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Die deutsche Vorstadt im 17. Jahrhundert

(Teil 1 von 7)

Alexei I.
Alexei I.

Auch während der Regierungsjahre des 2. Romanows, Zar Alexei I., (1645-1676), der Vater von Peter I., dauerten die Bestrebungen, Ausländer zum Eintritt in russische Dienste zu bewegen, fort. Man hatte in Russland recht vielfältige Bedürfnisse.

So erhielt z. B. im Mai 1672 der Obrist Nikolaus von Staden den Auftrag, nach Kurland1 zu reisen und dort Bergleute, Trompeter und Komödianten anzuwerben.

Es geschah aber, dass die von Staden zur Übersiedlung nach Russland eingeladenen Bergleute sich fürchteten dahin zu reisen und sich weigerten, dem Ruf Folge zu leisten, weil sie gehört hatten, dass Ausländer Russland nicht problemlos wieder verlassen konnten. Von Staden traf im Dezember 1672 mit nur einem Trompeter und drei Musikanten wieder in Moskau ein.

Preobrashenskoje unter Alexei I.
das Theater in Preobrashenskoje zur Zeit Alexeis I.

 

Alexei schützte die Ausländer vor Verfolgungen seitens seines bornierten Volkes, warb Militärärzte an, errichtete Feldapotheken, begünstigte die Manufaktur und den Schiffsbau. Alexei hatte erkannt, dass zur Vergrößerung der russischen Macht, des russischen Ansehens und Reichtums die Gründung einer Flotte nötig sei. Zwar fehlte es an Seehäfen, nur das weiße Meer bot sich als solcher an; in Ermanglung dieser Seehäfen ließ Alexei 1669 auf der schiffbaren Wolga von holländischen Schiffsbauleuten eine Fregatte und eine Yacht bauen, die gegen die unruhigen Tataren angewendet werden sollten. Bei dem, vom Donkosaken Stepan Razin angefachten, Aufruhr wurden jene beiden Fahrzeuge aber zerstört und die Mannschaft größtenteils getötet, wodurch das ganze Unternehmen ins Stocken geriet.

Das erste russische Kriegsschiff
Das erste russische Kriegsschiff.
Es war 24,5 m lang, 6,5 m breit und mit 22 Kanonen bewaffnet.

 

Die Anlage von Eisenwerken, Kupfergruben und die Eisenhütten in Tula boten fremden Industriellen materiellen Gewinn.

 

Mit dem stetigen Zuwachs von Ausländern in Moskau kam es zu einem immer größeren Widerspruch zwischen der weltlichen und der geistlichen Macht: Erstere bedurfte verschiedener ausländischer Fachleute, letztere dagegen versuchte jeden Kontakt orthodoxer Moskauer mit Andersgläubigen, den "Ketzern", zu unterbinden. Diese Opposition kam in einer Reihe von Erlassen und Maßnahmen von seiten der Regierung zum Ausdruck.

 

Christusikone aus dem 6. Jahrhunder
Christusikone aus dem 6. Jahrhundert

So untersagte die Regierung in der Zeit Alexeis I. den Ausländern die Anfertigung und den Verkauf russischer Heili-genbilder. Es war ein Gewer-bezweig, der nicht sowohl aus kommerziellen oder technisch-industriellen als auch reli-giösen Gründen ein nationales Monopol bleiben musste.

Außerdem konnte ein gewisses Streben der Regierung wahr-genommen werden, die Kirchen der Ausländer aus der Stadt hinaus zu verlegen. Man benutzte dazu gern manche sich darbietende Gelegenheit, um solche Maßregeln durch-zusetzen.

So geschah es dann auch, dass im Jahr 1638 eine Massen-petition der Russen bei der Regierung wegen der Abhilfe dieses Missstandes eingereicht wurde; hunderte von russischen Kaufleuten hatten dieselbe unterzeichnet. Zunächst hatte diese Manifestation keine schlimmere Folge, als dass den Ausländern als Strafe für ihre Überlegenheit in ökonomischen Angelegenheiten ein scharfer Verweis erteilt wurde.

orthodoxe Holzkirche in Russland
orthodoxe Holzkirche in Russland

Als aber zu Anfang der 40iger Jahre ein Teil der russischen Geistlichkeit die Sache in die Hand nahm und die Vertreter von nicht weniger als 11 russischen Kirchen gegen das Treiben der Ausländer im Zentrum der Hauptstadt und in unmittelbarer Nähe der orthodoxen Gotteshäuser Protest erhoben, da hatte ein solches Vorgehen sehr bedenkliche Folgen.

