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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet
Die Februarrevolution
Demonstration in Petrograd 1917
In den ersten Wochen des Jahres 1917 zerbrach die Einheit Monarch und Volk endgültig. Aufgrund der militärischen Niederlagen, der Versorgungsnot im Reich und der Unzufriedenheit der Bevölkerung kam es landesweit zu Arbeiteraufständen und Meutereien der Soldaten. Mitte Februar 1917 spitzte sich die Lage in der Regierungshauptstadt Petrograd1 drastisch zu. Es kam zu Massenversammlungen, Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen über 40 Demonstranten erschossen wurden. 200.000 Arbeiter antworteten am 25. Februar auf die Versorgungsschwierigkeiten mit einem Generalstreik. Mit dem Ruf „Nieder mit dem Krieg! Schluss mit der Autokratie! Gebt uns Brot, wir verhungern, wir brauchen Brot!“2 drangen sie bis ins Stadtinnere vor.
Alexander Apsit: Zar, Geistlichkeit und Reiche werden von der arbeitenden Klasse getragen
Die militärische Führung wusste, was der Streik bedeutete, denn 200.000 Arbeiter im Ausstand konnte mitten im Krieg nicht auf die leichte Schulter genommen werden. In Petrograd lagen wichtige Teile der Rüstungsindustrie und wenn sie ausfielen, würde der Nachschub für die Front noch problematischer werden, als er ohnehin schon war. Die Zeitungen stellten ihr Erscheinen ein und die Versorgung brach zusammen. Ein einigendes, organisatorisches Zentrum war nicht mehr vorhanden. Im Hauptquartier war der Zar von den Fragen der Kriegsführung überfordert. Die Reichsduma3 war entlassen und ihre Sitzungen waren auf den 27. Februar vertagt.
Unruhen in Petrograd
Auf Befehl des Zaren wurden schließlich die Kosaken mobilisiert, um den Aufstand zu unterdrücken; die aber blieben neutral oder verbrüderten sich offen mit den Aufständischen.
Als Zar Nikolaus II. am 25. Februar der aus ungefähr 160.000 Mann bestehenden Petrograder Garnison befahl, den Aufstand niederzuschlagen, fielen zunächst einige unbewaffnete Arbeiter im Kugelhagel; trotzdem zogen sich die Demonstranten nicht zurück, bis sich schließlich Teile der Truppen auf die Seite der Arbeiter schlugen und sich weigerten, weiter auf das Volk zu schießen. Am 27. Februar/12. März setzte sich die Revolution in der Hauptstadt durch. Regiment auf Regiment der Petrograder Garnison schlug sich auf die Seite des Volkes und innerhalb von 24 Stunden war die gesamte Garnison bis auf einige hundert Soldaten zu den Aufständischen übergegangen. Die Regierung erkannte ihre Machtlosigkeit und trat geschlossen zurück.
Nestor Machno
Unzählige Massen von Soldaten und Arbeitern wälzten sich aufgeregt durch die Straßen. Sie schrien, umarmten sich und waren völlig aufgelöst in Freude und Begeisterung über den seit 100 Jahren ersehnten Sieg über das System, über die „Bourgoisie“, über das vom Volk so lange ertragene angeblich schreckliche Unrecht.
Das Volk taumelte in Glück und Seligkeit; überall strahlte die Erfüllung, die Vollendung.
Die Truppen öffneten das Arsenal und gaben es der Stadtbevölkerung frei. Die Menge öffnete die Gefängnisse und befreiten die Gefangenen, unter denen auch Nestor Machno, der spätere Anführer der anarchistischen Bauern- und Partisanenbewegung (Machnobewegung oder Machnowschtschina), war.
ausgebranntes Polizeigebäude
Das Hauptquartier der Politischen Polizei wurde angezündet.
Die erste Freude und Begeisterung, das Bewusstsein der nunmehr erhaltenen Macht und der Trieb, diese Macht nun auch zu zeigen und zu gebrauchen, artete bald in eine Unordnung, in ein Chaos ohnegleichen aus. Es kam zu Gewalttaten, Verhaftungen, Verhören, Schießereien, Hinrichtungen, Übergriffen auf deutsche Kolonien, zu kleineren und größeren Straßenkämpfen zwischen Arbeitern und Soldaten, zwischen einzelnen Personen und politischen Abteilungen.
Barrikade während der Februarrevolution
Bald gab es im ganzen Land kein öffentliches oder privates Gebäude das nicht die Spuren dieser Kämpfe trug, kein Haus ohne Kugel-einschläge oder sonstige Spuren der Zerstörung. Man schoss und schoss, überwiegend auf einiger-maßen gut gekleidete Menschen, wie Beamte, Ärzte, Lehrer und Professoren. Ein sehr großer Teil der russischen Intelligenz fiel diesem unüberlegten hemmungs-losen Wüten in den ersten Tagen und Wochen nach der Revolution zum Opfer.
Nikolaus II. mit seiner Familie
Der Zar war und blieb handlungsunfähig. Unter dem Druck der Ereignisse unterzeichnete Zar Nikolaus II. am 2. März/15. März 1917 die Abdankungsurkunde. Der russische Hof wurde aufgelöst. Damit hatte die Februarrevolution ihr Ziel erreicht. Zusammen mit seiner Familie wurde Zar Nikolaus II. zuerst nach Jekaterinburg am Uralgebirge verbannt und dann im weiteren Verlauf der Revolution in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 von den Bolschewiken4 ermordet.
