Du bist in: Deutsche in Russland > Die Deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet im 20. Jahrhundert

Die deutschen Siedlungen im Schwarzmeergebiet

(Teil 1 von 3)

Deutsche in der zaristischen Armee
Deutschstämmige in der zaristischen Armee
um 1914

Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts verschlechterte sich durch Landmangel, wachsenden politischen Druck (Aufhebung der Privilegien im Jahr 1871, Einführung der allgemeinen Wehrpflicht1 1874 und Russifizierung) und Deutschenhass die Lage der Schwarzmeerdeutschen.

Der Friede nach dem Russisch-Japanischen Krieg (1904-1905) dauerte nur neun Jahre und die politischen Spannungen zwischen den europäischen Staaten waren im Laufe von etwa einem Jahrzehnt stark angewachsen. Durch das Abweichen Deutsch-lands von der Bismarckschen Außenpolitik verlor es seine militärische Absicherung gegen Osten. Einige russische Zeitschriften begannen mit deutschfeindlichen Artikeln das russische Volk auf das Kommende vorzubereiten. Die deutsche Sprache wurde nicht mehr gerne gehört und immer wieder wurde die deutsche Bevölkerung beschuldigt, dass sie sich dem Erlernen der russischen Sprache widersetze. In der Schule sollten sich die Kinder in russischer Sprache unterhalten. Es genügte der deutsche Name, um von allen Beförderungen ausgeschlossen zu sein.

Panslawistische Kräfte2 traten massiv gegen den deutschen Landbesitz in Russland auf.

... ihre Vorfahren seien einst vom Reich finanziert worden, so dass sie den Russen die Adelsgüter vor der Nase weggekauft hätten und daher schuld an der Armut der ukrainischen Bevölkerung seien.

aus: Leibbrandt Georg, Leibbrandt Hansgeorg: Hoffnungstal und seine Schwaben, Selbstverlag, Bonn, 1980, S. 140;

Bis zum 1. Weltkrieg hatten die Kolonisten den Preis des Landes um das Hundertfache angehoben. Außer den ihnen verliehenen 600.000 Desjatinen Landes hatten sie mindestens das Zehnfache an Land urbar gemacht.

Mehr als 100.000 Deutschstämmige dienten loyal in der Zaristischen Armee und bei Ausbruch des 1. Weltkrieges (1. August 1914, Kriegserklärung Deutschlands an das Russische Reich) war die deutsche Intelligenz zu einem guten Teil die besten russischen Patrioten.

Für den militärischen Misserfolg Russlands und die hohen Verluste an der Westfront wurden die deutschen Kolonisten verantwortlich gemacht, indem man sie der Spionage für Deutschland bezichtigte und sie als Verräter abstempelte.

Innerhalb weniger Wochen mussten alle Tauben, die zu einem deutschen Bauernhof gehörten, geschlachtet werden, weil sie unter dem Verdacht standen, Spionage treibende Brieftauben zu sein.

Der Druck auf die Soldaten sowie auf die Zivilbevölkerung wurde unerträglich. Hass, Neid und Missgunst erreichen ungeahnte Dimensionen.

Die Diskriminierung der Deutschen gegenüber den anderen Minderheiten und dem Herrschervolk hatte zur Folge, dass auch die besten russischen Patrioten unter den Kolonisten aufhorchten und sie wieder in die Reihe ihrer Stammesgenossen zurückführte. Ihr Name sagte ihnen, dass sie Deutsche waren und wer das nicht wahrhaben wollte, der wurde von den Russen mit dem Sprichwort: „So gut du den Wolf auch füttern magst, er wird immer nach dem Walde Ausschau halten", darauf aufmerksam gemacht.

aus: Albert Witt: Kurzgefaßte Chronik der Kolonie Alt-Arzis, Heimatmuseum der Deutschen aus Bessarabien, 1987, S. 126;

Pastor Albert Kern aus dem Kirchspiel Arzis in Bessarabien erinnert sich:

„.... Im August 1914 aber fiel es uns wie Schuppen von den Augen! Der Krieg mit Deutschland! Wir wußten gar nichts anderes, als das angestammte Vaterland zu verteidigen, auch gegen das eigene Fleisch und Blut. Aber wir bekamen es jetzt zu spüren, daß wir Deutsche waren, fremde 'Eindringlinge', eine Gefahr für den Staat..... so kam es dann zu dem kaiserlichen Verbot, daß alle Tauben abgeschlachtet werden mußten, weil sie als Brieftauben Spionagedienste leisten könnten. Wir Jungens mußten das Todesurteil vollstrecken ....... Die Alten wurden nachdenklich."

