Du bist in: Geschichte der russischen Leibeigenen > im 18. Jahrhundert

 

Die Leibeigenschaft in Russland

im 18. Jahrhundert

(Teil 1 von 3)

 

Peter der Große 1825
Peter der Große 1825

P

eter der Große (Regie-rungszeit: 1682–1725) wollte Russland aus seiner Rückständigkeit, in dem es sich Ende des 17. Jahrhunderts befand, in einen modernen nach westeuropäischen Maßstäben orien-tierten Staat verwandeln.

In den Jahren von 1701 bis 1725 lagen seine Hauptaufgaben in der Reformierung des Staates, der Kriegsführung (Großer Nordischer Krieg, 1701-21) und dem Bau von St. Petersburg (1703).

Nicholas Florianovich Dobrowolski: „Hier werde ich eine Stadt bauen"
Nicholas Florianovich Dobrowolski: „Hier werde ich eine Stadt bauen"

Content for class "right" Goes Here

Als tyrannischer Aufklärer modernisierte Peter sein Land mit Gewalt durch zahlreiche Reformen. Dazu gehörte der Kleiderukas vom 29. August 1699. Jeder Russe sollte sich fortan nach westlichem Muster kleiden. Die Kleiderreform brachte die Männer des Volkes allerdings in große ökonomische Verlegenheit.

„Das Klima zwang sie zu langen schweren warmen Kleidern, die man trug, bis sie zerfielen; nun galt es diese bequeme und warme Tracht gegen kurze und teure Kleider der Fremden auszutauschen."

aus: Bernhard Stern, Geschichte der öffentlichen Sittlichkeit in Russland, Band 1, Hermann Barsdorf Verlag, Berlin, 1907, S. 18;

Nach einer Übergangszeit mussten ab 1705 alle bei Geld- und Prügelstrafe die neue Tracht tragen. An den Stadttoren zogen Soldaten auf, die jedem Bauern, sofern er im gewohnten Kaftan erschien, Ärmel und Schöße abschnitten und ihn obendrein verprügelten. Unter Peter wurden als Bestrafungsinstrumente neben Stöcken und Knuten eine mehrteilige Peitsche mit eingeflochtenen Metallstücken eingeführt.

Peter der Große ließ seinen Untertanen Bärte abschneiden und den Kaftan kürzen
Peter der Große ließ seinen Untertanen Bärte abschneiden und den Kaftan kürzen

 

Mode Anfang des 18. Jahrhunderts
Mode Anfang des 18. Jahrhunderts

Die Europäisierung des Adels mit seinem üppigen Lebensstil, glänzende Tanzabende, Karos-sen, europäische Galakleider, Reisen erforderten außer-ordentliche Mittel, die in den agrarwirtschaftlichen Verhält-nissen nur durch eine bisher nie gesehene Ausbeutung der leibeigenen Bauern gewonnen werden konnten. Dazu wurden kuriose Luxussteuern auf Bärte1, Mützen und Stiefel, Bäder und Eichensärge, sowie neue Verbrauchssteuern geschaffen, wie etwa auf Gurken, Nüsse oder Bienen.

Solntcev Fjodor (1824): Bauernfamilie vor dem Abendessen
Fjodor Solntcev (1824): Bauernfamilie vor dem Abendessen

Zur Formierung seiner Armee, ordnete Peter 1705 eine allgemeine Aushebung im Umfang von einem Soldaten auf zwanzig Haushalte an. Dieses Verfahren wurde zum Muster für den Rest des Jahrhunderts.

 

Der Ukas vom 24. April 1713 bestimmte, dass die Bauern, die sich gegen den Gutsherrn auflehnten, nach Angabe des letzteren mit der Kuute bestraft werden sollten. Längst hatten die Gutsherren solche Strafen nach eigenem Ermessen verhängt.

Prügelstrafe
Prügelstrafe

Der frühere Missbrauch wurde durch diesen Ukas zum Recht. Die vom Staat zu exekutierende Strafe wurde gesetzlich vom Gutsherrn diktiert, die Urteilsfällung wurde rechtlich dem Gutsherrn übertragen und er wurde gesetzlich zum einzigen Richter seiner Bauern.

