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Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet

Die Oktoberrevolution

Oktoberrevolution
Oktoberrevolution

Die nach der Februarrevolution 1917 entstandene 'Doppelherrschaft' zwischen Petrograder Sowjet und Provisorischer Regierung und die begrenzte Zusammenarbeit konnte die drängenden Probleme des Landes nicht lösen. Die Lebensmittel-versorgung konnte kaum verbessert werden. Die Agrarreform, die den Bauern mehr Land auf Kosten der adeligen Gutswirtschaften bringen sollte, wurde ebenso vertagt wie die Nationalitätenfrage1 oder der Friedensschluss. Man wollte diese grundlegenden Entscheidungen der Konstituierende Versammlung2 über-lassen, deren Wahl seit März 1917 jedoch immer wieder hinaus-geschoben wurde, sodass im Volk das Misstrauen gegenüber der Regierung wuchs. Das Feuer, das zuerst im Geheimen glimmte, brach plötzlich im November (nach dem Julianischen Kalender im Oktober) 1917 in weiten Kreisen des Volkes als lodernder Brand aus.

Am 10. bzw. 23. Oktober 1917 errangen die Bolschewiken unter Lenin im Petrograder und Moskauer Sowjet die Mehrheit. Lenin, der nach seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil (April 1917) „Frieden - Land - Brot", „Alle Macht den Sowjets“ und „Arbeiterkontrolle in den Fabriken" forderte, drückte die zentralen Wünsche der Bevölkerung aus und versprach allen eine glorreiche, sozialistische Zukunft, die dem armen Volk glückliche Zustände schaffen sollte.

Oktoberrevolution
Oktoberrevolution

Am 7. November 1917 (nach dem Julianischen Kalender am 25. Oktober 1917) kam es zu einem bewaffneten Aufstand gegen die nach der Februarrevolution 1917 und der Absetzung des Zaren Nikolaus II. (15.3.1917) gebildete Übergangsregierung unter Kerenski, die gestürzt wurde. Alle Mitglieder der Provisorischen Regierung (bis auf Kerenski, dem die Flucht gelang) wurden verhaftet und in die Peter-und-Paul-Festung gebracht; wenig später verkündeten die Bolschewiken3 ihre Machtübernahme.

Iwan Wladimirow: Nieder mit dem Adler
Iwan Iwan Wladimirow: Nieder mit dem Adler

Innerhalb weniger Wochen etablierten die Bolschewiken ihre Kontrolle über die meisten der ethnisch russischen Gebiete, aller-dings weniger erfolgreich in ethnisch nichtrussischen Gebieten, wie Estland, Lettland, Finnland und Ukraine4. Sie begannen nun, das Land zu verwalten und zu „regieren" gegen deren Ver-fügungen keinerlei Veto möglich war.

 

Kurze Zeit nach der Machtergreifung wurden zwei für die Russlanddeutschen folgenschwere Edikte erlassen. Eines betraf die entschädigungslose Enteignung aller Grundbesitzer, das zweite gestand allen Völkern Russlands die Gleichheit, Souveränität und das Recht auf Selbstbestimmung zu. Darüber hinaus wurde die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung1 eingeleitet und die Provisorische Arbeiter- und Bauern-Regierung mit Lenin an der Spitze gebildet.

 

Oktoberrevolution
Oktoberrevolution

Die Gefängnisse, Straflager und sonstige Strafanstalten, ein-schließlich derjenigen in Sibirien, wurden aufgelöst und die frei gewordenen Sträflinge, politische und kriminelle, zum großen Teil Nichtrussen, bildeten bald den Kern der neuen Behörden. Die Mehrzahl der Mitglieder rächten sich nun als kleinere oder höhere Beamte für die in ihrer Gefängniszeit und Pogromen erlittenen Leiden, besonders in der Folgezeit der kommenden Jahre.

