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Die Ansiedlungspolitik unter Alexander I.

Deutsche in Wolhynien (Wolhyniendeutsche)

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Ausreiseweg der Wwolhyniendeutschen
der Auswanderungsweg
der Wolhyniendeutschen

Ferner setzte seit 1816 eine Einwanderung von west-preußischen und ursprünglich aus der Schweiz stammenden pfälzischen Mennoniten ins damals russische Wolhynien1 ein. Sie erfolgte aber auf Privatinitiative ohne staatliche Unterstützung. Religiöse Freiheiten, Aussicht auf billiges Land und damit auch bessere Erweiterungsmöglichkeiten für ihre Höfe hatten sie angelockt.

 

 

Emilia Plater führt die polnische Stadtmiliz
Emilia Plater führt die polnische Stadtmiliz

 

Ein weiterer Zustrom setzte 1831 während des ersten polnischen Aufstandes ein.

Es waren Deutsche aus Polen, die sich nicht am Aufstand gegen die russische Herrschaft beteiligt hatten und daher von der polnischen Bevölkerung angefeindet wurden.

Nach offiziellen russischen Angaben sollen in der Zeit zwischen 1830 und 1860 insgesamt 11.424 Deutsche als Handwerker und Bauern nach Wolhynien eingewandert sein, die 140 Siedlungen gegründet haben.

 

Ihren Höhepunkt erreichte die Einwanderung nach Wolhynien 1862-64, nach dem zweiten polnischen Aufstand, der fast gleichzeitig mit der Befreiung der Bauern von der Leibeigenschaft durch Zar Alexander II., im März 1861, etwa fünfzig Jahre später als in Westeuropa, stattfand.

Durch die Freilassung der Leibeigenen entstand ein plötzlicher Arbeitskräftemangel in Wolhynien, da viele Gutsbesitzer nicht in der Lage waren, ihren Arbeitskräften den Lohn zu zahlen und beschlossen stattdessen, ihr Land zu verkaufen.

Die russische Regierung schickte Scharen von Werbern nach Polen und Deutschland. Das Resultat war eine Art Landsturm. Die Siedler, hauptsächlich Deutsche, kamen aus Ostpreußen, Westpreußen und aus Polen.

Einwanderungsweg der deutschen Kolonisten nach Wolhynien
Einwanderungsweg der deutschen Kolonisten nach Wolhynien in den Jahren 1862-64

 

Wolhyniendeutsche bei der Zwangsumsiedlung
Wolhyniendeutsche bei der Zwangsumsiedlung

Nach der russischen Volkszählung von 1897 betrug die Zahl der Deutschen in dem überwiegend ukrainischen Wolhynien 171.333. 1914 lebten ca. 250.000 Deutsche in Wolhynien. Im Ersten Weltkrieg wurden die Wolhyniendeutsche als "Spione des deutschen Kaisers" diffamiert und vom 5. bis 15. Juli 1915 wurden ca. 240.000 Wolhyniendeutschen zwangsumgesiedelt.

Ein Großteil von ihnen wurde unter hohen Verlusten an Menschenleben nach Sibirien deportiert; ein kleiner Teil der Wolhyniendeutschen (ca. 30.000) wurde nach Deutschland umgesiedelt. Um der Verbannung nach Sibirien zu entgehen, wurden viele Ehen mit Ukrainern geschlossen.

„.... Einen überaus kläglichen Eindruck machten die Leute im Kreise Laischew. Diese Wolhynier waren nämlich zuerst bis nach Taschkent und Samarkand verschleppt und dann erst infolge des Gartenaufstandes an die Wolga befördert worden. Viele hatten auf den weiten Fahrten ihre letzte Habe verloren. Waren sie schon in Taschkent infolge der Hitze und des Fiebers dezimiert, so kamen sie hier, im Kreise Laischew, in ganz unmögliche Verhältnisse. Scheunen wurden ihnen zu Wohnungen angewiesen, in denen sie auch während des strengen Winters hausen mußten. Dabei stand ihnen kein Holz zur Verfügung. Zum abkochen ihrer Kartoffeln durften sie nur einmal des Tages zu den Dorfleuten gehen, die sie natürlich wenig gerne sahen....“2

1918, nach dem 1. Weltkrieg, durften die Bewohner wieder zurückkehren und bis 1924 kehrten etwa 120.000 Bewohner nach Wolhynien zurück.

Auf den 1. Weltkrieg folgte 1919-1921 der Polnisch-Sowjetische Krieg und Wolhynien wurde zwischen Polen (westlicher Teil) und Sowjetrussland (östlicher Teil) aufgeteilt.

