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Die deutsche Vorstadt im 17. Jahrhundert

(Teil 6 von 7)

russische Soldaten um 1665
russische Soldaten um 1665

Zu einer massenhaften Einstel-lung europäischer Offiziere in das russische Heer kam es in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-hunderts. Aus den Unterlagen der Volkszählung von 1663 geht her-vor, dass es damals in der Deutschen Vorstadt 204 Höfe gab, von denen 70% Offizieren ge-hörten. Darüber hinaus waren unter den Hauseigentümem der Deutschen Vorstadt 24 aus-ländische Handwerksmeister ein-getragen, einschließlich der Militärfachleute für Geschütz- und Waffenwesen. Unter der Bevölkerung der Neu-Deutschen Vorstadt überwog somit zahlenmäßig das militärische Kontingent. Es machte zu jener Zeit etwa drei Viertel der gesamten erwachsenen Bevölkerung aus.

In der militärischen Hierarchie des russischen Staates wurden die Verdienste der deutschen Offiziere hoch geschätzt und gut bezahlt. Dabei leisteten sie hauptsächlich in der Hauptstadt ihren Dienst und nicht an der Peripherie des russischen Staates, d. h. zur Ausübung militärisch-administrativer Funktionen waren Ausländer zu dieser Zeit nicht zugelassen.

Aleksander Wassiljewitsch Wiskowatow: Strelitzen 1674
A. W. Wiskowatow:
Strelitzen 1674

Zur Mitte des 17. Jahrhunderts waren in Moskau insgesamt etwa 40.000 Soldaten, einschließlich deutscher und aus-ländischer Offiziere, einquartiert.

Im Unterschied zu den russischen Offizieren erhielten die deutschen Offiziere überwiegend keine Landgüter für ihren Dienst. Ländereien mit Bauern und auch ein erhöhtes Gehalt bekamen nur diejenige, die den orthodoxen Glauben annahmen, was auch gar nicht so selten vorkam.

Der englische Gesandte Fletcher, der sich um 1588 für 6 Wochen in Moskau aufhielt, erzählte, dass sich viele Livländer hätten taufen lassen, um mehr Freiheit und Lohn zu erhalten.

 

orthodoxe Kirche in Basmannaya
orthodoxe Kirche in Basmannaya

Indem sie zur Orthodoxie übertraten, wurden die Ausländer sofort zu Staatsangehörigen des russischen Staates und verloren das Recht auf die Ausreise in ihre Heimat, was einige von diesem Schritt abhielt. Allerdings zwang der Mangel an Lutheranerinnen und die Eheschließung mit rus-sischen Frauen viele von ihnen, den orthodoxen Glauben anzu-nehmen. Der Übertritt zur Orthodoxie wurde im 17. Jahrhundert mit Geldgeschenken, Pelzwerk und kostbaren Stoffen belohnt.

Die Moskauer Behörden wollten die neubekehrten "Orthodoxen” von den deutschen Lutheranern trennen und siedelten die "neugetauften Ausländer" in der Basmannaja Vorstadt an.

 

russische Bekleidung um 1674
russische Bekleidung um 1674

1690 schreibt der Zeitgenosse Georg Adam Schleusing aus Bautzen, man teile die deutschen Offiziere in Altdeutsche und Neudeutsche; die Altdeutschen seien bereits in der dritten Generation in Russland, und obwohl sie aus guter Abstammung gewesen sein mögen, sei das deutsche Blut bei ihnen längst „ausgekocht“, sie hätten russische „Manier“ angenommen, gingen russisch gekleidet und seien in militärischen Dingen sehr unwissend. Für sie gebe es keine Rückkehr mehr in die Heimat, weil ihre Väter und Großväter in ewige Staatsangehörigkeit des Zaren eingetreten sind und weil viele von ihnen den russischen Glauben angenommen haben. Unter den Neudeutschen, die vom Zaren eingeladen wurden und früher dem schwedischen, dem polnischen oder anderen Königen gedient hatten ... gebe es dagegen viele tüchtige Leute.

Die Ausländer verkehrten viel mehr untereinander als mit den Russen und reisten ab und zu in die Heimat; sie erhielten aus derselben oft Briefe und Zeitungen und nahmen so an den Geschicken Europas und an der geistigen Entwicklung des Westens teil.

 

Adam Olearius
Adam Olearius

Der aus Aschersleben stammende Reiseschriftsteller Adam Ölschläger, genannt Olearius1, beschreibt, es gebe in Russland „viele Abtrünnige, die sich hätten taufen lassen“.

