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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet

zur Zeit der Provisorische Regierung

(Teil 1 von 3)

Georgi Jewgenjewitsch Lwow
Georgi Jewgenjewitsch Lwow

An die Stelle der Zarenherrschaft bzw. Zarenregierung trat zunächst ein Nebeneinander von Parlament (Duma1) und Arbeiter- und Soldatenräten (russ. Sowjet). Die Duma setzte eine Provisorische Regierung ein, die eine neue Verfassung erarbeiten sollte. Die Räte bzw. Sowjets kontrollierten die Entscheidungen der Provisorischen Regierung, die zunächst von Georgi Jewgenjewitsch Lwow und ab Juli 1917 von Alexander Fjodorowitsch Kerenski gelenkt wurde.

Die Zusammensetzung der Provisorischen Regierung weckte unter den russischen Deutschen neue Hoffnung. Unter Ministerpräsident Lwow gehörte die Mehrheit der Regierung den gemäßigten und liberalen Kräften an, die zur Konstitutionell-Demokratischen Partei (Kadettenpartei2) und ihrem Programm neigten, dem auch die Mehrheit der russischen Deutschen nahestand. Der einzige Vertreter der russischen Linken, der der neuen Regierung angehörte, der damalige Justizminister Kerenski, war der eifrigste Verteidiger ihrer Rechte in der 4. Staatsduma gewesen. Daneben war auch der deutschrussische Anteil im Zentralkomitee3 der nun sehr einflussreichen Kadettenpartei gestiegen.

1. Sitzung der Provisorischen Regierung im Mariinski-Palast in St. Petersburg
von links nach rechts: Alexander Konowalow, Andrej Schingarjow, Nikolai Nekrassow, Pawel Nikolajewitsch Miljukow, Georgi Jewgenjewitsch Lwow, Alexander Kerenski, Michail Tereschtschenko, Iwan Godnew, Alexander Manuilow, Dimitri M Shepkin, Wladimir D Nabokow

 

Sergei Fjodorowitsch Oldenburg
Sergei Fjodorowitsch Oldenburg

Neben die langjährigen Mitglieder, wie der Historiker A. A. Kiesewetter und der Philosoph und Publizist P. B. Struwe, traten nun auch die früheren Dumaagbgeordneten Baron F. Steinheil aus Kiew, der Ingenieur A. N. von Rutzen aus Kursk sowie der Philosoph und Natur-wissenschaftler S. F. Oldenburg. Baron Boris E. Nolde, Professor der Jurisprudenz, war in den Monaten März und April 1917 als Vizeminister des Äußeres, S. F. Oldenburg in den Monaten Juli und August 1917 als Erziehungsminister der Provisorischen Regierung tätig. Die Deutschen Russlands hatten daher allen Grund, der Provisorischen Regierung mit größtem Vertrauen entgegenzusehen.

Schon am 11. März 1917 wurden die Liquidationsgesetze4 mit der Begründung zur Verstärkung der Tätigkeit von Ernte und Aussaat suspendiert. In den deutsch-russischen Siedlungen und Kolonien breitete sich Jubelstimmung aus. Diese verstärkte sich dadurch, dass die Provisorische Regierung etwa gleichzeitig eine Verfügung erließ, derzufolge alle von der Aussiedlung und Evakuierung betroffenen deutschen Siedler an den Ort ihrer Aussiedlung zurückkehren durften. Tausende deutscher Siedler aus Wolhynien, Livland, Polen, Ostpreußen und dem Memelland, die in die ostrussischen Gouvernements ausgesiedelt worden waren, strömten in ihre Heimatorte zurück.

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Anmerkungen

1 Reichsduma nannte man die gewählte Volksvertretung, die von Nikolaus II. 1905 eingesetzt wurde.
Die 1. Reichsduma, 1906 in indirekten und ungleichen Wahlen entstanden, forderte unter der Führung der konstitutionellen Demokraten (Kadetten) grundlegende Konzessionen vom Zaren und wurde deshalb 1907 durch letzteren aufgelöst.

