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Altdanzig1,
eine deutsche Mutterkolonie in Südrussland


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Die evangelische Mutterkolonie Altdanzig (auch: Danzig, heute: ukrainisch Крупське/Krupske; russisch Крупское/Krupskoje) liegt etwa 15 km südwestlich von Kirowograd am Ufer des Suhoklija (Сугоклія), einem 44 km langen Nebenfluss des Inhul.

Gegründet wurde die Kolonie 1787 von 29 protestantischen Familien aus dem Regierungs-bezirk Danzig im Königreich Preußen und lag weit entfernt von anderen deutschen Siedlungen inmitten einer russisch-ukrainischen Bevölkerung.

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Kolonien in Südrussland um 1860

Kolonien in Südrussland um 1860

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1786 beauftragte Fürst Grigory Potjomkin, Generalgouverneur der südlichen Provinzen, den württembergischen Werbeagenten Georg von Trappe2 , im Regierungsbezirk Danzig im Königreich Preußen neue Siedler anzuwerben.

Tatsächlich gelang es ihm rund 50 Familien fast ausschließlich ärmere Lutheraner für die Auswanderung zu überzeugen. Mit dieser Gruppe verließ er am 21. Oktober 1786 Danzig und führte sie zunächst mit dem Schiff über die Ostsee nach Riga, wo sie überwinterten.

Auswanderungsroute der Danziger
Auswanderungsroute der Danziger

Im nächsten Frühjahr ging es zu Lande mit Fuhrwerken weiter bis nach Russland. In Krementschuk teilte sich die Gruppe. 21 Familien3 begaben sich in die Schwedenkolonie bei Beryslaw, wo sie die leerstehenden Häuser bezogen und 29 Familien zogen weiter nach Jelisawetgrad (heute: Kirowohrad), wo ihnen 15 km südwestlich Land für ihre Kolonie angewiesen wurde. Zur Erinnerung an die alte Heimatstadt wurde die Kolonie Danzig genannt.

Erdhöhle
Erdhöhle

Bei ihrer Ankunft fanden die Siedler eine unbewohnte, wilde Steppenlandschaft vor und aus dem Gemeinde-bericht von 1848 geht hervor, dass sie auf ihr nichts anzufangen wussten.

Der Anfang war sehr schwer. Bauholz erhielten sie von der Krone (Staat). Bis zum Aufbau der Häuser mussten sie sich eigene Hütten (Erdhöhlen) bauen. Als Handwerker verstanden sie nichts von Landwirtschaft, die Tagesgelder von der Krone waren in der Zwischenzeit aufgezehrt und ohne Kenntnis der Landsprache in einem wildfremden Lande bei häufigen Missernten in den ersten Jahren waren sie oft der Verzweiflung nahe.

Infolge einer außerordentlich hohen Sterblichkeit gab es im Jahr 1800 in dieser Kolonie nur noch 21 Familien. 1803 kamen zehn neue Familien aus Hinterpommern (Kreis Bittau) in die Kolonie. 1825 bestand Danzig aus 58 Wirtschaften, davon 53 Landwirte und 5 Handwerker. Es gab ein Bethaus, eine 4-klassige Schule und 3 Windmühlen.

Altdanzig und Neudanzig

Wegen Landmangel erhielten 33 Familien aus der Kolonie 1839 auf Verfügung des Herrn Generals Iwan von Inzow, Hauptfürsorger der Kolonisten Südrusslands von 1818 bis 1841, 30 km nordöstlich von Nikolajew direkt am Ingul im Rayon Baschtanka Land für 60 Familien in der Steppe zugeteilt.

Die neue Kolonie wurde Neudanzig (auch: Boro-datschewo) genannt, worauf die alte Kolonie auf obrigkeitlichen Befehl den Namen Altdanzig erhielt.

Alt- und Neudanzig gehörten zu keinem deutschen Siedlungsgebiet, sondern waren Streusiedlungen. Die Entfernung zwischen den Dörfern betrug sich auf ca. 160 km.

Im Alltag wurden verschiedene Dialekte gesprochen. Neben dem schwäbischen Dialekt gab es den ostpreußischen, den hessischen und den plattdeutschen Dialekt. Die Gemeinde Neudanzig gehörte zum Kirchspiel Nikolajew.

Der Besuch Pastor Bonekempers von Rohrbach in Altdanzig


Johannes Bonekemper
Johannes Bonekemper

Bis 1844 zeichneten die Kolonisten von durch ein schlechtes, unkirchliches Leben aus. In der Kolonie herrschte Unruhe und Saufereien untergruben den Wohstand.

Als Pastor Johannes Bonekemper aus der Kolonie Rohrbach4 im Beresaner Bezirk Anfang 1944 Altdanzig besuchte, erlebte der größte Teil der Gemeinde am 12. Januar 1844 eine Erweckung5. Sie bekehrten sich und ließen ab von ihrem schlechten Lebenswandel.

