten, es lohne sich nicht Land zu kaufen, da Palästina bald zugänglich werde, sollte nur Land gepachtet werden.

bei Pjatigorsk
bei Pjatigorsk

In Absprache mit den mennonitischen „Jerusalem-freunden“ aus Gnadenfeld an der Molotschna wurden im Herbst 1866 die Vertrau-ensmänner Paul Friedrich Tietz, Johann Dreher und Albrecht Dück, in den Kaukasus geschickt, um mehrere den Tscherkessen abgenommene Ländereien zu besichtigen. Sie fanden ein unbesiedeltes und völlig unkultiviertes Land, 10.000 Desjatinen groß (10.925 ha), das dem georgischen (grusinischen) Fürsten Orbeljani aus Tiflis gehörte und ihnen am günstigsten schien. Es lag an den Ufern des Flusses Kuma, nur 35 km nordöstlich von der Badestadt Pjatigorsk entfernt.

bei Orbeljanowka
bei Orbeljanowka

Im Frühjahr 1867 reiste eine Kommission dorthin. Es waren Härter, Johann Christian und Andreas Fickel aus Bessarabien, Johann Schmidt, Johannes Lange und Abraham Dück von der Molotschna, sowie Johann Gutwein und Paul Tietz aus Igren bei Jekaterinoslaw. Gegen eine Zahlung von 25 Kopeken pro Desjatine jährlich konnten sie mit Orbeljani einen günstigen Pachtvertag auf 30 Jahre abschließen.

So war es dem übereinstimmenden Zusammenwirken der aus so verschiedenen Elementen zusammengewürfelten Gesellschaft gelungen, sich, wenn auch nur auf beschränkte Zeitdauer, einen Wohn- und Bergungsort zu schaffen, an dem sie nun von außen unangefochten und auf sich selbst angewiesen, sich nach freier Überzeugung einrichten und nach selbst gefassten geistigen Zielen entwickeln konnte.

 

Die Gesamtfläche wurde in zwei Teile zu je 5.000 Desjatinen aufgeteilt. Zu Ehren des Besitzers Orbeljani erhielt die erste Kolonie den Namen Orbeljanowka (Orbel'yanovka), die zweite Sied-lung sollte dann Tempelhof (Prikumskoye) heißen.

Während sich in Orbeljanowka die Jerusalemfreunde aus Bessa-rabien sammeln sollten, sollten sich in Tempelhof die menno-nitischen Templer aus dem Gouvernement Taurien ansiedeln.

 

Am 25. März 1868 wurde vom Ausschuss und Ältestenrat der Tempelgesellschaft auf dem Kirschenhardthof beschlossen, die Ansiedlung der Templer in Palästina in Angriff zu nehmen.

mehr zum Aufbruch der ersten Templerfamilien Aufbruch der ersten Templerfamilien
deutsche Häuser in Gnadental
deutsche Häuser in Gnadental

Auch die Vorsteher Andreas Fickel in Gnadental und Samuel Hahn in Lichtental und ihre Anhänger erhielten die Anweisung, ihr Vermögen (Haus und Hof, Land, Hausrat, Geräte, Haustiere u. a.) so schnell wie möglich zu verkaufen und sich mit einer Wagenkolonne auf dem Landweg nach dem Zufluchtsort Orbeljanowka in Marsch zu setzen.

Die Jerusalemfreunde kamen der Aufforderung nach, trafen alle Vorbereitungen, um den Marsch sobald wie möglich nach dem angeordneten Ziel antreten zu können. Von dort wollten dann manche in die zeitgleich entstehenden Templerkolonien in Palästina weiterziehen. Nur eine Familie weigerte sich, es war Friedrich Aldinger13 aus Lichtental.

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Anmerkungen

1 Zur Realisierung dieses Artikels geht ein besonderer Dank an Peter Lange, Genealoge und Leiter des Archivs der Tempelgesellschaft.

2 Hoffnungstal (ukrainisch: Цебрикове/Zebrykowe; russisch: Цебриково/Zebrikowo) wurde 1819 von 64 Familien aus Württemberg (aus den Oberämtern Waiblingen, Backnang, Marbach, Kirchheim, Esslingen gegründet.
Es waren Chiliasten, die im Mai und Juni 1817 nach Ulm abreisten, von wo aus sie auf der Donau über Wien, Ofen, Orsowa und Galatz nach Monaten in Odessa ankamen. Sie wollten an den Bergungsort im Südkaukasus, in der Nähe des Berges Ararat.
Hunderte der Auswanderer waren während der Quarantäne in Ismajil durch tödliche Krankheiten hingerafft worden und noch viele unterlagen nach ihrer Ankunft in Odessa einer Epidemie, sodass von vielen Familien nur einzelne Witwen und Waisen, von manchen aber auch gar keine Familienmitglieder übrig blieben.
Aufgrund der unsicheren Lage im Kaukasus wollten die russischen Behörden die zukünftigen Kolonisten nicht weiterziehen lassen, so dass 300 Familien den Entschluss fassten, sich bei Odessa niederzulassen. 64 Familien erhielten 90 Kilometer nordwestlich von Odessa in dem kleinen Dorf Zebrik im Tal des Maly Kujaknikim im Gebiet Glückstal Land zur Besiedlung des zuvor von bulgarischen Kolonisten errichteten und unvollendeten Ortes.
In einer allgemeinen Versammlung beschloss man 1819 der neuen Mutterkolonie den Namen Hoffnungsthal/Hoffnungstal zu geben, im Hinblick auf die bei der Auswanderung gehegten Hoffnungen einer glücklichen Zukunft. Die Gründerfamilien waren: Ackermann, Aikele, Alber, Aldinger, Attinger, Bahmuller, Bamesberger, Bauder, Bauer, Baumann, Beck, Beutel, Binder, Birkle, Bitsch, Blumbardt, Bollinger, Bonekemper, Breisch, Brose, Diegel, Dobler, Ehrmann, Eider, Eisenmann, Ensinger, Erlenbusch, Fiechtner, Fischer, Fritz, Gall, Georg, Hagenlocher, Harsch, Heer, Heiser, Hilt, Hoffmann, Holzwarth, Kaup, Kienzle, Klopfer, Klotz, Knecht, Knoll, Konrad, Kubler, Kunz, Lachenmeier, Leibbrandt, Lutz, Mauch, Mauser, Metzger, Meyer, Murschel, Naher, Off, Ormann, Ottenbacher, Raff, Reuer, Rosin, Rub, Ruess, Sauer, Schaffert, Schick, Schick, Schlecht, Schlichenmeyer, Schmied, Schock, Schwaderer, Siegle, Steinbach, Stocker, Troster, Wagner, Wagner, Wall, Weiss, Weller, Wohlgemuth, Zick und Zweigardt.

