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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

 

Fjodor III.
Fjodor III.

Nach dem Tod Fjodors III. (7. Mai 1682) brachen erbitterte Machtkämpfe um die Thronfolge zwischen den Familien der beiden herrschsüchtigen Ehefrauen (Marija Iljinitschna Miloslawskaja und Natalja Kirillowna Naryschkina) des vorherigen Zaren Alexei I. aus, da es keinen erwachsenen Thronfolger gab.

 

Wer sollte nun auf den Thron folgen?

Der 16-jährige Iwan V. aus der ersten Ehe Alexeis I.?

Iwan V.
Iwan V.

Er war kränklich, schwachsinnig, kurzsichtig und stotterte. Rechtlich stand der Inthronisation nichts im Wege, da kein Thronfolgegesetz bestand, sondern das Gewohnheitsrecht zur Thronfolge angewandt wurde und somit dem älteren Bruder, also Iwan, die Krone zustand.

 

Oder sollte der vitale, gesunde und weit entwickelte 10-jährige Peter I. aus der zweiten Ehe Alexeis auf den Thron folgen?

 

Patriarch Joachim
Patriarch Joachim

Der Patriarch Joachim trat gleich nach Fjodors Tod auf den Platz vor dem Kreml und stellte der versammelten Menge die Frage, ob Iwan oder Peter der Nachfolger werden sollte. Die Wahl fiel auf Peter.

 

Nur der Bojare1 Sumbuloff, auf Anstiften der Großfürstin Sofia Alexejewna (Peters Stiefschwester), hatte der Wahl widersprochen:

„Iwan Alexejewitsch gebührt der Thron! Ungerecht ist's, ihm den jüngeren Bruder vorzuziehen!"

Eduard Pelz: Geschichte Peters des Grossen,
Verlagsbuchhandlung C. Lorck,Leipzig, 1848, S.80;

 

Er blieb nicht ganz ohne Unterstützung, was jedoch keinen Einfluss auf die Wahl hatte.

Peter der Große im Alter von 10 Jahren

Peter der Große
im Alter von 10 Jahren

Peter wurde noch am selben Tag, dem 27. April 1682 von einem improvisierten Semskij Sobor2 als Zar und Großfürst von Groß-, Klein- und Weißrussland ausgerufen.

 

Die Drahtzieher dieser „improvisierten“ Ernennung sollen die Naryschkins, die Angehörigen der Mutter Peters gewesen sein, die in einen Machtkampf mit den Miloslawskis, den Angehörigen der Mutter Fjodors und Iwans, der ja noch am Leben war, verstrickt waren. Diese wiederum hätten nach der Einsetzung Peters dann den „Strelitzenaufstand3 entfacht, um Iwan unter der Regentschaft seiner Schwester Sofia an die Macht zu bringen.

 

Natalja Kirillowna Naryschkina
Natalja Kirillowna Naryschkina

Nun zurück zu Peter. Da er erst 10 Jahre alt war, übernahm seine Mutter Natalia4 die Regentschaft mit Unterstützung ihres Ziehvaters Matwejew5, was natürlich zu Protesten der Gegenpartei der Miloslawskis führte.

Prinzessin Sofia Alexejewna, eine Tochter des Zaren Alexei aus erster Ehe, widersetzte sich dieser Entscheidung und da wissen wir nicht, wie weit der ungezügelte Ehrgeiz der schönen, geistreichen und herschsüchtigen Stiefschwester Peters, die sowie ihre Stiefmutter (Natalia Kirillowna Naryschkina) wie ihren Stiefbruder (Peter) hasste, bei dieser Gelegenheit gegangen sein mag.

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Anmerkungen

2Bojar = waren Adlige unterhalb des Ranges eines Fürsten bzw. des Zaren. In der Kiewer Rus hatte sich der Bojarenstand im 8.–9. Jahrhundert ursprünglich aus den Leibwachen der Fürsten entwickelt. Seit dem 12. Jahrhundert erlangten sie erheblichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Seit dem 15. Jahrhundert war Bojar ein vom Großfürsten bzw. Zaren verliehener Titel der Mitglieder des Bojarenrates (Ratgeber der Großfürsten und Zaren). Da sie der zentralistischen Politik der Moskauer Großfürsten entgegentraten, versuchten diese seit dem 15. Jahrhundert, den Einfluss der Bojaren zurückzudrängen. Zar Iwan IV. ließ im 16. Jahrhundert viele Bojaren töten oder deportieren, nachdem sich diese, um ihre Privilegien fürchtend, gegen ihn verschworen hatten. Peter I. schaffte den Bojarenstand Anfang des 18. Jahrhunderts endgültig ab und ersetzte ihn durch den Dienstadel (dworjanstwo). Der letzte Bojar starb 1750.