Saufen, Spielen und Liederlichkeit hatte fortan ein Ende und wenn sich dann und wann einer unter ihnen verfehlte, so wurde er vom Schulzenamt und anderen einsichtsvollen Männern bestraft, damit Gottes Ehre gefördert und der Wunsch der Obrigkeit besser erfüllt werden konnte.6

In den 1860er Jahren fasste der Baptismus in Neurussland Fuß. Der Baptismus hatte unter den 'Stundenhaltern'7 der Kolonien Alt- und Neudanzig besonders große Erfolge.

Alt- und Neudanzig wurden neben Rohrbach zuerst ein Zentrum der Stundisten und dann der Baptisten.

In den 1920er Jahren wurde Altdanzig in Karliwka (Карлівка) und schließlich zu Ehren der Ehefrau Lenins, Nadeschda Krupskaja in Krupske umbenannt.

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Anmerkungen

1 Margarete Woltner: Die Gemeindeberichte von 1848 der deutschen Siedlungen am Schwarzen Meer, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1941, S. 194;

2 Nach der russischen Rangtabelle stand den Zivil- und Hofbeamten das Recht des erblichen Adels ab der achten Klasse zu. Georg Trappe war Kollegienassesor (VIII. Klasse) und wurde zum Kollegienrat (VI. Klasse) befördert.

3 Mit den 21 Familien wurde die Situation in der Schwedenkolonie recht feindselig, denn die Schweden akzeptierten die Danziger nicht, so dass die meisten von ihnen nach ein paar Jahren nach Alt-Danzig weiterzogen und es dort zu Übersiedelung kam.

4 Die evangelische Mutterkolonie Rorhbach wurde 1809 von Familien sus Baden (33), Württemberg (4), Preußisch-Polen (56) und dem Elsass in einem Nebental des Tilgul gegründet. 1813 kamen weitere vier Familien aus Württemberg und 22 aus Preußisch-Polen hinzu. Nach der Revisionsliste von 1816 lebten in der Kolonie 130 Familien. 1817 folgten weitere 16 Familien aus Baden. Dieser Zuwanderung stand eine ständige Abwanderung in andere Kolonien entgegen. Diese Abzugsbewegung, deren Ursache permanenter Landmangel war, hat das Anwachsen der Einwohnerzahl letztendlich aber nicht verhindern können.
Rohrbach gehörte ursprünglich zum Groß-Liebentaler Gebiet und ab 1813, zusammen mit den Kolonien Karlsruhe, Katharinental, Landau, München, Rastatt, Johannestal, Speyer, Sulz, Waterloo und Worms zum Beresaner Gebiet.
1818 zogen zehn Familien in den Kaukasus, 1823 11 Familien nach Odessa und in Nachbardörfer, 1823 zehn Familien nach Besarabien und sieben nach Neudanzig und 1826 11 Familien nach Johannestal. Vier Familien zogen nach Deutschland zurück. Im Jahr 1873 wanderten 400 Personen aus Rohrbach und Worms in die USA aus. Neben dem Ge- meindeland kaufte die Kolonie noch 1.640 Desjatinen, weitere 9.000 Desjatinen wurden gepachtet.
1912 gab es ein Bethaus und zwei Volksschulen mit sieben Lehrern und 465 Schülern sowie einen Konsumverein/-laden. Die medizinische Versorgung übernahm ein Feldscher.
Von 1941 bis 1944 gehörte der Beresaner Bezirk zum rumänischen Besatzungsgebiet Transnistrien und im Frühjahr 1944 wurde die Bevölkerung des Ortes von den SS-Dienststellen als Administrativumsiedler nach Polen in den Warthegau umgesiedelt.

5 Erweckung, im religiösen Sprachgebrauch das spontane Erlebnis des Gewahrwerdens einer religiösen Orientierung und Motivation des gesamten eigenen Lebens (auch: Bekehrung).

6 Margarete Woltner: Die Gemeindeberichte von 1848 der deutschen Siedlungen am Schwarzen Meer, S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1941, S. 196;
Albert W., Jr. Wardin: On the Edge: Baptists and Other Free Church Evangelicals in Tsarist Russia, 1855-1917, Wipf & Stock Verlag, 2013.

7 Stundisten = Anhänger einer um 1830 in der evangelisch-reformierten Gemeinde Rohrbach im Beresaner Siedlungsgebiet entstandenen freikirchlichen protestantischen Gemeinschaft, benannt nach den der Erweckung dienenden Erbauungsstunden, einfach 'Stunden' genannt, des Pfarrers Johannes Bonekempers, aus denen sich eine Bewegung entwickelte, die durch biblizistischen Pietismus, Betonung der persönlichen Bekehrung, Ablehnung kirchlicher Ämter und ethischen Rigorismus gekennzeichnet war und die trotz Verfolgung (bis 1905) große Ausmaße annahm. 1906 zählte sie rund 1/2 Mill. Anhänger in Südrussland und im Dneprgebiet.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts verschmolz sie mehr und mehr mit der evangelisch-baptistischen Bewegung in Russland. 1909 wurde unter Leitung von Iwan Prochanow (*1869, †1935) der 'Bund russischer Evangeliumschristen' in Sankt Petersburg gegründet, der sich 1944 mit den Baptisten vereinigte.