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Der große Kosakenaufstand gegen die polnische Herrschaft (1648)

 

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eit dem 15. Jahrhundert gehörte das Gebiet der Kosaken zwischen Don und Dnepr, die wilde Steppe genannt, nominell zur Polnisch-Litauischen Union1, also zum polnischen (West-Ukraine) und zum litauischen Reich (Ost-Ukraine).

Polen-Litauen
Polen-Litauen

 

 

Bohdan Chmelnizki
Bohdan Chmelnizki

Die Bedrängung der ukrainischen Bauern durch polnische Magnaten (hohe Adlige) und ihre jüdischen Verwalter, die Diskriminierung der orthodoxen Kirche durch den römischen Katholizismus und die Senkung des Heeres der registrierten Kosaken, d. h. die Senkung der Aufnahme von Kosaken in den Sold des Königs von Polen führte schon seit den 20er Jahren zu verschiedenen Aufständen, die aber sofort niedergeschlagen wurden bis es 1648 zum Aufstand unter dem ukrainischen Kosakenführer Bohdan Chmelnizki2 kam.

 

In diesem Chmelnizki-Aufstand wurden zahlreiche polnische Adlige und Verwaltungsleute, katholische Priester und Juden getötet; die übrigen flohen nach Polen oder Litauen. Die Aufständischen plünderten ihre Güter und nahmen ihr Land in Besitz. Die Leibeigenschaltsordnung wurde vielerorts durch die Kosakenorganisation ersetzt.

Judenpogrom

Besonders viele Opfer hatten die Juden zu beklagen, die als Verwalter, Pächter, Schankwirte und Steuereinzieher im Dienste der polnischen Magnaten standen oder als Händler in den Städten lebten.

Die Juden waren also für die ukrainischen Bauern und Stadtbewohner die direkten Repräsentanten der polnischen Adelsherrschaft. Soziale Ursachen der Judenmassaker3 wurden auch vom aus Wolhynien stammenden zeitgenössischen jüdisch-hebräischen Chronisten Nathan Hannover4 unterstrichen:

"Die Massen der orthodoxen Bevölkerung verarmten immer mehr. Man betrachtete sie als minderwertige Wesen und als Sklaven und Dienerinnen der Polen und Juden .... Die Tätigkeit als Steuerpächter der Adligen war der häufigste Beruf der Juden ..., was die Missgunst der Bauern weckte und zur Ursache für die Massaker wurde."

Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, Beck Verlag, München, 2009, S. 61;

 

Die Zahl der Opfer dürften über 20.000 gewesen sein. Nathan Hanover berichtet weiter:

"Die Juden ergriffen sofort die Flucht. Sie rannten um ihr Leben. Wer es nicht schaffte zu entkommen oder dazu unfähig war, wurde getötet."

Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, Beck Verlag, München, 2009, S. 62;

 

Kosaken

Chmelnizki erfocht weitere Erfolge gegen polnische Armeen und zog mit seinem Kosakenheer bis vor Lemberg in die Westukraine, doch kehrte er schon im Januar 1649 nach Kiew zurück.

Dort empfing man ihn, wie ein Zeitgenosse berichtet, als Helden:

"Eine große Menge, die ganze Bevölkerung, begrüßte ihn am Rande der Stadt. Die Akademie hieß ihn mit Reden und Beifall willkommen, man nannte ihn einen Moses, einen Retter, einen Erlöser, einen Befreier des Volkes von der polnischen Knechtschaft."

Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, Beck Verlag, München, 2009, S. 62;

 

Der Hetman Chmelnizki verkündete nun, er werde das ganze Volk der Kiewer Rus von den Polen befreien und als unabhängiger Herrscher der Rus für den orthodoxen Glauben kämpfen. Sein primäres Anliegen war aber nicht die religiöse Emanzipation oder die soziale Revolution der Bauern, sondern die Bestätigung der kosakischen Privilegien, die er sich von dem neuen polnischen König Jan Kazimirez erhoffte.

Im August 1649 schloss Chmelnizki einen Vertrag mit dem polnischen König, der dem Kosakenheer wesentliche Konzessionen machte.

Chmelnizki verhandelt mit Polen
Chmelnizki verhandelt mit Polen

 

Wappen des Kosakenhetmanates
Wappen des Kosakenhetmanates

Polen-Litauen konnte sich aber mit der Verselbständigung des ukrainischen Hetmanats nicht abfinden und so folgte im Jahr 1651 ein militärischer Schlag und die Niederlage der Kosaken. In einem neuen Vertrag wurden die Autonomie und die Privilegien der Kosaken erheblich gestutzt.

 

Hetmanat 1649
Hetmanat 1649

 

Noch während des Volksaufstandes wandte sich Chmelnizki nun an den russischen Zaren Alexei I. und bat ihn, den ukrainischen Kosakenstaat unter russische Herrschaft zu stellen, das 1654 im Vertrag von Perejaslaw vom Semski Sobor genehmigt wurde. Damit verließ die Ukraine, das Grenzland zur Steppe, das sich seit dem Zerfall der Kiewer Rus (im 13. Jahrhundert) unter polnischem Joch befand, formal den polnisch-litauischen Unionsstaat und wurde Teil des Russischen Reiches. Für die ukrainische Geschichtsschreibung begann damit die Geschichte des Kosakenstaates, die erst mit Katharina II. endete.