 

1717 entschloss sich Peter, alle schon bestehenden und provisorischen direkten Steuern durch eine einheitliche direkte Steuer zu ersetzen: als neue Steuereinheit sollte nicht mehr der Hof (Hofsteuer2), sondern alle 'Seelen männlichen Geschlechts der Bauern und des Hofgesindes und anderer Leute, die steuerpflichtig sind', die sogenannte Kopfsteuer3, gelten. Dazu sollte alle 10 Jahre eine Volkszählung zur Erfassung der 'Seelen' erfolgen. 1724 trat die neue Steuer in Kraft.

2 Kopeken (1820)
2 Kopeken (1820)

Die Kopfsteuer nebst der Obroksteuer4 von den staatlichen Bauern und den Einhöfern3 (Vier-Grivensteuer), sowie der Steuer von den Handelsleuten (zu 1 Rubel 20 Kopeken auf den Kopf), galt als Ersatz aller alten Steuern. Die Summe der alten direkten Steuern betrug kaum 1,8 Mill. Rubel, die neue Kopfsteuer nebst der Obroksteuer brachte 4,6 Mill. Rubel und somit stieg infolgedessen die Gesamtsumme der Staatseinnahmen von 6 auf 8 1/2 Mill. Rubel.

aus: Die Finanzwirtschaft Russlands, aus dem Russischen von K Davidson, Otto Wigand Verlag, Leipzig, 1902, S. 10;

Im April 1721 untersagte Peter Leibeigene ohne Land und ohne Rücksicht auf die Zusammengehörigkeit von Familien 'wie Vieh' zu verkaufen und am 5. Februar 1722 wies der Zar die Gutsbesitzer an, für jeden männlichen Bauern oder Cholopen6 80 Kopeken Kopfsteuer abzuführen. Die Geschichte der rechtlosen Cholopen als steuerbefreiter Stand fand somit ihr Ende und zwischen Cholopen und leibeigenen Bauern verlief nun keine Grenze mehr, Unter fiskalischen Gesichtspunkten wurde die Leibeigenschaft somit ausgeweitet.

barra

indietro 1 2 avanti

1 Bartsteuer = Peter der Große verbot am 5. September 1698 per Ukas das Tragen von bis zur Brust herabhängenden Bärten, das eine Art Statussymbol darstellte. So schnitt er z. B. allen seinen Höflingen persönlich das traditionelle Barthaar ab. Peter zog sich so die Wut der streng orthodoxen Russen (Altgläubige) auf sich, die aus religiösen Ansichten (der Mensch als Abbild Gottes sollte dieses Abbild nicht manipulieren) lange Bärte trugen.
Der Zar machte aus dieser Reform aber auch eine Einnahmsquelle. Wer auf seinen Bart beharrte, konnte sich gegen eine saftige Steuer, die von einem Kopeken bis hundert Rubel jährlich betrug (1722 waren das immerhin 50 Rubel) davon freikaufen. Das galt besonders für die Altgläubigen, denen die Kirche mit der Exkommunikation drohte, wenn sie sich scheren ließen.
Als 'Quittung', dass sie die Steuer bezahlt und damit das 'Recht am eigenen Bart' erworben hatten, erhielten sie eine Kupfermarke mit der Inschrift: der Bart ist eine unnütze Last. Diese Marke mussten sie stets auf der Brust tragen mussten. Die Armen, die die Steuer nicht bezahlen konnten, mussten sich bei einer Kontrolle niederknien und wurden rasiert. Die abgeschnittenen Haare steckten sie in ein Säckchen, das sie bis zum Tod an der Brust trugen und das man ihnen mit in den Sarg legte, damit sie dem Heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron Russlands, dieses Glaubenszeichen vorweisen konnten.

2 Hofsteuer = Um Steuererleichterungen zu erhalten waren mehrere Familien auf einen Hof gezogen.

3 Kopf- oder Seelensteuer , die hauptsächlich zum Unterhalt des Heeres bestimmt war, musste jeder Bauer (Leibeigene, Hintersassen, Cholopen) ohne Ausnahme an die Krone bezahlen. Bei der ersten Einziehung 1724 verlangte Peter 74 Kopeken pro männlicher Person, was die Steuerlast im Vergleich zu 1679 auf das Dreifache erhöhte; nach einer Senkung auf 70 Kopeken unter Katahrina I. 1725 blieb der Betrag bis 1794, als er auf 1 Papierrubel angehoben wurde, konstant.
Der Krieg gegen Napoleon forderte auch fiskalisch seinen Tribut; das 'Seelengeld' stieg 1798 auf 1,26 Papierrubel, 1810 auf 2 und 1816 auf 3,3. auf diesem Niveau hielt es sich verhältnismäßig lang. 1861 erhob der Fiskus 1 Silberrubel, die 1839 3,3 Papierrubel entsprachen.
Der Begriff der Seelen fiel 1861 mit der Abschaffung der Leibeigenschaft dahin.

