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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet

Erdhütte
Erdhütte

Das erste Jahrzehnt nach der Niederlassung war eine Zeit größter Anstrengungen um den nackten Lebensunterhalt. Die Kolonisten mussten unter äußerst erschwerenden Um-ständen mehrere Aufgaben zugleich in Angriff nehmen. Das für die erste Not errichtete Obdach konnte für die Dauer nicht standhalten und musste durch eine vollkommenere Wohnung ersetzt werden.

bessarabischer Steppenbrunnen
bessarabischer Steppenbrunnen
(mit Genehmigung des Fotografen
Alfredo Lorenzo Ferrari)

Zur Wasserversorgung musste ein Brunnen gegraben werden.

Zur Aufspürung des Wassers wendete man folgende Methode an: Man nahm 5 Lot (64 g) ungelöschten Kalk, 5 Lot gestoßenen Schwefel, 5 Lot Grünspan, 5 Lot weißen Weihrauch, zer-stieß alles zu feinem Pulver, legte 5 Lot Schafwolle darauf, tat alles in einen un-glasierten Topf, deckte ihn mit einem un-glasierten Deckel zu, wog ihn mit seinem Inhalt ab, vergrub ihn einen Fuß tief (30.5 cm) in der Erde, wo man den Brunnen graben wollte und deckte ihn mit der ausgegrabenen Erde zu. Nach 24 Stunden nahm man den Topf heraus und wog ihn ab. War das Gewicht dasselbe geblieben, dann war an dem betreffenden Orte keine Hoffnung Wasser zu finden. Hatte das Gewicht aber zugenommen, war man sicher Wasser zu finden und zwar bei Zunahme von 2 Lot (25.6 g) auf 75 Fuß (22.8 m) Tiefe, 4 Lot – auf 50 Fuß, 6 Lot - auf 37½ Fuß, 10 Lot - auf 10½ Fuß usw.

 

beim Pflügen
beim Pflügen

Gleichzeitig musste aber auch für die Bestellung der Felder gesorgt werden und das war bei dem großen Mangel an Ackergeräten gar nicht einfach. Dazu kam der Kampf um das tägliche Brot. Die Regierungshilfe war zwar gewährt worden, aber in Geld und das Fehlen von Verkehrsmitteln und die Unkenntnis der Landessprache erschwerten die Lage der Kolonisten, konnten sie sich doch mit ihren griechischen und russischen Nachbarn nur durch Zeichen verständigen.

Am schwersten aber drückten die Notzeiten, die durch unvorhergesehene Ereignisse hervorgerufen wurden.

Frauen beim Ährenlesen
Frauen beim Ährenlesen

Im ersten Jahr konnte trotz der guten Ernte der geringen Aussaat wegen nur soviel eingebracht werden, als zur Nahrung erforderlich war.

Die Ernteaussichten des Jahres 1824 berechtigten zu glänzenden Hoffnungen, doch Heuschreckenschwärme, die über das Asowsche Meer herflogen, vernichteten die prächtigen Felder und Wiesen. Da die Heuschreckennester nicht zerstört worden waren, so wurde in den beiden folgenden Jahren (1825 bis 1826) die Saat vom gleichen Schicksal betroffen, wenn auch nicht im selben Umfang. Nur die unentgeltliche Beschaffung des Saatguts durch die Regierung konnte das Los der Heimgesuchten etwas mildern.

nach einem Schneesturm
nach einem Schneesturm

Im strengen Winter 1825 mussten Mensch und Vieh frieren und hungern. Das acht Wochen lang an-dauernde Schneegestöber verschüttete Brennmaterial und Futter und unterband jeden Verkehr. Zu all dem kamen für einzelne Kolonien noch besondere Schicksals-schläge, wie Platzregen, die große Überschwemmungen verursachten und alles Heu mit fortriss oder Hagelwetter, die die besten Ernteaussichten vernichtete. Immer wieder kam es zu Viehseuchen, die das ganze Vieh wegraffte.

1828/1829 verbreitete sich die durch den russisch-türkischen Krieg eingeschleppte Pest, der in manchen Gegenden Russlands viele Menschen unterlagen.

ausgetrocknete Steppenlandschaft
ausgetrocknete Steppenlandschaft

Kaum konnten die Leute etwas aufatmen, brach das Schreckensjahr 1833 herein, auch das Hungerjahr oder das schwarze Jahr genannt. Eine furchtbare Dürre verwandelte Wiesen und Felder zu grauen Wüsten. Tobende Stürme hatten ganze Erdschanzen aufgehäuft und der Erde jegliche Feuchtig-keit entzogen. Die Schnitter gingen zur Zeit der Ernte mit leerer Hand aus; die Erde war schwarz, nicht einmal gekeimt hatte die Saat. Der große Futtermangel hatte Viehseuche und Kuhpocken im Gefolge, so dass Rinder und Schafe massenhaft starben. So bedeutete das Jahr 1833 für die Kolonisten einen Höhepunkt des Elends.