2 Die Semski Sobor (russisch Земский собор; Sobor hieß eigentlich "Kirche") war eine russische Ständeversammlung, die im 16. und 17. Jahrhundert in unregelmäßigen Abständen tagte. Mitglieder waren die Vertreter aller Stände mit Ausnahme der hörigen ( in Abhängigkeit von einem Grundherren) Bauern. Ausländische Russland-Schriftsteller verglichen den Semski Sobor mit dem englischen Parlament, dem deutschen Reichstag und dem polnischen Sejm. Im Zusammenhang mit der Herausbildung der absoluten Regierungspraxis verloren die Semski Sobor allmählich ihre Funktion und verschwanden schließlich ganz. Der Semskij Sobor wählte 1598 Boris Godunow zum Zaren und 1613 Michael I. zum Zaren.

3 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.

4 Natalia Kirillowna Naryschkina war die Tochter eines einfachen Reiteroffiziers und einer Ausländerin, einer geborenen Hamilton.
Unter einem früheren Zaren war ein Hamilton aus Schottland nach Russland gekommen und seine Nachkommen lebten als Dienstleute der Krone in der deutschen Vorstadt bei Moskau. Der Obrist des Reiterregiments, in welchem Kirill Naryschkin diente, namens Matwejew, heiratete eine Hamilton, deren Nichte wieder vermählte sich mit Naryschkin. Dieser wie auch Matwejew waren beide niederer Herkunft. Matwjewew und Naryschkin wurden wegen ihrer Heirat von ihren Landsleuten neidisch betrachtet. Matjwejew erreichte einen gewissen Wohlstand, der es ihm möglich machte, die Tochter des Kirill Naryschkin in sein Haus zu nehmen, um sie hier besser zu erziehen, als es sonst in der Sitte der Zeit üblich war. Matjewews Haus war anders als die Häuser der übrigen Russen. Hier herrschten europäische Art und Weise, hier war der Mittelpunkt für alle Fremden, hier fanden sich die Gesandten der Staaten Europas ein, und die “aufgeklärten Geister“ der Zeit, wie man sie damals nannte, hielten hier ihre Versammlungen. Die Frauen nahmen an den Unterhaltungen der Männer teil und pflegten mit ihnen einen freieren, beinahe ungezwungenen Verkehr.
Natalia Kirillowna sah andere Sitten als Muster vor ihren Augen, wie die übrigen russischen Mädchen jener Epoche, und infolgedessen eignete sie sich schönere Umgangsformen an, die den Zaren Alexei bei der Wahl seiner 2. Ehefrau beeinflussten. So geschah es, dass die Tochter des “abtrünnigen“ Kirill Naryschkin und der “heidnischen“ Fremden zur Zarin von Moskau emporstieg und die Mutter Peters des Großen wurde. Sie war es, welche nach Alexeis wenige Jahre später erfolgtem Tode die Erziehung des jungen Peter ganz an sich nahm und in ihm Liebe für das Ausland, für ausländische Wesen, für ausländische Bildung erweckte.

5 Matwejew war ein Vertrauter des Zaren Alexei und während dessen Regierungszeit Erster des Gesandtschaftsprikas. Bezeichnend für das enge Verhältnis zum Zaren ist, dass dieser seine zukünftige Gemahlin Natalja Kirillowna Naryschkina (Mutter des späteren Peter I.), deren Vormund Matwejew wurde, in Matwejews Haus traf. Beim Tod des Zaren, 1676, wurde er von der, durch ihre Verwandtschaft mit Fjodor III. einflussreichen, Familie der Miloslawskij der Ermordung des Zaren und des Gebrauchs schwarzer Magie beschuldigt. Die nächsten Jahre bis 1682 verbrachte er in der Verbannung. Erst beim Tod des Zaren wurde er von der Mutter des neuen Herrschers Peter I., Natalia Naryschkina, zurückgerufen, die zu diesem Zeitpunkt Regentin war. Als Matwejew am 11. Mai in Moskau ankam hatten die Schwester des Zaren, Sofia Alexejewna, und ihr Onkel Iwan Miloslawskij Unruhen unter den Strelitzen geschürt. Sie behaupteten, dass die Regentin Iwan, den anderen Sohn Alexejs ermordet hätten. Nachdem es ihm vorerst gelungen war, die am 15. Mai in den Kreml gestürmten Strelitzen zu beruhigen, wurde er von diesen schließlich ermordet und verstümmelt. Seine Körperstücke wurden von einem Diener gesammelt und seiner Familie überbracht. Seine Enkelin, Marie Hamilton, sollte später Geliebte Peters des Großen werden.