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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet

(Teil 3 von 3)

Die Liquidationsgesetze

Nikolaus II.
Nikolaus II.

Den Höhepunkt dieser Kampagne bildeten die ohne das Parlament verabschiedeten Liquidationsgesetze des Zaren Nikolaus II. vom 2. Februar 1915, ausgedehnt auf Bessarabien am 13. Dezember 1915, laut denen allen österreichischen, ungarischen, türkischen und deutschen Staatsangehöri-gen sowie russischen Untertanen, die aus Österreich, Ungarn und Deutschland stammten, Grundbesitz und Bodennutzung untersagt werden sollte.
Diese Verordnungen betrafen Grundbesitz und gepachtete Ländereien innerhalb eines Gebietsstreifen von 150 km entlang der Westgrenze zu Deutschland und Österreich-Ungarn und 100 km entlang der Ostsee, des Schwarzen-, des Asowschen- und des Kaspischen Meeres.

Die Betroffenen (bessarabische Juden inbegriffen) sollten liquidiert werden, d.h. dass alle (ausgenommen waren Personen orthodoxen Glaubens oder slawischer Nationalität sowie Personen und deren Angehörige, die als Offiziere oder Freiwillige in der Armee dienten) nach Sibirien verpflanzt (deportiert) und ihr Besitz unentgeltlich abgenommen werden sollte.

 

Davon ausgenommen war vorerst das bei der Ansiedlung von der russischen Krone zugeteilte „Kronsland“.

Die Durchführung dieser Gesetze hatte den wirtschaftlichen Ruin und die Vertreibung von rund 200.000 zur Folge. Allein in Wolhynien wurden bis zum Sommer 1915 etwa 60% der deutschen Bevölkerung (ca. 120.000 Menschen) ins Landesinnere (nach Sibirien und dem Südosten des Russischen Reiches) deportiert.

„Nächst Samara ist Saratow der Hauptort für Flüchtlinge. Schon allein die Nähe der vielen deutschen Kolonien hatte den Zug der Flüchtlinge nach diesenm Wolga-Znetrum geführt.... Sie kamen hier in einem nicht zu beschreibenden Elende an; waren doch die Meisten einfach von Haus und Hof gejagt worden, ohne daß ihnen die Möglichkeit geboten ward, auch nur das Notdürftigste an Sachen und Geld mitzunehemen. ….Kaum war diese schwere Flüchtlingswelle über Saratow hingegangen, als eine zweite in die Stadt einflutete: die Flüchtlinge aus unserem eigenen Reich; die Meisten aus den Gouvernments Warschau, Plozk, Lublin, dazu 10% Wolhynier. … Viele, zu Hause im gesicherten Besitz von eigenem Grund und Boden, von altem väterlichen Gut in schönen Häusern, von Ackergeräten, von Vieh und Pferd, waren über Nacht zu Bettlern und landesberaubten 'Verschickten' geworden; über ihnen lag der Verdacht der Spionage; deshalb waren sie alle straffällig und deshalb mit dem Schein von Fug und Recht hinausgestoßen in die Steppen des Ostens; dort konnten sie jedenfalls dem Reiche nicht mehr gefährlich werden! Wie sehr diese Maßnahmen der Regierung die treuen Gemüter unserer Kolonistenerbittert haben, bezeugt die Tatsache, daß, als die Regierung sie als 'Flüchtlinge' einregistrieren wollte, von den etwas 5500 Personen, die nach Saratow kamn, nur 3500 darauf eingingen: sie wollten lieber auf jede Regierungsunterstützung verzichten als damit zugeben, daß sie aus freim Willen Scholle und Herd verlassen haben. Sie glaubten damit zugleich eine Rechtsverwahrung gegenüber der Regierung auszuführen, die ihnen hernach die Berechtigung, eine entsprechende Entschädigungsforderung bei der Regierung anhängig zu machen..."1

 

Wolhyniendeutsche bei der Zwangsumsiedlung
Wolhyniendeutsche bei der Zwangsumsiedlung

Das Damoklesschwert hing auch über den Bessarabien-deutschen. Jeden Tag warteten sie angstvoll, dass der Befehl zum Abtransport eintreffen würde. Die wichtigsten Kleidungs-stücke und haltbare Lebensmittel standen verpackt da, weil sie ahnten, dass sie nach Eintreffen des Ausweisungsbefehls wenig Zeit bis zum Abtransport gehabt hätten.

Dass es dann nicht mehr zur Ausweisung kam, haben die Bessarabiendeutschen dem schweren Winter zu verdanken und, dass 1917 in Russland die Februarrevolution ausbrach. Das bedeutete aber noch lange nicht, dass nun rosige und friedliche Zeiten bevorstanden. Die Lage in Russland war äußerst gespannt und spitzte sich immer mehr zu. Die mangelnde Versorgungslage und die fehlenden Reformen in Russland heizten die Stimmung gegen das Zarentum immer mehr auf. Täglich kam es zu Massenprotesten, Demonstrationen, Hungermärschen und Streiks. Russland glich einem Pulverfass und der Moment für einen offenen Aufstand war gekommen.

 

Die antideutsche Politik führte vom 27. bis 29. Mai 1915 zu einem Pogrom gegen die als potenzielle „Ungeheur, Schmarotzer und Spione“ abgestempelte deutsche Bevölkerung Moskaus, das auch in anderen russischen Städten, wie Petrograd, Astrachan, Odessa, Charkow und Nowgorod große Resonanz fand.

28. Mai 1915: Die Demonstration auf der Twerskaja-Straße in Moskau, verwandelte sich in ein Massaker
28. Mai 1915: Die Demonstration auf der Twerskaja-Straße in Moskau, verwandelte sich in ein Massaker

 

„Im zweiten Sommer des Großen europäischen Krieges, Ende Mai 1915, kam es in der alten Hauptstadt des ehemaligen russischen Staates, in Moskau, zu einem grandiosen Pogrom. Man schlug die Deutschen …. man hätte zweitausend Deutschen die Kehle durchgeschnitten...“

Victor Dönninghaus: Die Deutschen in der Moskauer Gesellschaft, Symbiose und Konflikte (1494-1941), Oldenbourg Verlag, München, 2002, S. 373;
Mai 1915: Reste eines Ladens nach dem antideutschen Pogrom
Mai 1915: Reste eines Ladens nach dem antideutschen Pogrom

475  unterschiedliche Betriebe und 217  Häuser und Wohnungen wurden vollständig oder teilweise zerstört. Der Schaden wurde auf eine Summe von ca. 30 Millionen Rubeln beziffert. Pogrome dieses Ausmaßes wurden von den Behörden später nicht mehr geduldet, aber die Verordnungen über die Liquidierung deutschen Grundbesitzes und deutscher Bodennutzung wurden Schritt für Schritt auf andere Gouvernements ausgeweitet und hatten im Februar 1917 das gesamte Territorium Russlands erfasst. Nur der Sturz der Selbstherrschaft verhinderte deren vollständige Umsetzung.

 

Im März 1916 wurde mit Genehmigung Nikolais II. das Sonderkomitee zur Bekämpfung der deutschen Vorherrschaft gebildet.

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Anmerkungen

1 Pastor W. Fehrmann: Bei den Flüchtlingen (Reisebericht), in: Pastor Immanuel Winkler, Kalender für die deutschen Kolonisten in Rußland auf das Jahr 1918, Petrograd, 1917, S. 64;