Viele Kolonisten sahen in all dem nichts Gutes und wanderten nach Übersee, Nord- und Südamerika aus.

Beseitigung der Kulaken als Klasse, Plakat 1930
Beseitigung der Kulaken3 als Klasse,
Plakat 1930

In der Zwischenzeit hatten die deutschen Kolonisten praktisch keinen Kontakt mehr zu Deutschland. Lediglich Industrie-erzeugnisse wurden aus Deutsch-land bezogen. Abgesehen von vielleicht Pfarrern reiste so gut wie niemand mehr nach Deutschland.

 

Verwandtschaftliche Beziehungen waren in der Zwischenzeit abgebrochen. Umgekehrt wussten die in Deutschland verbliebenen Angehörigen in der folgenden Generation kaum noch etwas von ihren ausgewanderten Ver-wandten und der Existenz deutscher Siedlungen im Schwarzmeerraum.

 

Auch die deutsche Regierung interessierte sich bis 1914 nur wenig für die in Russland lebenden Deutschen.

 

 

 

 

 

Iwan Logginowitsch Goremykin
Iwan Logginowitsch Goremykin

Die deutschen Kolonisten in Russland, russische Staatsbürger, galten als loyale Untertanen und zuverlässige, gute Steuerzahler. Das sollte sich mit der Kriegserklärung Deutschlands an das Russische Reich am 1. August 1914 schlagartig ändern. Russische Politiker und die russische Presse begannen offen Hass gegen alles Deutsche zu verkündigen. Man traute den Deutschen nicht mehr. Sie wurden zum „potentiellen Verräter“ und zum „inneren Feind“ erklärt und systematisch bekämpft. Hass und Neid gegen das Deutschtum loderten um so heller, je dunkler und hoffnungsloser die Nachrichten waren, die von den Niederlagen an der Front durchsickerten. Es wurden Verdächtigungen laut, dass daran die Russlanddeutschen schuld seien. Die Worte des russischen Ministerpräsidenten Goremykin waren eindeutig dafür:

„Wir kämpfen nicht nur gegen das Deutsche Reich, sondern gegen das Deutschtum!"

aus: Velhagen & Klasings Monatshefte 30. Jahrgang 1915/1916, 1. Band, Berlin

barrabarrabarra

zurück 1 2 3 weiter

Anmerkungen

1 Nach der Einführung allgemeinen Wehrpflicht mussten vom 1. Januar 1874 an auch Deutsche zum Militärdienst einrücken. Je nach Waffengattung dauerte der Wehrdienst vier bis fünf Jahre, manchmal noch länger. Klöstitz wurde zum Musterungsort der Bessarabiendeutschen. Alljährlich fanden Musterungen statt. Der russische Staat benötigte allerdings nicht alle wehrpflichtigen Rekruten. Es gab daher Befreiungen verschiedener Art. so waren einzige Söhne vom Wehrdienst freigestellt und Söhne, deren Väter alt, krank oder arbeitsunfähig waren. Auch diejenigen, deren nachfolgende Brüder das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, brauchten nicht einzurücken. Alle Rekruten, die diese Vergünstigungen beanspruchen konnten, konnten wieder nach Hause fahren, für die anderen begann die 'Losung'. Jeder musste aus einer Trommel ein Los ziehen. Am Schluss wurden alle von der Losnummer eins an in aufsteigender Reihenfolge für den Militärdienst bestimmt, bis die vorgeschriebene Zahl der erforderlichen Rekruten erreicht war. Die anderen, die eine höhere Losnummer gezogen hatten, galten als freigelost und brauchten nicht zu dienen.