 

Oktoberrevolution
Oktoberrevolution

Die sofortige Beendigung des seit 1914 in Europa tobende Krieges wurde beschlossen und die Fronten wurden aufgelöst. In ungeheuren Massen verließen die Soldaten die Fronten und strebten in die Heimat, nachdem sie ihre Offiziere fast restlos getötet hatten. Dies war einer der grausamsten Tage in der Geschichte der russischen Kriege.

Unter diesen Umständen waren deutsche Kolonien immer häufiger beliebte Objekte von Übergriffen. Es wurden Requisitionen von Getreide und Vieh durchgeführt und immer höhere Kontributionen auferlegt.

 

Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk
Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk

Es wurden Verbindungen mit der deutschen Regierung aufgenommen und nach nicht allzu langen Verhandlungen kam es am 15. Dezember 1917 zu einem Waffenstillstand, der am 14. Januar 1918 verlängert wurde.

Während die Mittelmächte (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Osma-nisches Reich, Zarentum Bulgarien) mit der Regierung der Volksrepublik Ukraine4 am 9. Februar einen Separatfrieden abschlossen, kam es mit Sowjetrussland zu keinem Friedensvertrag.

 

Erich Ludendorff
Erich Ludendorff

Am 16. Februar 1918 teilte die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) des Kaiserreiches unter Erich Ludendorff dem russischen General Samoilo mit, dass Deutschland den Waffenstillstand am 17. Februar 1918 als abgelaufen betrachte und wie angekündigt, setzten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen ihren Vormarsch in Richtung Schwarzes Meer fort.

In allen Gebieten des ehemaligen Zarenreiches, in die deutsche Truppen einmarschierten, wurden diese von der deutschen Bevölkerung jubelnd begrüßt, denn sie waren noch rechtzeitig eingetroffen, um die von den Bolschewiken angekündigten Blutbäder zu verhüten5. Die Schreckensherrschaft der Bolschwiken war damit vorläufig beendet.

Durch das schnelle Vorrücken der Mittelmächte und die großen Gebietsverluste in Estland, Livland und der Ukraine, sowie fast des gesamten Gebietes von Weißrussland wurden die Bolschewiken in einen Waffenstillstand gezwungen, worauf es am 3. März 1918 zum “Diktatfrieden von Brest-Litowsk“ kam.

österreichisch-ungarische Truppen
österreichisch-ungarische Truppen

Entgegen der Vereinbarung im Brest-Litowsker Frieden wurde der Vormarsch fortgesetzt. Am 14. März 1918 wurde Odessa von österreichisch-ungarischen Trup-pen besetzt und am 1. Mai besetzten deutsche Truppen Sewastopol auf der Krim. Wie alle militärischen Unternehmen, die im Frühjahr 1918 im Osten durch-geführt wurden (die Finn-landexpedition, die Ukrainebe-setzung, das Kaukasusunter-nehmen), war die Besetzung der Krim gegen den Willen der deutschen Reichsleitung erfolgt.

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Anmerkungen

1 Das Gesetz über die Staatsangehörigkeit vom 20. März 1918 sah vor, dass jeder Einwohner der Ukraine binnen 3 Monaten für oder gegen die ukrainische Staatsangehörigkeit optieren 'konnte'. Wer sich für die ukrainische Staatsangehörigkeit entschied, unterlag allerdings der entschädigungslosen Nationalisierung von Grund und Boden entsprechend den Bestimmungen des 3. Universals (eine Art Staatsdekret) vom 7. November 1917, d.h. er übertraf die Liquidationsgesetze von 1915.