Saporoger Sitsch
Saporoger Sitsch auf der Insel Chortyzja

 

Józef Brandt: Kosak
Józef Brandt: Kosak

Den Kosaken wurde eine weitgehende Autonomie gewährt; sie waren tributfrei, erhielten ein eigenes Rechtswesen, Selbstverwaltung mit der freien Wahl ihres Hetmans und eine gewisse, wenn auch eingeschränkte außenpolitische Bewegungsfreiheit. Außerdem sollte das Stehende Heer der Kosaken von 60.000 Mann in Regimenter aufgeteilt werden und einen jährlichen Sold von 3 Rubel erhalten, während die kosakischen Starosten Besitzstandrechte über ihre Ländereien erhielten.

 

Für die Kosaken war der Vertrag von Perejaslaw eine Art Militärkonvention, der zwar eine Unterordnung des Hetmanats mit sich brachte, jedoch seine Selbständigkeit wahrte und jederzeit kündbar war.

Kosakenrada
Kosakenrada

Für Moskau dagegen handelte es sich um den ersten Schritt der Eingliederung der Ukraine ins Russische Reich. Schon in den Vereinbarungen von 1654 nannte sich der Zar "Selbstherrscher von ganz Groß- und Kleinrussland" und bezeichnete "Kleinrussland" als sein "Vatererbe" und dessen Bewohner als seine Untertanen.

Der Vertrag von Perejaslaw verpflichtete die Kosaken für lange Zeit für den Zaren als leichte Reiterei in den Krieg zu ziehen und den Moskauer Zaren, zum Schutz der Ukraine der polnisch-litauischen Adelsrepublik den Krieg zu erklären, was zum Ausbruch des Russisch-Polnischen Krieges von 1654–1667 führte.

 

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1 Die Polnisch-Litauische Union bezieht sich auf eine Reihe von Rechtsakten und Allianzen zwischen dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen, die über 400 Jahre bestanden und zur Errichtung des Staates Polen-Litauen 1569 führten und bis 1791 in Mittel- und Osteuropa bestand. Die beiden namensgebenden Länder waren das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen. Das Gebiet umfasste in seiner größten territorialen Ausdehnung um 1600 die heutigen Staatsgebiete von Polen, Litauen, Lettland, Weißrussland sowie Teile Russlands, Estlands, Rumäniens und der Ukraine.
2 Bohdan Chmelnizki wurde vermutlich 1595 in Schowkwa oder in Subotiw geboren und starb am 6. August 1657 in Tschyhyryn.  Er war ein Hetman der ukrainischen Kosaken (Saporoger Kosaken) und der Gründer des ersten Kosakenstaates.
In der Ukraine wird Bohdan Chmelnizki allgemein als ein nationaler Held und Vater der Nation betrachtet. Eine Stadt und eine Region des Landes tragen seinen Namen. Die ukrainische 5-Hrywnja Banknote von 2004 zeigt Bohdan Chmelnizki auf der Vorderseite und ihm zu Ehren wurde im Zentrum von Kiew ein Denkmal errichtet.
3 Judenmassaker = Die Chroniken berichten von großen Zerstörungen und schrecklichen Grausamkeiten der Aufständischen gegenüber jüdischen Frauen und Kindern. Tausende wurden gewaltsam zum Christentum bekehrt. Diese ersten großen Judenmassaker in der Geschichte Osteuropas gelten in der jüdischen Überlieferung als eine Etappe der Leidensgeschichte und als Vorläufer der Judenpogrome in der Ukraine am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts und des Holocaust.
4 Nathan Hannover = (vollständiger Name: Nathan oder Nata ben Moses Hannover) Er wurde berühmt als Chronist der Judenverfolgungen in Polen und Russland durch kosakische Rebellen unter Bohdan Chmelnizki (1648/49). In seinem umfassenden Werk beschrieb er nicht nur die Zerstörung hunderter jüdischer Dörfer, sondern schilderte auch detailreich das jüdische Leben in Osteuropa. Sein Buch ("Yeven Mezulah") bewahrte die Erinnerung an eine untergegangene wichtige Epoche jüdischen Lebens.
Er selbst wurde vermutlich in Krakau geboren und lebte als Talmud-Lehrer in Zaslav in Volhanynia (heutige Ukraine). Ihm gelang es während des Judenpogroms zuerst nach Prag und dann nach Venedig zu fliehen. Dort studierte er die Kabbala und wurde ein wichtiger Vertreter der Kabbalisten. Später führte er als Rabbiner die jüdische Gemeinde in Jassy (Moldawien). Seine letzten Jahre verbrachte er in Italien.

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