2 Der Panslawismus entstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts als romantischer Nationalismus, enstanden in in der Glaubensgemeinschaft der orthodoxen Kirche. Sein Ziel war die kulturelle, religiöse und politische Einheit aller slawischen Völker Europas und bildete somit die ideologische Grundlage für die Feindseligkeit gegenüber den Russlanddeutschen.
Erste Gedanken von einer Vereinigung aller slawischen Völker unter russischer Führung entwickelten sich im russischen Zarenreich schon im 17. Jahrhundert. Vor Ausbruch des Russisch-Türkischen Krieges (1876/77) war der Panslawismus zur bestimmten Ideologie in Russland geworden, die nach 1880 vom Panrussismus verdrängt wurde, der die Basis für die Russifizierung- und Unterdrückungspolitik vor allem gegen Polen und Juden, aber auch nicht-orthodoxe Russen und nichtrussische Orthodoxen war.

3 Kulak = Bezeichnung für den russischen Mittel- und Großbauern aber auch eine abfällige Bezeichnung der wohlhabenden Bauern auf dem Lande. Kulak, was wörtlich übersetzt “Faust“ bedeutet (jemand, der seinen Besitz fest in den Fäusten hält), wird im Sinne von “Wucherer“ oder “Dorfkapitalist“ gebraucht. Jemanden, der kleine Bauern und seinen in Not geratenen Nachbarn um Hab und Gut gebracht hatte.
Nach der Oktoberrevolution von 1917  und im Verlauf der Kollektivierungsmaßnahmen (1929/30) unter Stalin wurde der Begriff Kulak zum Schimpfwort und auf alle angeblichen 'Ausbeuter' in der Landwirtschaft ausgedehnt und als feindliche 'Klasse' liquidiert. Auch Witwen und alte Bauern fielen unter diese Kategorie, weil sie einen Knecht oder eine Magd beschäftigten.
1919 war ein Kulak der, der zwei Häuser mit Blechdach, mehr als fünf Kühe oder Pferde oder mehr als 20 Schafe besaß. Auf dem Höhepunkt der Kollektivierung (1932) bedeutete bereits geringfügiges landwirtschaftliches Eigentum, wie zum Beispiel eine Kuh oder die Beschäftigung von Tagelöhnern oder Mägden und Knechten als Kulakentum und führte zu Zwangsmaßnahmen: Schon seit 1927 mussten sie höhere Steurn bezahlen und bekamen keine Kredite oder Geräte mehr. Viele verkleinerten ihre Anbaufläche und ihren Viehbestand, um kein 'Kulak' mehr zu sein, was dazu führte, dass bald Getreide für den Export und zur Versorgung der Städte fehlte.
Im Herbst 1929 wurde es den Kulaken verboten, in die entstehenden Kollektive einzutreten, weil man dort ihre Meinungsführerschaft fürchtete, was dann zu Enteignung und schließlich zu Deportation in menschenleere Gebiete oder in den Gulag führte. Oft wurden auch die Familienangehörigen der 'Kulaken' und sogar angebliche Kulakensöldlinge verfolgt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Zentralexekutivkomitees und des Rates der Volkskommissare vom 30. Januar und 1. Februar 1930 und einer Instruktion vom 4. Februar wurden alle Kulaken in drei Kategorien eingeteilt: die Bauern der 1. Kategorie galten als 'konterrevolutionäre Elemente', die entweder gleich erschossen, oder in ein Arbeitslager der GPU (Staatssicherheitsdienst) gebracht wurden. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt und ihre Angehörigen fielen unter die Deportierten.
Die Kulaken der 2. Kategorie waren zwar weniger gefährlich, galten aber als 'fürchterliche Ausbeuter'. Sie wurden enteignet, verhaftet und mit ihren Familien in entlegene Gebiete deportiert.
Die Kulaken der 3. Kategorie galten als 'staatstreu, wurden enteignet und in unfruchtbare, unkultivierte Zonen ihrer Distrikte umgesiedelt.