Karikatur aus der Zeit nach dem Hitler-Stalin-Pakt
Karikatur aus der Zeit
nach dem Hitler-Stalin-Pakt

Als Folge der Aufteilung Polens im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes (1939) wurde Wol-hynien ab September 1939 sowjetisches Staatsgebiet. Die ansässige deutsche Bevölkerung (ca. 65.000 Personen) im ehemaligen polnischen Teil Wolhyniens wurden noch 1939 mit der Aktion “Heim ins Reich“ im nazistischen, eben annektierten Warthegau angesiedelt, aus dem die dort ansässigen Polen vertrieben worden waren.

 

auf der Flucht
auf der Flucht

Die Deutschen des bis 1939 sowjetischen Teils Wolhyniens, ca. 350.000, wurden vom Umsiedlungs-abkommen ausgeschlossen. Sie schlossen sich im November 1943 dem Rückzug der deutschen Trup-pen an. Die Männer wurden zum Militärdienst einberufen, um Deutschland als Vaterland zu verteidigen. Nach der Kapitulation im Jahr 1945 wurden sie aber zum größten Teil von russischen Kommandos als russische Deserteure aufgegriffen und “repatriiert“, d.h. nach Sibirien oder Zentralasien deportiert. In die alten wolhynischen Siedlungsgebiete kehrten sie nicht mehr.

 

auf der Flucht
auf der Flucht

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fiel das gesamte Wolhynien an die Sowjetunion. Die Wolhyniendeutschen im Warthegau flohen zusammen mit den anderen Deutschen in Richtung Westen. Einige kamen bis auf wenige Kilometer an die Grenze zwischen Ost- und West-deutschland, wo sie untertauchen konnten; andere lieferten sich den britischen oder amerikanischen Truppen aus und wurden dann aber als Sowjetbürger an Russland ausgeliefert. Die an die Sowjets ausgelieferten Deutschen wurden nach Sibirien oder Zentralasien deportiert.

Weg in die Verbannung der Wolhyniendeutschen
Weg in die Verbannung der Wolhyniendeutschen

 

Bis 1954 war es ihnen untersagt ihre Deportationsgebiete zu verlassen. Erst 1964 wurden die Russlanddeutschen offiziell rehabilitiert, nur in die alte Heimat durften sie nicht zurück. Die ehemaligen deutschen Kolonien wurden von einheimischen Russen und Ukrainern besiedelt. Seit den späten 1980er Jahren ist ein bedeutender Teil der Wolhyniendeutschen als Spätaussiedler in die Bundesrepublik ausgesiedelt. Seit 1992 gehört Wolhynien zum größten Teil zur Ukraine.

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Anmerkungen

1 Wolhynien, historische Landschaft im Nordwesten der Ukraine, zwischen dem Westlichen Bug (im Westen) und dem Tal des Dnjepr (im Osten), dem Prypjat in Polesien (im Norden) und Podolien im Süden, war im 9./10. Jahrhundert ein Teil des Kiewer Reiches, im 11./12. Jahrhundert ein unabhängiges Herzogtum und wurde 1188 mit Galizien vereinigt. Im 14. Jahrhundert kam Wolhynien an Litauen, 1569 durch die Lubliner Union an Polen, ab 1793 beziehungsweise 1795 kam Wolhynien zu Russland. Im 19. Jahrhundert wurden in Wolhynien Deutsche und Tschechen angesiedelt.
1915 wurden rund 200.000 Wolhyniendeutsche nach Sibirien und Zentralasien deportiert. Etwa 100.000 Überlebende kehrten nach dem Krieg in ihre Heimat zurück.
Der Westteil Wolhyniens kam 1921 an Polen. Während der deutschen Besetzung 1941-44 wurde die jüdische Bevölkerung Wolhyniens ausgerottet und die Wolhyniendeutschen zum Teil nach Deutschland, zum Teil in das Gebiet um Posen zwangsumgesiedelt. 1943-44 kam es zwischen Ukrainern und Polen zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, wobei es auf beiden Seiten zu tausenden von Opfern kam. 1947 wurden ca. 200.000 Wolhynientschechen in die Tschechoslowakei umgesiedelt.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges fiel das gesamte Wolhynien an die Sowjetunion. Seit 1992 gehört Wolhynien zum größten Teil zur Ukraine.

2 Pastor W. Fehrmann: Bei den Flüchtlingen (Reisebericht), in: Pastor Immanuel Weinkler, Kalender für die deutschen Kolonisten in Rußland auf das Jahr 1918, Petrograd, 1917, S. 54;