Die 2. Reichsduma von 1907 setzte sich vorwiegend aus Sozialrevolutionären und Sozialdemokraten zusammen (viele gemäßigte Abgeordnete der 1. Reichsduma waren nach Finnland geflohen und/oder boykottierten die neuen Wahlen). Da die 2. Reichsduma ebenfalls nicht bereit war, die geforderten Konzessionen aufzugeben, wurde auch sie durch den Zaren aufgelöst.
Nach der Einführung eines ungleicheren Wahlrechtes setzte sich die 3. Reichsduma (1907-12) aus gemäßigten Kräften zusammen und überstand als erste eine ganze Wahlperiode. Kooperativer, konnte sie einige wenige Reformen gegen den Zaren durchsetzen (Agrarreformen, Grundlagen für eine allgemeine Schulpflicht).
Die 4. Staatsduma (1912-17) konnte ihre Tätigkeit schließlich kaum noch wahrnehmen, da die Regierung praktisch jegliche Zusammenarbeit mit ihr ablehnte.

2 Die Partei der Kadetten, eigentlich Partei der Konstitutionellen Demokraten (KD) erhielt ihren Namen nach den russischen Anfangsbuchstaben ihres Parteinamens. Das russische "Kadety" wurde dann zum deutschen "Kadetten".
Die Partei, die sich auch ”Partei der Volksfreiheit” nannte, wurde während des Oktoberstreiks 1905 gegründet, bestand mehrheitlich aus dem linken Flügel der vorherigen Zemstvo-Bewegung und war Anfang des 20. Jahrhunderts eine in der russischen Duma aktive Gruppierung. Die Kadetten verlangten in ihrem Programm: - eine verfas Die Kadettenpartei war eine Anfang des 20. Jahrhunderts in der russischen Duma aktive Gruppierung und nannten sich auch ”Partei der Volksfreiheit”.
Politisch stand die Partei liberalen Gedanken nahe und forderte in ihrem Programm: eine verfassungsgebende Versammlung, allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht, eine vom Parlament abhängige Regierung, Redefreiheit, Ausbau und Demokratisierung der Selbstverwaltung, Agrarreform auf Kosten der Gutsbesitzer (Zuteilung von Grund und Boden an landlose und landarme Bauern), 8-Stunden-Tag, Streikrecht und freie Gewerkschaften, Zugeständnisse an Nationalitäten.
Mit ihrem liberal-demokratischen Parteiprogramm, insbesondere dem Agrarprogramm, hatte die Kadettenpartei unter den Schwarzmeerdeutschen Sympathien. Das Programm sah Landzuteilungen aus einem staatlichen Bodenfonds vor, der aus Staats-, Apanage-, Kron- und Klosterländereien sowie teilweise enteignetem Großgrundbesitz gebildet werden sollte. Für notwendige Enteignungen war eine "gerechte Entschädigung" vorgesehen.
Nach der Machtübernahme der Bolschewiki gingen sie in den Untergrund, um sich mit antibolschewistischen Gruppierungen zusammenzutun. Viele Anhänger flohen ins Ausland oder wurden hingerichtet. 1921 spaltete sich die Partei, als P.M. Miljukov, der Kopf der Partei, sich für eine Angleichung an die Sozialisten Sozialdemokraten, einsetzte. Einst war dies die größte nicht-sozialistische Partei Russlands. Die Parteiführung sah sich bis 1907 als linksliberal, danach orientierte sie sich vermehrt eher nach rechts, um dann später noch weitere Wandel durchzumachen.
Am 28. November 1917 wurde die Kadettenpartei von den Bolschewiken zur „Partei der Feinde des Volkes“ erklärt, verboten und die Verhaftung ihrer Führer angeordnet.

3 Zentralkomitee = Führungsspitze kommunistischer oder sozialistischer Parteien. Das Zentralkomitee leitet zwischen den Parteitagen die Partei, ist vielfach Akklamationsorgan von Politbüro und Sekretariat. Es besteht aus einer nicht festgelegten Zahl von Mitgliedern und Kandidaten.

4 Mit den Liquidationsgesetze vom 2. Februar und 13. Dezember 1915 sollten alle Untertanen österreichischer, ungarischer und deutscher Herkunft in einem Gebietsstreifen von 150 km entlang der Westgrenze und 100 km entlang der Ostsee, des Schwarzen-, des Asowschen- und des Kaspischen Meeres liquidiert werden, d.h. dass alle (ausgenommen waren Personen orthodoxen Glaubens oder slawischer Nationalität sowie Personen und deren Angehörige, die als Offiziere oder Freiwillige in der Armee dienten) nach Sibirien verpflanzt (deportiert) und ihr Besitz unentgeltlich abgenommen werden sollte.