Im Großen und Ganzen macht die ausländische Bevölkerung in Russland im 17. Jahrhundert einen tüchtigen, zuverlässigen und achtbaren Eindruck.

 

Persönlichkeiten, wie Patrick Gordon2, Laurentius Blumentrost (Arzt aus Mühlhausen (Thüringen), trat 1668 in den Dienst des Zaren Alexei I.), Laurentius Rinhuber (Arzt aus Sachsen, trat 1674 als Leibarzt in den Dienst des Zaren Alexei I.), Ärzte, Pastoren, Kaufleute, Techniker usw. waren achtbare, angesehene und auch in russischen Kreisen beliebte Leute. Dabei fehlte es natürlich nicht an Abenteurern und Rohlingen, Betrügern und Schwindlern. Unter den nach Russland Eingewanderten gab es nicht selten entlaufene Galgenstricke, Meineidige, Giftmischer (spöttisch für Apotheker) u. a. mehr.

Wassili III.
Wassili III.

So soll der Arzt Fiedler in der Zeit des Zaren Wassili III. den gefährlichsten Gegner desselben vergiftet haben und Doktor Bomelius, der am Hof Iwans IV. eine Zeit lang eine angesehene Rolle spielte, galt für eine Art Giftmischer und soll als solcher eine Art Henkerrolle unter dem grausamen Wüterich gespielt haben. Er selbst wurde dann unter furchtbaren Martern hingerichtet.

Alexei I.
Alexei I.

 

 

Der Engländer Samuel Collins, Leibarzt des Zaren Alexei I., schrieb zwischen 1667 und 1671 und erzählt von einem Engländer, der Falschmünzer war. Patrick Gordon bemerkt in seinem Tagebuch, dass ein „großer Teil der in den Jahren 1661-1663 nach Russland gekommenen fremden Offiziere niederträchtige und schlechte Leute“ gewesen seien.

 

 

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Anmerkungen

1 Adam Olearius(*1599  in Aschersleben † 1671 Schloss Gottorf/Schleswig) war Gelehrter und Handelsdiplomat. Nach seinem Studium der Theologie, Philosophie und Mathematik in Leipzig gelangte der junge Gelehrte 1633 an den Hof des Herzogs  Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf. Der Herzog, der eine wirtschaftliche Anbindung Norddeutschlands mit Persien und Russland plante, stattete eine Gesandtschaft aus, die am 6. November 1633 in Hamburg abfuhr. Das erste Ziel dieser Delegation war Moskau, wo sie mit Zar Michael I. ein Handelsabkommen abschließen wollte. Da der Zar aber äußerst unrealistische Vorstellungen darüber hatte, scheiterte die Gesandtschaft in ihrem eigentlichem Auftrag.
Über seine Reise berichtete Adam Ölschläger, wie Olearius er eigentlich hieß, in Moskowitische und persische Reise: die holsteinische Gesandtschaft 1633-1639, die 1647 erstmals in Deutsch erschien. Nach Herbersteins Reisebeschreibungen war dies der bedeutendste Bericht über Russland.

2 Patrick Gordon war ein schottischer General der russischen Armee.Patrick wurde am 31. März 1635 als jüngster Sohn der katholischen Familie Gordon of Auchleuchries geboren. Aus religiösen Gründen weigerte er sich eine Universität in Schottland zu besuchen und verließ 1651 seine schottische Heimat. Über Danzig, Kulm, Posen und Hamburg tritt er 1661 in den Dienst des russischen Zaren Alexei I. Zusammen mit anderen Landsleuten und weiteren Westeuropäern sollte Patrick Gordon die russischen Truppen ausbilden. Doch findet er sich mit der komplizierten Situation am zaristischen Hof nicht zurecht und entschließt sich gegen Ende des Jahres 1661 Russland wieder zu verlassen, was ihm aber nicht erlaubt wurde. Er zeichnete sich in den Feldzügen gegen die Türken aus, war längere Zeit Kommandant von Kiew, wurde 1687 General und gewann seit 1689 hohen Einfluss auf Peter den Großen, dessen Heere er mit François Lefort auf europäische Art ausbildete. Im Türkenkrieg 1696 leitete er als kommandierender General die Operationen und eroberte die Festung Asow. Während Peters erster Auslandsreise war er Gouverneur von Moskau und unterdrückte den Aufstand der Strelitzen. Zum Ende seines Lebens war Gordon schwer krank und wurde immer wieder von Zar Peter besucht. Dieser soll während er starb (†29. November 1699) seine Hand gehalten und ihm die Augen geschlossen haben.