Die schwärmerischen1 Pietisten (Chiliasten)

Eugene Delacroix: Französische Revolution
Eugene Delacroix:
Die Freiheit führt das Volk

viele Separa-tisten sahen in diesen und an-deren Ereignissen die Wehen der Endzeit und erwarteten in nächster Zukunft das Gericht der Gottlosen. Die Gottlosigkeit sah man vor allem in der eng mit der weltlichen Gewalt verbundenen württembergischen Landeskirche2 vertreten.

Nach Meinung dieser Separatisten hatte die Französische Revolution und der Materialismus der Zeit, die Herrschaft des Antichristen eingeleitet.

Johann Heinrich Jung-Stilling
Johann Heinrich Jung-Stilling

Napoleon galt vielen Sepa-ratisten als die Ver-körperung des “Anti-christen“, über den der endgültige Sieg, wie von der Offenbarung des Wirt-schaftswissenschaftler Johann Heinrich Jung-Stilling geweissagt, noch bevorstand.

Nach dieser Schreckens-periode (Wirtschaftskrise, Kriege und Kirchenreformen) erwarteten die Pietisten, wie es der Theologe Johann Albrecht Bengel voraussah, am 18. Juni 1836 die Wiederkunft Christi und den Anbruch seiner tausendjährigen Herrschaft auf Erden am Ende der Weltgeschichte bzw. am Ende allen Unheils, an dem nur die Gerechten teilhaben sollten.

Viele Separatisten fühlten sich durch die Unterdrückung ihres Glaubens und der Unfreiheit nicht mehr wohl in der Heimat, in einer Heimat in der sie zum Teil wegen der unruhigen Zeiten sowieso bettelarm geworden waren.

Johann Albrecht Bengel

Die scharfen Reaktionen der Regierung gegen die Separatisten (Strafen, Verhaftungen), aber auch die in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts deutlich anschwellende Endzeitstimmung unter den schwäbischen Pietisten, führte zu einer außer-ordentlichen Unruhe, denn wie es der Theologe Johann Albrecht Bengel voraussah, erwarteten sie, am 18. Juni 1836 die Wiederkunft Christi und den Anbruch seiner tausendjährigen Herrschaft auf Erden am Ende der Weltgeschichte bzw. am Ende allen Unheils, an dem nur die Gerechten3 teilhaben sollten.

 

Johannesoffenbarung
Die Apokalypse,
die Geheime Offenbarung des Johannes,
beginnt mit der Übergabe der Offenbarung
(Offenb. 1,1)

In Anlehnung an die Offenbarung des Propheten Johannes (Offb 1,1; 20, 1-8), letztes prophetisches Buch des Neuen Testaments, suchte man nach einem Bergungsort für die Zeit des Antichristen, wo das neue Volk Gottes bewahrt werden sollte.

Wo sollte dieser Ort sein? In Europa, das dem Untergang geweiht schien?

 

Über die Auswanderungsmöglichkeiten war man in Süddeutschland ausreichend unterrichtet, denn schon Anfang des 18. Jahrhunderts hatte man Amerika als Bergungsort gewählt. Die Auswanderung nach Amerika hatte in den 1750er Jahren schon ihren Höhepunkt erreicht.

 

zurück 1 weiter

1 Schwärmer = abfällige Bezeichnung für radikale Gruppen (Spiritualisten) in der Reformationszeit. Luther bezeichnete alle, die nicht mit seinem Verständnis der Bibel und seiner Lehre übereinstimmten, als "Schwärmer" oder "Schwarmgeister".
Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden in der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung Anhänger reformatorischer Bewegungen als "Schwärmer" bezeichnet, also diejenigen die sich als unmittelbar vom Heiligen Geist geführt verstanden, den Anspruch erhoben, die reformatorischen Glaubenserkenntnis radikal zu verwirklichen und diesen "göttlichen Auftrag" als Offenbarungsquelle neben bzw. über die Bibel stellten und den von ihnen abgelehnten Strukturen und Formen der Kirche und des Gottesdienstes eigene, "dem Heiligen Geist gemäße" Formen entgegensetzen.

2 Evangelische Landeskirche in Württemberg = Herzog Ulrich von Württemberg setzte 1534 in seinem Herzogtum Württemberg die Reformation durch. Dies war das Gründungsjahr der Evangelischen Landeskirche. Der Herzog, später der jeweilige König von Württemberg, war damit auch Oberhaupt der Landeskirche als so genannter summus episcopus, d.h. der jeweilige Herrscher vereinigte die weltliche und die kirchliche Macht.
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg war damit von Anfang an eine Lutherische Kirche, doch ist die Gottesdienstform der reformierten Tradition verpflichtet, d.h. die Gottesdienstfeier wird schlicht abgehalten (Oberdeutsche Form). Die in lutherischen Gemeinden sonst übliche Form der Lutherischen Messe wird nur selten praktiziert.
Eine Besonderheit der Württembergischen Landeskirche ist die enge Verbindung mit dem Pietismus. Bis 1806 war das Herzogtum Württemberg das größte protestantische Territorium im ansonsten katholischen Südwesten Deutschlands. Erst als dann Württemberg Königreich wurde und von Napoleons Gnaden große katholische Gebiete (Oberschwaben) zugeschlagen bekam, endete diese einheitlich religiöse Struktur.
Deshalb wurde von Seiten der Obrigkeit besonders streng auf die Einhaltung des lutherischen Bekenntnisses geachtet, was oft zu einem gewissen Dogmatismus in der Theologie führte. Als Gegenbewegung etablierte sich der Pietismus, dessen wichtigstes Kennzeichen bis heute die persönliche Frömmigkeit ist.
Das Verhältnis von offizieller Landeskirche und Pietisten war oft schwierig, allerdings gab es auf beiden Seiten immer wieder Menschen, die Verständnis für den jeweils anderen hatten, so dass sich die meisten pietistischen Gruppen innerhalb der Landeskirche entwickelten.Viele Kirchengemeinden im altwürttembergischen Raum haben bis heute eine pietistische Prägung.
Seit dem späten 19. Jahrhundert entstanden auch in bisher römisch-katholischen Gebieten (Süd-)Württembergs evangelische Gemeinden.

3 Es gibt zwei Gruppen, die in diesen tausend Jahren bei Christus sein dürfen: die wiederauferstanden Märtyrer (Offenbarung 20) und die 144.000 Gerechten (Offenbarung 14)