Die radikalen Pietisten (Separatisten)

Eugene Delacroix: Französische Revolution
Eugene Delacroix:
Die Freiheit führt das Volk

während sich der Norden Deutschlands wohl über-wiegend auf die Seite der Gegner der Französische Revolution stellte und das Geschehen in Frank-reich als den Beginn der Endzeit interpretierte, waren die Stimmen in Süddeutsch-land unterschiedlich.

Hure Babylon
Hure Babylon

Auch hier sahen viele die Revolution und vor allem Napoleon in negativem Licht und identifizierten ihn mit den Kräften des Satans in der Offenbarung.

Andere wiederum hatten dagegen durchaus Sympathie mit der Revolution und nahmen sogar den Grundsatz von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit in ihr endzeitliches Szenario. Es waren diejenigen, die in der Kirche die eigentliche “Hure Babel1“ sahen, von der es sich zu trennen (separieren) galt.

 

Gesangbuch der evangelischen Kirche in Württemberg

Als die württembergische Lan-deskirche2 1791 anfing, Refor-men durchzuführen (Einführung des neuen Gesangbuches), kam es im Jahr 1800 zu so großen Unruhen, dass Polizei und sogar Militär eingreifen mussten.

Das neue Kirchengesangbuch nahm anstelle einer großen Anzahl der gewohnten, sprachlich kräftigen Kirchenlieder, die in Kirche, Schule und Haus gesungen wurden und zu Volksliedern geworden waren, 115 neue Lieder auf. Nur 29 Luther-Lieder blieben unverändert erhalten, was als ein einschneidender Bruch mit alten Frömmigkeitsformen empfunden wurde.

Der Kirchenbesuch
Kirchgang im Schwarzwald

Die 1809 neu eingeführte Liturgie, insbesondere die Taufliturgie stieß in vielen Gemeinden auf großen Widerstand.

Das Weglassen der “Abrenuntiation“ stand in gewaltigem Widerspruch zur drastischen Aus-drucksweise der alten Form. Statt der Frage: „Widersprichst du dem Teufel und allen seinen Werken und Wesen?“ hieß es nun: „Entsagen Sie allem Unglauben, oder Aberglauben, allen sündlichen Gesinnungen, Neigungen und Werken?“

Nach volkstümlicher Auffassung war mit der Weglassung des Teufels, Kraft und Segen der Taufformel aufgehoben und wurde als Zeichen für die Auslieferung an das Böse gedeutet. Der Antichrist konnte nun auch von der Kirche Besitz ergreifen, weil man ihm den Eingang nicht mehr verwehrte. Viele Eltern weigerten sich daher, ihre Kinder in der „ungläubigen“ Kirche taufen zu lassen.

Carl Bantzer: das Abendmahl
Carl Bantzer: das Abendmahl

Außerdem wurde das Abendmahl zum Gedächt-nismahl umbewertet und an Sonn- und Feiertagen sollten nur noch Predigt und Katechese, aber keine weiteren kirchlichen Zusammenkünfte (Stunden genannt) gehalten werden.

Die Predigten konnten aber das tiefe religiöse Bedürfnis der Pietisten nicht befriedigen.

Es kam zum endgültigen Bruch mit der Kirche, deren “Abfall“ sie in Zusammenhang mit der politischen Krise brachten.

Die Pietistengemeinden blieben nun vom Gottesdienst und vom Abendmahl fern, ließen auch ihre Kinder nicht mehr taufen, verweigerten den Militärdienst, redeten die Repräsentanten der Obrigkeit mit „Du“ an und schickten auch ihre Kinder nicht mehr in die Schule.

Einer dieser Separatisten, Christian Grelich aus Nordheim, schrieb 1801 an seinen Pfarrer:

„….. er lasse sein Kind nicht taufen, weil die Kirche seinem Kind die Seligkeit nicht bringe; sie habe zu viele breite Gänge und doch führe ein schmaler Weg zum Leben; sie sey ein Rauff- und Todten-Haus“.

aus: Konfession als Lebenskonflikt, Juventa Verlag, Weinheim, 2001, S. 120;

 

vom breiten und vom schmalen Weg
Das Bild „vom breiten und vom schmalen Weg“ spiegelt anschaulich das pietistische Selbstverständnis. Es entstand um 1860 auf Anregung der Stuttgarter Kaufmannsfrau Charlotte Reihlen. Die Stationen am schmalen Weg - Sonntagsschule, Knaben-Rettungsanstalt oder Diakonissenhaus – propagieren ein in den christlichen Glauben eingebettetes, asketisches Leben von der Taufe bis ins Jenseits. Die Stationen am breiten Weg dagegen – Spielhölle, Maskenball und Theater – warnen vor Alkohol und Krieg und stehen für ein sinnentleertes, oberflächliches Leben.

Viele traten aus der Kirche aus (radikale Pietisten). Sie warfen der Kirche vor, sie sei Wegbereiterin des Katholizismus und strebe die Vereinigung der beiden Konfessionen an.

 

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1 Hure Babel = (auch Hure Babylon); in der von der Offenbarung des Johannes (17 und 18) geprägten christlichen Symbolik gilt Babylon als gottesfeindliche Macht und Hort der Sünde und Dekadenz. Die Hure Babylon ist eine der biblischen Allegorien für die Gegner der Gläubigen im Allgemeinen und das römische Weltreich im Speziellen. Martin Luther deutete das ihm verhasste Papsttum als Hure Babylon.

2 Evangelische Landeskirche in Württemberg = Herzog Ulrich von Württemberg setzte 1534 in seinem Herzogtum Württemberg die Reformation durch. Dies war das Gründungsjahr der Evangelischen Landeskirche. Der Herzog, später der jeweilige König von Württemberg, war damit auch Oberhaupt der Landeskirche als so genannter summus episcopus, d.h. der jeweilige Herrscher vereinigte die weltliche und die kirchliche Macht.
Die Evangelische Landeskirche in Württemberg war damit von Anfang an eine Lutherische Kirche, doch ist die Gottesdienstform der reformierten Tradition verpflichtet, d.h. die Gottesdienstfeier wird schlicht abgehalten (Oberdeutsche Form). Die in lutherischen Gemeinden sonst übliche Form der Lutherischen Messe wird nur selten praktiziert.
Eine Besonderheit der Württembergischen Landeskirche ist die enge Verbindung mit dem Pietismus. Bis 1806 war das Herzogtum Württemberg das größte protestantische Territorium im ansonsten katholischen Südwesten Deutschlands. Erst als dann Württemberg Königreich wurde und von Napoleons Gnaden große katholische Gebiete (Oberschwaben) zugeschlagen bekam, endete diese einheitlich religiöse Struktur.
Deshalb wurde von Seiten der Obrigkeit besonders streng auf die Einhaltung des lutherischen Bekenntnisses geachtet, was oft zu einem gewissen Dogmatismus in der Theologie führte. Als Gegenbewegung etablierte sich der Pietismus, dessen wichtigstes Kennzeichen bis heute die persönliche Frömmigkeit ist.
Das Verhältnis von offizieller Landeskirche und Pietisten war oft schwierig, allerdings gab es auf beiden Seiten immer wieder Menschen, die Verständnis für den jeweils anderen hatten, so dass sich die meisten pietistischen Gruppen innerhalb der Landeskirche entwickelten.Viele Kirchengemeinden im altwürttembergischen Raum haben bis heute eine pietistische Prägung.
Seit dem späten 19. Jahrhundert entstanden auch in bisher römisch-katholischen Gebieten (Süd-)Württembergs evangelische Gemeinden.