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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

(Teil 1 von 2)

Der falsche Dimitri

Grischka Oltrepjew
der falsche Demetrius =
Grischka Oltrepjew

In der schwierigen "Zeit der Wirren" (1598-1613) und der Machtkämpfe um den Zarenthron tauchte im Jahr 1603 in Polen nahe Krakau am Hof des Grafen Mniszech ein gewisser Demetrius auf, von dem behauptet wurde, er sei der bislang tot geglaubte Sohn Dimitri (er wurde 1591, wahrscheinlich im Auftrag von Boris Godunow1, ermordet) des verstorbenen russischen Schreckensherrschers Iwan IV.

Kurze Zeit später beschworen etliche Zeugen, auch vor Polens König Sigismund III., dass der plötzlich aufgetauchte Demetrius Iwans rechtmäßigcr Erbe sei.

Mord an Zarewitsch Dimitri Iwanowitsch
Maria Fjodorowna Nagaja
beweint ihren Sohn Dimitri Iwanowitsch

Auch die Mutter des echten Demetrius, die Gattin Iwans des Schrecklichen aus achter Ehe, Maria Fjodorowna Nagaja, beteiligte sich an diesem Machtspiel, denn ihr Hass auf Zar Boris Godunow, der ihren eigenen Sohn, den echten Demetrius ermorden und sie in ein Kloster verbannte, war unüberwindbar. In der Machtergreifung des neuen Usurpators sah sie eine willkommene Gelegenheit, der klösterlichen Abschirmung zu entkommen.

Boris Godunow
Boris Godunow

 

Nun galt es für Demetrius, zunächst die russischen Grenzgebiete und später auch die Hauptstadt Moskau zu erobern und Boris Godunow, den amtierenden Zaren, zu entthronen.

 

Wer war dieser Demetrius eigentlich? Das ist bis heute nicht vollkommen geklärt. Wahrscheinlich war er polnischer Abstammung und vermutlich der entlaufene Mönch Grischka Oltrepjew oder Hryszka, wie ihn die Jesuitenchronik aus dem Jahr 1604/1605 nennt.

 

Newrew
Nikolaj Wassiljewitsch Newrew:
der falsche Dmitri schwört Sigismund III.
in Russland den Katholizismus einzuführen

Dieser falsche Demetrius (auch: Pseudodemetrius I.) war das Ergebnis eines langen und sorgsam in-szenierten jesuitisch-pol-nischen Intrigenspiels, al-so der römisch-katho-lischen Kirche gegen das anatolisch-byzantinisch-rechtgläubige Russland.

Demetrius hatte nicht nur die Unterstützung des polnischen, des litauischen Adels und des von Godunow 1601 politisch ausgeschalteten rus-sischen Adelsgeschlechtes der Romanow, sondern vor allem der Kosaken, der Bauern und der Leibeigenen, die den tiefgläubigen Wunsch nach einem klugen und gerechten Zaren hatten. Dieser Wunsch sollte sich noch oft in der russischen Nationalgeschichte wiederholen.

Der Pseudodemetrius war im 17. Jahrhundert der erste von 14 Anwärtern auf den russischen Thron.

der falsche Dimitri
der falsche Dimitri

Er verspach, Russland aus der Zeit der politischen Wirren, der Hungersnöte zu erretten und es von dem "Thronräuber“ und "Unter-drücker“ Boris Godunow zu befreien.

Der falsche Zarewitsch gewann die Herzen der Bevölkerung und auf seine Seite stellten sich sofort unzufriedene Bojaren2, Bau-ern, die Saporoger Kosaken (ukrainische Kosaken) und Kaufleute, alle die unter der bisherigen Herrschaft zu leiden hatten.

der sterbende Boris Godunow mit Sohn Fjodor
aus der Tragödie von Puschkin:
"Boris Godunow"

Schon rückten die Truppen des Prätendenten gegen Moskau, als Boris Godunow plötzlich am 13. April 1605 verstarb. Nach einigen Angaben vom Schlag getroffen, nach anderen an Gift, das er selber genommen hätte. Sein Tod stürzte Russland in eine Existenzkrise.

 

Alexander Sergejewitsch Puschkin, russischer Nationaldichter, verar-beitete 1828 die Geschichte Boris Godunows und Grischka Otrepjews in seinem Drama Boris Godunow, das vom russischen Komponisten Mussorgski als Oper vertont wurde.

Fjodor II.

Fjodor II.
Fjodor II.

Boris Godunows 16-jähriger Sohn Fjodor II. Borissowitsch Godunow wurde von den Bojaren am 14. April 1605, ein Tag nach dem Tod seines Vaters, auf den Thron gehoben, aber nicht zum Zaren von Russland gekrönt. In dieser Zeit stand die Zeremonie der Krönung besonders im Zeichen der Legitimierung der Herrschaft.

Fjodors Regierungszeit fiel in eine Zeit des Aufruhrs und des Verrats. Außerdem war er viel zu jung und unerfahren, um der kritischen Situation Herr zu werden.

 

Makovsky K. (1862: Mord an Fjodor II. Borissowitsch Godunow
Makovsky K. (1862):
Mord an Fjodor II. Borissowitsch Godunow

Am 1. Juni 1605 trafen Gesandten des Pseudo-demetrius I. in Moskau ein, die die Beseitigung Fjodors verlangten.

Fjodor wurde zusammen mit seiner Mutter im Kreml von einer Gruppe von unzu-friedenen Bojaren, die nicht bereit waren dem neuen Zaren Treue zu schwören, verhaftet und kurze Zeit darauf, am 10. Juni 1605 erdrosselt. Seine Schwester Xenia überlebte, wurde die Gefangene und Geliebte des Pseudodemetrius bis sie schließlich in ein Kloster geschickt wurde, wo sie 1622 als Nonne Olga starb.

In der Geschichte Russlands war Fjodors Regierungszeit die kürzeste: 49 Tage. Die Dynastie Godunow war damit nach nur 7jähriger Regierungszeit untergegangen.

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Anmerkungen

1 Boris Godunow = war Berater Zar Iwans IV.; von 1584 bis 1598 Russlands Regent für den geistig zurückgebliebenen Zaren Fjodor I. Nach dem Tod Fjodors wurde er 1598 von der Reichsversammlung (Semski Sobor) zum Zaren gewählt. Er starb am 23. April 1605.

2Bojar = waren Adlige unterhalb des Ranges eines Fürsten bzw. des Zaren. In der Kiewer Rus hatte sich der Bojarenstand im 8.–9. Jahrhundert ursprünglich aus den Leibwachen der Fürsten entwickelt. Seit dem 12. Jahrhundert erlangten sie erheblichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Seit dem 15. Jahrhundert war Bojar ein vom Großfürsten bzw. Zaren verliehener Titel der Mitglieder des Bojarenrates (Ratgeber der Großfürsten und Zaren). Da sie der zentralistischen Politik der Moskauer Großfürsten entgegentraten, versuchten diese seit dem 15. Jahrhundert, den Einfluss der Bojaren zurückzudrängen. Zar Iwan IV. ließ im 16. Jahrhundert viele Bojaren töten oder deportieren, nachdem sich diese, um ihre Privilegien fürchtend, gegen ihn verschworen hatten. Peter I. schaffte den Bojarenstand Anfang des 18. Jahrhunderts endgültig ab und ersetzte ihn durch den Dienstadel (dworjanstwo). Der letzte Bojar starb 1750.