2 Konstituierende (verfassungsgebende) Versammlung (= Konstituante) = nach dem Sturz der "Provisorischen Regierung" schrieb der neue Rat der Volkskommissare (=Regierung) Wahlen zur Konstituanten (Versammlung von gewählten Volksvertretern, welche auf außerordentliche Weise einberufen ist, um eine neue Verfassung auszuarbeiten) aus, die eine Verfassung ausarbeiten und damit über das Gesellschafts- und Staatssystem entscheiden sollte.
Bei der allgemeinen direkten Wahl der Abgeordneten (12.11.1917) erhielten die Sozialrevolutionäre (von der Masse der Bauern unterstützt) über die Hälfte der Stimmen. Als die Bolschewiki bei der Eröffnungssitzung am 5./ 18. Januar 1918 "eine Deklaration der Rechte des arbeitenden und ausgebeuteten Volkes" einbrachten, lehnte es die Mehrheit der Konstituante ab, diese überhaupt zu beraten. Daraufhin wurde die Verfassungsgebende Versammlung am folgenden Ta, nach 13 Stunden vom Zentralen Exekutivkomitee des Sowjetkongresses (Regierung der Bolschewiki) aufgelöst und der nahezu hundert Jahre alte Traum fast aller russischen Revolutionäre nach Demokratie hatte sein Ende.

3 Bolschewiki = ist eine ehemalige Bezeichnung für Parteimitglieder der KPdSU  (Kommunistische Partei der Sowjetunion). Der Begriff entstand 1903 auf dem zweiten Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands ( SDAPR ) in London . Die Anhänger Lenins stellten auf diesem Parteitag die Mehrheit (russ. bolschinstwo ) weswegen sie Bolschewiki genannt wurden. Die Minderheit (russ. menschinstwo ) nannte man Menschewiki.
Die Bolschewiki waren wesentlich radikaler als die anderen Teile der Partei. Sie strebten den baldigen Sturz des Zaren und die damit verbundene Einführung des Kommunismus an. Die Menschewiki verfolgten zwar das selbe Ziel wollten aber erst ausreichende Reformen einleiten.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs verurteilten die Bolschewiki eine Teilnahme Russlands als imperialistische Aggression. Sie gewannen stark an Zuwachs als die Truppen des Zaren an fast allen Fronten Rückschläge hinnehmen mussten.
In der  Oktoberrevolution  von  1917  wurden sie die stärkste Macht im Lande. Der aus dem Exil zurückgekehrte Wladimir Iljitsch Lenin übernahm die Führung der Kommunisten. Seine Macht basierte teilweise auf der Unterdrückung seiner Gegner.
Lew Trotzki, Volkskommissar für das Kriegswesen, formierte nach dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk, den er als persönliche Niederlage betrachtete, die Rote Arbeiter- und Bauernarmee mit der er erfolgreich im russischen Bürgerkrieg (1917/18-1920) gegen die zaristisch-bürgerlichen Weißen, vorgehen konnte.
Bis 1922 schafften es die Bolschewiki fast den gesamten Osten des riesigen russischen Reiches zu kontrollieren. Damit verbunden war der so genannte Kriegskommunismus eine Wirtschaftspolitik die alle Unternehmen unter staatlicher Kontrolle stellte. Weitere repressive Maßnahmen führten zu extremen Versorgungsengpässen und damit auch zu Aufständen innerhalb der Bevölkerung.
Nach 1918 nannten sich die Bolschewiki "Kommunistische Partei und ab 1925 Kommunistische Partei der Sowjetunion mit dem Anhang (Bolschewiki). Im eigenen Land nahmen besonders zu Stalins Zeiten Repressalien gegen die sowjetische Bevölkerung zu. Die Geheimpolizei unterdrückte jede Opposition und bei Säuberungsaktionen wurden viele Kritiker und potenzielle Feinde verhaftet und getötet. Auf diese Art und Weise beherrschten die Kommunistische Partei lange Zeit das Land.

4 Als in Russland 1917 die Februarrevolution ausbrach, versuchten die Ukrainer ihren eigenen Staat zu errichten. Im 3. Universal (eine Art Staatsdekret) vom 20. November 1917 proklamierte der Ukrainische Zentralrat (Zentralrada) in Kiew eine selbständige „Ukrainische Volksrepublik" ohne Loslösung von Russland und im 4. Universal vom 25. Januar 1918 verkündete der Zentralrat die Unabhängigkeit der Ukrainischen Volkskrepublik.

5 PA AA, R 10591: Bericht Lindequists über seine Reise nach der Ukraine und der Krim vom 21. März - 25. Mai 1918, S.2