3 Andreas Fickel, *1826 in Hausen (Brackenheim), war schon 1830 mit seinen Eltern (Daniel Fickel, *21.10.1790 in Hausen (Brackenheim) und Christina Klara Klooz, *11. September 1789 in Hausen) und seinen Geschwistern nach Gnadental ausgewandert.

4 Karl Friedrich Roth, *1829 in Kornwestheim war mit seinen Eltern (Johann Georg Roth, *1804 in Kornwestheim und Maria Agnes Bauer, *25.4.1801 in Lustenau) und seinen Geschwistern schon 1838 nach Gnadental ausgewandert.

5 Salomon Singer (jun.), *1830 in Korb, Waiblingen war der Sohn des chiliastisch gesinnten Weingärtners Salomon Singer (senior), *1778 in Korb. 1833 wanderte er mit seiner Frau Anna Maria Gruber, *1799 in Korb, und seinen 4 in Korb geborenen Kindern (Anna Maria, *1825, Johann Georg, *1828, Salomon, *1830 und Johann David, *1832) nach Gnadental in Bessarabien aus.
1854 heiratete Salomon (jun.) in Sarata Anna Barabara Föhl. Aus der Ehe gingen 5 Kinder (Christina Katharina, *1855; Johann Christian, *1856; Joseph Salomon, *1858; Wilhelm, *1861; Johann Joseph, *1863;) hervor.

6 Samuel Hahn, *31.7.1819 in Strümpfelbach, Oberamt Schorndorf war mit seinen Eltern, dem Weingärtner Samuel, *20.12.1765 in Strümpfelbach und Barbara Rommel, *21.6.1777, und seinem Bruder nach Lichtental ausgewandert.

7 Christian Messerle, *2.6.1807 in Kornwestheim war schon 1836 nach Sarata ausgewandert.

8 Gottlieb Friedrich Steudle, *24.11.1843, Sohn des Georg David, *8.12.1806 in Herbrechtingen und der Christina Deiss, *29.12.1807 in Schnaidt. Gottliebs Vater, Georg David war schon 1820 mit seinen Eltern (Vitus, *28.1.1770 in Herbrechtingen, Maurer von Beruf, und Ester Dorothea Rahn, *25.1.1768) und seinem Bruder Johann, *13.10.1810 dem Aufruf des charismatischen katholischen Pfarrers Ignaz Lindl gefolgt und nach Russland ausgewandert, um mit ihm und anderen Anängern 1822 die Mutterkolonie Sarata zu gründen. 1840 zog die Familie nach Lichtental.

9 Jakob Schreiber, *9.9.1828 in Kirchberg/Murr war schon 1838 mit seinen Eltern (Georg Jakob, *14.8.1804, gest. 23.12.1828 und Sophia Katharina Stapf, *5.7.1776) nach Lichtental ausgewandert.

10 Daniel Strecker, *17.12.1813 in Kirchberg/Backnang, war schon 1840 nach Lichtental ausgewandert.

11 Johann Christian Fickel, *25.12.1842 in Lichtental, war der Neffe des schon obengenannten Andreas Fickel, *1826 in Hausen (Brackenheim). Seine Großeltern (Daniel Fickel, *21.10.1790 in Hausen (Brackenheim) und Christina Klara Klooz, *11.9.1789 in Hausen) mit ihren Kindern waren schon 1830 nach Gnadental ausgewandert.

12 Georg Müller, *8.11.1803 in Kirchberg/Murr, war schon 1833 mit seinen Eltern (Georg, *1796 in Kirchberg; Mutter unbekannt), nach Lichtental ausgewandert.

13 Johann Friedrich Aldinger, *7.2.1820 in Fellbach, war schon 1829 mit seinen Eltern (Johann Georg Aldinger, *24.7.1788 in Fellbach, Weingärtner von Beruf, und Euphrosine Beck, *14.6.1788 in Stetten/Waiblingen) nach Gnadental ausgewandert.1843 zog die Familie dann nach Lichtental.

14 Babel = in der von der Offenbarung des Johannes (17 und 18) geprägten christlichen Symbolik gilt Babel als gottesfeindliche Macht und Hort der Sünde und Dekadenz. Die Hure Babylon ist eine der biblischen Allegorien für die Gegner der Gläubigen im Allgemeinen und das römische Weltreich im Speziellen. Martin Luther deutete das ihm verhasste Papsttum als Hure Babylon.