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Die Leibeigenschaft in Russland

im 16. Jahrhundert

(Teil 1 von 2)

 

I

wan IV. (Regierungszeit: 1547–1584) überarbeitete 1550 das Gesetzbuch (Sudebnik) seines Großvaters Iwan des Großen aus dem Jahr 1497 und bestätigte in Artikel 88 den alljährlichen Herrenwechsel am St. Georgstag (eine Woche vor und eine Woche nach dem St. Georgstag, dem 26. November nach dem Julianischen Kalender).

Ein Bauer verlässt seinen Herrn
Sergei Wassiljewitsch Iwanow (1908): Ein Bauer verlässt seinen Herrn am St. Georgstag
Iwan IV.
Iwan IV.

Um seine Militärausgaben zu finanzieren und seine Berufsarmee auszurüsten, schuf Zar Iwan IV. immer höhere Abgaben, wie die sogenannte 'Tatarensteuer1', 'Flintengelder' zur Erhaltung der Füsiliere, 'Salpetergelder' zur Herstellung von Schießpulver, 'Schützensteuer' zur Ausrüstung und Besoldung der Berufssoldaten, 'Festungsgelder' für den Ausbau von Festungen in Grenzgebieten oder 'Gefangenengelder' für den Loskauf der Gefangenen.

 

Vom Ende des 16. Jahrhunderts an bezeugen Quellen das Vorhandensein und die weite Verbreitung von zwei Formen der Feudalrente2: als Arbeits- (Frondienst3) und als Geldrente (Obrok4). Die Produktenrente diente zur Ergänzung entweder der Fronarbeit oder der Geldleistungen. Selten kam in reiner Form eine der drei Vertragsarten vor; allgemein verbreitet waren die Kombinationen von zwei oder sogar von allen drei Vertragsarten.

Saporoger Kosak
Saporoger Kosake

Während die Bauern danach strebten, das Wachstum der Fronarbeit aufzuhalten, sie im relativ geringen bisherigen Umfang zu stabilisieren oder die Fronarbeit durch den Obrok zu ersetzen, war das Bestreben der Feudalherren dagegen die Fronarbeit zur Grundlage der bäuerlichen Verpflichtungen zu machen.

Viele Bauern reagierten auf die immer höher werdenden Abgaben mit der Flucht zu den Kosaken unterhalb der Dnepr-Stromschnellen, zu den sogenannten Saporoger Kosaken, an den Don, an den Ural, oder nach Sibirien, wo sie auf ein freieres Leben hofften. Dem sollte 1581 ein Gesetz gegensteuern, das den Bauern für bestimmte Jahre verbot (Verbotsjahre), ihren Herren zu wechseln.

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1 Die Tatarensteuer bestand aus einer Kopf- und Grundabgabe, aus Fuhrgeldern für die Beförderung von Beamten und für die Befreiung von Kriegsgefangenen.

2 Unter Feudalrente ist die Aneignung bäuerlicher Mehrarbeit durch die örtlichen Herrschaftsträger und Grundherren in Form von Abgaben und Diensten zu verstehen. Die Abschöpfung der bäuerlichen Leistungen konnte im Wesentlichen auf dreierlei, teilweise kombinierte Arten erfolgen:
als Arbeitsrente in Form von Frondiensten
als Produktrente, also direkte Abgabe bäuerlicher (Natural-)Produkte
als Geldrente in rein monetärer Form.

3 Unter die Frondienste zählten alle Arten von unentgeltlicher Feldbestellung, ferner das Mahlen des Getreides, der Gemüseanbau, das Errichten von Gebäuden und Zäunen, die Anlage von Fischteichen, das Bierbrauen und Flachsspinnen. Die Barš"ina geht bis in die Kiewer Rus’ zurück. Die Fronarbeit musste im Rahmen der Leibeigenschaft - von den Grundherrn willkürlich, in Form und Dauer häufig ausbeuterisch festgesetzt - als Arbeit auf den Feldern, im Haus und als Fuhrdienst das ganze Jahr hindurch geleistet werden. Das Ausmaß insgesamt war zeitlich und geographisch verschieden.
Erst 1797 kam unter Paul I. ein wenig beachteter Erlass heraus, der die Fronarbeit auf maximal 3 Wochentage beschränkte. Die Fronarbeit wurde ab dem 17. Jahrhundert immer mehr durch den Obrok ersetzt und dauerte bis in die 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Sie wurde mit der Abschaffung der Leibeigenschaft 1861 in geregelte Vertragsbeziehungen zwischen Bauern und Gutsbesitzern überführt.

4 Der Obrok war eine jährliche Natural- oder Geldabgabe von leibeigenen Bauern an die Grundherren.
Zu den Naturalabgaben gehörten die Lieferung von Getreide, insbesondere Roggen und Gerste, von Fisch, Geflügel, Schweine- und Hammelfleisch, Butter, Eiern, Holz und Leinwand.
Im Laufe der Zeit nahmen auch die Geldzahlungen zu, teils parallel zu den Naturalabgaben, teils als Ersatz für sie. Vom 16./17. Jahrhundert an waren der Obrok eine Ersatzabgabe an Stelle der von den Leibeigenen zu leistende Fronarbeit. Sie wurde von den Grundherren willkürlich festgesetzt, und ist daher oft als ausbeuterisch zu bezeichnen.
Der steigende Finanzbedarf der Grundherren bewirkte eine kontinuierliche Erhöhung des Obroks. Er stieg vom Anfang des 18. Jahrhunderts von 40 Kopeken auf 24 Rubel im Jahr 1850, wobei die Geldentwertung zu berücksichtigen ist.

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