4 Die Obroksteuer war eine jährliche Natural- oder Geldabgabe von leibeigenen Bauern an die Grundherren.
Zu den Naturalabgaben gehörten die Lieferung von Getreide, insbesondere Roggen und Gerste, von Fisch, Geflügel, Schweine- und Hammelfleisch, Butter, Eiern, Holz und Leinwand.
Im Laufe der Zeit nahmen auch die Geldzahlungen zu, teils parallel zu den Naturalabgaben, teils als Ersatz für sie. Vom 16./17. Jahrhundert an waren der Obrok eine Ersatzabgabe an Stelle der von den Leibeigenen zu leistende Fronarbeit. Sie wurde von den Grundherren willkürlich festgesetzt, und ist daher oft als ausbeuterisch zu bezeichnen.
Der steigende Finanzbedarf der Grundherren bewirkte eine kontinuierliche Erhöhung des Obroks. Er stieg vom Anfang des 18. Jahrhunderts von 40 Kopeken auf 24 Rubel im Jahr 1850, wobei die Geldentwertung zu berücksichtigen ist.

5 Einhöfer = ehemalige Wehrbauern, die zu Staatsbauern erklärt wurden.

6 Die unterste Gruppe der Landbevölkerung bildeten die Cholopen, rechtlose Skalven, die als Privateigentum ihrer Herrn galten und zunächst vom Staat quasi als Sache betrachtet und nicht besteuert wurden. Historisch war das Cholopentum aus drei Wurzeln entstanden: erstens stammten die Cholopen von den Kriegsgefangenen ab, die während der Auseinanderstzungen zwischen den Teilfürstentümern sowie im Kampf gegen Livland und die Tataren gemacht worden waren; zweitens waren es in Schuldknechtschaft (Schuldverschreibung = kabala) geratene Bauern, denen es nicht gelungen war, ihren Kredit zurückzuzahlen und die deshalb selbst auf Lebenszeit sowie ihre Nachkommen zu Sklaven des Gläubigers und seiner Familie wurden; drittens gab es auch ruinierte Bauern, die gewissermaßen freiwillig per Vertrag in den Cholopenstatus traten, weil sie sich davon erhofften, ihr Besitzer werde sie durchfüttern und ihnen Obdach gewähren. Daher stieg gerade während der schweren Hungersnot von 1601—1603 die Zahl derartiger Übertritte in die persönliche Unfreiheit stark an.
Von den Leibeigenen unterschied sich der Status der Cholpen in mehrfacher und grundlegender Hinsicht. Dies betraf zunächst die Form der Abhängigkeit: der Leibeigene war ursrünglich an das Land gefesselt (Schollenbindung); der Cholop war durch Erbschaft oder Verschuldung an eine Person gebunden, in der Regel an einen Adligen oder Bojaren. Wurde der Anspruch auf einen Leibeigenen im Grundbuch festgelegt, geschah dies beim Cholopen zumeist durch die Schuldverschreibung (kabala). Die Mehrheit der Leibeigenen der Bauern, die Mehrheit der Cholopen lebte als Diener oder Handwerker beim Gesinde des Herrn und ging keiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nach. Bauern waren steuerpflichtig, Cholopen nicht; Bauern mussten für ihre Ernährung und Kleidung selbst sorge tagen, Cholopen nicht, da diese Pflicht von Rechts wegen dem Herrn oblag. Auch das Besitzrecht der Cholopen war weitaus schlechters als das der Bauern. Nach Artikel 20,93 des Gesetzbuches von 1649 stand dem Cholopen außer seinem Kleid nichts zu. Außerdem sollte jeder wieder eingefangene Cholope 'gnadenlos auf dem Bock geknutet' werden; dem Herrn wurde allerdings untersagt, einen Cholopen nach erfolglosem Fluchtversuch zu misshandeln oder verhungern zu lassen. Die Geschichte der Cholopen als steuerbefreiter Stand fand sein Ende unter Peter dem Großen, der am 5. Februar 1722 die Gutsbesitzer anwies für jeden männlichen Bauern oder Cholopen 80 Kopeken Kopfsteuer abzuführen

.
Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 3.0

CSS validoHTML valido
2007 - 2018