Die Mehrheit der russischen Deutschen, die unter den Verunsicherungen ihrer Existenz in der letzten Phase der Zarenherrschaft gelitten hatten, begrüßten den revolutionären Umsturz und die aus ihm hervorgegangene Provisorische Regierung mit Jubel und Zuversicht.
1 Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegen die deutsche Bevölkerung, sodass die russische Regierung eine Reihe besonderer Vorsichtsmaßnahmen ergriff. So wurde der deutsch klingende Name der Hauptstadt St. Petersburg am 18. August 1914 in Petrograd (Petersstadt) umbenannt. Nach Lenins Tod 1924 wurde die Stadt am 26. Januar 1924 in Leningrad umbenannt. Nach einer Volksabstimmung im Jahr 1991 bekam die Stadt ihren ursprünglichen Namen: St. Petersburg.
2 Jones Stinten: „Russland in Revolution - By an eye-withness“, H. Jenkins Ltd, London SW 1917, Seite 79f;
3 Reichsduma nannte man die gewählte Volksvertretung, die von Nikolaus II. 1905 eingesetzt wurde.
Die 1. Reichsduma, 1906 in indirekten und ungleichen Wahlen entstanden, forderte unter der Führung der konstitutionellen Demokraten (Kadetten) grundlegende Konzessionen vom Zaren und wurde deshalb 1907 durch letzteren aufgelöst.
Die 2. Reichsduma von 1907 setzte sich vorwiegend aus Sozialrevolutionären und Sozialdemokraten zusammen (viele gemäßigte Abgeordnete der 1. Reichsduma waren nach Finnland geflohen und/oder boykottierten die neuen Wahlen). Da die 2. Reichsduma ebenfalls nicht bereit war, die geforderten Konzessionen aufzugeben, wurde auch sie durch den Zaren aufgelöst.
Nach der Einführung eines ungleicheren Wahlrechtes setzte sich die 3. Reichsduma (1907-12) aus gemäßigten Kräften zusammen und überstand als erste eine ganze Wahlperiode. Kooperativer, konnte sie einige wenige Reformen gegen den Zaren durchsetzen (Agrarreformen, Grundlagen für eine allgemeine Schulpflicht).
Die 4. Staatsduma (1912-17) konnte ihre Tätigkeit schließlich kaum noch wahrnehmen, da die Regierung praktisch jegliche Zusammenarbeit mit ihr ablehnte.
4 Bolschewiki = ist eine ehemalige Bezeichnung für Parteimitglieder der KPdSU (Kommunistische
Partei der Sowjetunion). Der Begriff entstand 1903 auf dem zweiten Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands ( SDAPR ) in London. Die Anhänger Lenins stellten auf diesem Parteitag die Mehrheit (russ. bolschinstwo ) weswegen sie Bolschewiki genannt wurden. Die Minderheit (russ. menschinstwo ) nannte man Menschewiki.
Die Bolschewiki waren wesentlich radikaler als die anderen Teile der Partei. Sie strebten den baldigen Sturz des Zaren und die damit verbundene Einführung des Kommunismus an. Die Menschewiki verfolgten zwar das selbe Ziel wollten aber erst ausreichende Reformen einleiten.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs verurteilten die Bolschewiki eine Teilnahme Russlands als imperialistische Aggression. Sie gewannen stark an Zuwachs als die Truppen des Zaren
an fast allen Fronten Rückschläge hinnehmen mussten.
In der Oktoberrevolution von 1917 wurden sie die stärkste Macht im Lande. Der aus dem Exil zurückgekehrte Wladimir Iljitsch
Lenin übernahm die Führung der Kommunisten. Seine Macht basierte teilweise auf der Unterdrückung seiner Gegner.
Lew Trotzki, Volkskommissar für das Kriegswesen, formierte nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk, den er als persönliche Niederlage betrachtete, die Rote Arbeiter- und Bauernarmee mit der er erfolgreich im russischen Bürgerkrieg (1917/18-1920) gegen die zaristisch-bürgerlichen Weißen, vorgehen konnte.
Bis 1922 schafften es die Bolschewiki fast den gesamten Osten des riesigen russischen Reiches zu kontrollieren. Damit verbunden war der so genannte Kriegskommunismus eine Wirtschaftspolitik die alle Unternehmen unter staatlicher Kontrolle stellte. Weitere repressive Maßnahmen führten zu extremen Versorgungsengpässen und damit auch zu Aufständen innerhalb der Bevölkerung.
Nach 1918 nannten sich die Bolschewiki "Kommunistische Partei und ab 1925 Kommunistische Partei der Sowjetunion mit dem Anhang (Bolschewiki). Im eigenen Land nahmen besonders zu Stalins Zeiten Repressalien gegen die sowjetische Bevölkerung zu. Die Geheimpolizei unterdrückte jede Opposition und bei Säuberungsaktionen wurden viele Kritiker und potenzielle Feinde verhaftet und getötet. Auf diese Art und Weise beherrschten die Kommunistische Partei lange Zeit das Land.