Aber auch danach wurden die Siedler, wenn auch nicht mehr so allgemein, von herben Schicksalsschlägen betroffen.

Am 11. Januar 1838, abends gegen 9.30 Uhr, wurde ein Erdbeben wahrgenommen, das zum Glück keine großen Schaden verursachte. Mehrere der 35 bis 45 Fuß (1 Fuß = 30.5 cm) tiefen Brunnen stürzten ein und das Wasser in den Brunnen stieg bedeutend höher.

 

Zieselmaus
Zieselmaus

Die in den Jahren 1842, 1843 und 1844 zahlreich auf-tretenden Erdhasen (Ziesel-mäuse) richteten in den Getreidefeldern erheb-lichen Schaden an. Doch dank der energischen Maßregeln sei-tens des Fürsorgekomitees1, der Verwaltungsbehörde der Siedler, war dieses Übel bald unter Kontrolle. Jeder Wirt musste jährlich 80 Paar Hinterbeine von eingefan-genen Erdhasen im Schulzenamt einliefern.

 

Trotz dieser anfänglichen Notlage haben sich die Kolonisten verhältnismäßig rasch emporgearbeitet.

Unter den Siedlern ging folgender Spruch um: „Der erste hat den Tod, der zweite die Not, der dritte das Brot.

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Anmerkungen

1 Fürsorgekomitee = Zur Betreuung der Kolonisten wurde am 26. Juli 1800 ein “Kontor für ausländische Kolonisten” mit Sitz in Jekaterinoslaw (Dnipropetrowsk) eingerichtet, 1801 umbenannt in “Fürsorgekomitee für die ausländischen Kolonisten in Neurussland”. Es bestand aus einem Vorsitzenden, auch Hauptkurator genannt, und zwei Mitgliedern, nebst den nötigen Schreibern, Landmessern, 4 Übersetzern, 1 Arzt, 1 Veterinär und sonstigen Beamten. Diesem Komitee lag die politische Verwaltung der Kolonien ob.
Nur die Kriminalverbrechen unterstanden der allgemeinen staatliche Gerichtsbarkeit, vorausgesetzt, dass das Fürsorgekomitee zu weit von den betreffenden Kolonien entfernt lag.
Das Fürsorgekomitee unterstand bis 1837 dem Innenministerium, dann dem Staatsdomänenministerium.
Das Fürsorgekomitee bildete eine wichtige intermediäre Institution. Es war die Verbindungsstelle zwischen der russischen Regierung und den Kolonisten und wirkte nicht nur als Förderungs-, sondern auch als Kontrollorgan. Der Instanzenweg war somit folgender: Dorfamt, Gebietsamt oder Wolost, Kontor und Fürsorgekomitee.
Aufgabe des Fürsorgekomitees war die Erteilung der russischen Staatsbürgerschaft, die Leitung der Ansiedlung nach geltenden Regeln, die Wahrung der den Kolonisten zugesicherten Rechte, Freiheiten und Privilegien und schließlich die Aufsicht und Kontrolle über die Verbindlichkeiten der Kolonisten gegenüber der russischen Regierung.
Präsidenten der Fürsorgekomitees waren von 1818 bis 1841 General der Infanterie Iwan von Inzow, von 1841 bis 1849 Staatsrat Eugen von Hahn, von 1849 bis 1853 Baron von Rosen, von 1853 bis 1856 Baron von Mestacher, von 1856 bis 1858 Vladimir Aleksandrovich Islavin, von 1858 bis 1866 Alexander von Hamm, von 1866 bis 1867 Fedor Lysander und von 1867 bis 1871 Wladimir von Oettinger.
Das Fürsorgekomitee wechselte wiederholt seinen Standort. Von 1818-1822 hatte es seinen Sitz in Jekaterinoslav. Als Inzow 1822 zum Gouverneur der 1812 neuerworbenen Provinz Bessarabien ernannt wurde, nahm er den ganzen Beamtenstab des Fürsorgekomitees mit sich nach Kischinew, wo es bis 1833 verblieb. Als Inzow 1833 Nachfolger des Generalgouverneurs von Neurussland Alexandre-Louis Andrault Graf Langeron wurde, kam Inzow nach Odessa und der ganze Apparat des Fürsorgekomitees folgte ihm. Hier verblieb es bis zu seiner Aufhebung im Jahre 1871.