Du bist in: Deutsche in Russland > Die Deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet im 20. Jahrhundert

Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet

(Teil 2 von 2)

Der 1. Weltkrieg

Oskar Winkler, Sohn  deutscher Kolonisten aus Sarata
Oskar Winkler,
Sohn deutscher Kolonisten aus Sarata,
in russischer Uniform um 1915
(mit Genehmigung der Fam. Winkler)

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges begann eine schwierige Zeit für die deutschen Kolonien in Russland.

Vom ersten Tag des Krieges an wurden die deutschen Kolonisten in die russische Armee eingezogen. Es war kurz vor der Erntezeit, während der alle energisch zupacken mussten. Den Ausfall der jungen Männer, die ihre Familien verlassen mussten, um in den Dienst des Vater-landes Russland zu treten, fühlten alle sehr stark.

Es dienten mehr als 100.000 deutsche Soldaten in der zaristischen Armee.

Ungewollt wurden allerdings Verfügungen getroffen, die sich dann für die Deutschen als günstig erwiesen haben.

1. Weltkrieg: Schlacht an den Masurischen Seen
1. Weltkrieg: Schlacht an den Masurischen Seen

Wenn zu Anfang des Krieges viele Deutsche an der Westfront gegen Deutschland/Österreich kämpften, von denen nicht wenige im September 1914 bei den Kämpfen an den Masurischen Seen in deutsche Gefangenschaft gerieten, wurden sie kurze Zeit später aus 'Sicherheitserwägungen' in besondere Einheiten, meist Arbeiter- und Pionier-bataillonen, zusammen-gefasst, von der Westfront abgezogen und in den Kaukasus geschickt, wo die Zarenarmee den Truppen des osmanischen Sultans gegenüber stand. An dieser Kaukasusfront starben mehr an Typhus und Seuchen, als an den feindlichen Kugeln.

Die daheimgebliebenen Frauen, Kinder, Großväter und Großmütter mühten sich um den Hof und die Wirtschaft zu halten. Requirierungen, an Futter- und Brotgetreide, an Vieh und Pferden, an Fuhrwerken und Pferdegeschirr nahmen kein Ende. Junge Burschen und sogar Mädchen mussten in Steinbrüchen, Schotterwerken und am Straßenbau oder beim Schanzengraben schwerste Männerarbeit verrichten. Militärische Einquartierungen saugten die gequälten Einwohner der deutschen Dörfer bis aufs letzte aus und ein russischer Offizier soll bewundernd gesagt haben:

„Nein, diese Deutschen! Ihre Dörfer sind unerschöpflich! Da kann man holen und holen, ohne Ende!"

Fieß Christian: Heimatbuch Sarata 1822-1940, Mühlacker, 1979, S. 178;

 

Wie überall sollten die darauffolgenden Kriegsjahre aber noch viel Härteres bringen.

Kulaken raus!
Kulaken raus! (Plakat aus dem Jahr 1931)

Mit Kriegsbeginn, nach an-fänglichen militärischen Erfolgen der russischen Armee an der Westfront und den darauf-folgenden großen militärischen Niederlagen, den fürchterlichen Verlusten an Menschenleben und den wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten verschärfte sich die seit 1861 begonnene Hetze gegen die Russlanddeutschen. Aus den anfänglichen "Muster-wirten" wurden sie als Kulaken1, "friedliche Eroberer" und vermeintliche 'Helfer' Deutsch-lands diffamiert.

„Die Deutschen in Rußland treiben Spionage im Interesse des deutschen Heeres und stehen mit diesem und mit der deutschen Regierung in regem Verkehr."

aus: Susanne Janssen: Vom Zarenreich in den amerikanischen Westen: Deutsche in Russland und Russlanddeutsche in den USA (1871-1928), LIT Verlag, Münster, 1997, S. 264;

Es begann ein Russifizierungsprozess. Ein Erlass vom 18. August 1914 verbot die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit. Überall durfte nur noch Russisch gesprochen werden. Wer dagegen verstieß musste entweder 3.000 Rubel (zirka 6.000 Reichsmark) bezahlen oder eine Gefängnisstrafe von 3 Monaten absitzen.

....Wer sich der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit bediente, musste immer eine Strafe befürchten. - Als ich einmal auf dem Kasernenhof meinen Freund Graumann auf Deutsch fragte, wann er in Urlaub fahre, da war es um uns beide schon geschehen. Ein Offizier einer anderen Kompanie hörte beim Vorübergehen unsere Unterhaltung, hielt kurzerhand an, gab einem jeden von uns eine herbe Ohrfeige und ging fluchend weiter. Es blieb uns Entrechtenden nichts anderes übrig, als die Schläge zähneknirschend einzustecken......

Karl Ziegler: Chronik der Gemeinde Gnadenfeld (Bessarabien), 1963, S. 113;

Ab Oktober 1914 wurde verfügt, deutsche Ortschaften im gesamten Reich umzubenennen.

Mikhail Isaevich Ebelov
Mikhail Isaevich Ebelov

Schon im November 1914 untersagte der Truppen-kommandant des Militärgebiets Odessa M. I. Ebelov

jegliche Versammlung von Deutschen auf der Straße von mehr als 2 Personen und das Abhalten von Gottesdiensten in deutscher Sprache. Nur noch Gebet und Gesang waren im Gottesdienst in deutscher Sprache erlaubt. Die "Vorposten Wilhelm II.", wie die Deutschen genannt wurden, mussten sich jede Beschimpfung gefallen lassen. In den Kirchen wurden die Dielen aufgerissen, weil angeblich deutsche Maschinengewehre durch deutsche Flieger heimlich hergebracht und unter den Dielen versteckt worden wären.

1915 wurde dann auch die Veröffentlichung deutscher Zeitungen und Bücher verboten und am 14. Juli 1915 wurden die deutschen Schulen geschlossen. Die deutschen Lehrer erhielten ein Schreiben der Schulbehörde, dass sie nicht den Anforderungen entsprächen, die an einen russischen Lehrer zu stellen sind und ab sofort entlassen seien. Kurz darauf wurden sie einberufen.

barrabarrabarra

zurück 1 2 3 weiter

Anmerkungen

1 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.