Die Bitte der Geistlichen, die Deutschen aus den von ihnen erworbenen Häusern zu vertreiben, ihnen den weiteren Ankauf von Grundstücken in diesen Stadtteilen zu untersagen und ihre Kirchen zu entfernen, wurde 1645 in sehr ausgedehntem Maß erfüllt.

Johannes Calvin
Johannes Calvin: Reformator
französischer Abstammung
und Begründer des Calvinismus

Sowohl das fertige Bethaus als die im Bau begriffene Kirche der Reformierten2 wurden dem Erdboden gleichgemacht.

Ebenso wurden die beiden lutherischen Kirchen abgetragen.

Vergebens wandten sich einige Ärzte, die bei Hof Einfluss hatten, mit einer Eingabe an die Regierung, man solle wenigstens die eine etwas entfernter vom Mittelpunkt der Stadt gelegene Kirche stehen lassen.

 

 

 

Adam Olearius
Adam Olearius

 

Der aus Aschersleben stammende Reiseschriftsteller Adam Ölschläger, genannt Olearius3, erzählt eine seltsame Episode:

in einer in der Stadt befindlichen lutherischen Kirche habe einmal ein so wüstes „Weibergezänk“ stattgefunden, das in eine Schlägerei ausartete; der zufällig vorbeireitende Patriarch, der dies beobachtet hatte, ordnete an, die Kirche niederzureißen und sie an einem entlegeneren Ort wieder aufzubauen.

Russiche Kleidung
Russische Kleidung

Ferner erzählt Olearius, dass die in Russland lebenden Ausländer in russischer Tracht zu gehen pflegten, um von den Russen nicht verhöhnt und beschimpft zu werden.

Da hätten aber einmal bei einer Prozession Deutsche und Russen beieinander gestanden und als der Patriarch allem Volk den Segen erteilte, hätten die Deutschen sich nicht verneigt wie die Russen, worauf der Patriarch sich sehr unwillig darüber geäußert habe, dass die "unwürdigen" Deutschen auch des Segens teilhaftig geworden seien, ja dass sie ihm, indem sie russische Kleidung trügen, den Segen gleichsam gestohlen hätten. Da wurde denn von Stund an den Ausländern auf das allerstrengste verboten, sich der russischen Tracht zu bedienen.

europäische Kleidung im 17. Jahrhundert
europäische Kleidung im 17. Jahrhundert

Recht geistreich schildert Olearius, wie es den Ausländern schwer gefallen sei, einen so raschen Kostümwechsel zu bewerk-stelligen, wie man ganz alte und abgelegte oder schlecht passende Kleidungsstücke hervorgeholt und dabei viel gelacht habe.

Aber es sollte noch anders kommen. Nach dem Befehl, was die Kleidungen anbetraf, erschien bald ein anderer und zwar durften die Ausländer keine orthodoxen Hausdiener mehr beschäftigen und in den Staatsdienst wurden nur noch Personen eingestellt, die den orthodoxen Glauben angenommen hatten.

 

Im Herbst 1652 ging eine für die Geschichte Moskaus ungewöhnliche Periode zu Ende, in der Ausländer in der Stadt frei unter der russischen Bevölkerung leben durften.

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Anmerkungen

1 Kurland gehört heute zu Lettland; damals war es ein kleiner polnischer Vasallenstaat im Baltikum, ein Überrest aus dem alten Territorium des Deutschritterordens.

2 reformierte Kirche (oft auch: evangelisch-reformierte Kirche): auf die Reformation Ulrich Zwinglis und Johannes Calvins (Calvinismus) zurückgehende Kirchengemeinschaften, die hauptsächlich in der Schweiz, in Schottland, in einigen Teilen Deutschlands, in Frankreich, in Ungarn und den USA (Presbyterianer) verbreitet ist.

3 Adam Olearius (*1599  in Aschersleben † 1671 Schloss Gottorf/Schleswig) war Gelehrter und Handelsdiplomat. Nach seinem Studium der Theologie, Philosophie und Mathematik in Leipzig gelangte der junge Gelehrte 1633 an den Hof des Herzogs  Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf. Der Herzog, der eine wirtschaftliche Anbindung Norddeutschlands mit Persien und Russland plante, stattete eine Gesandtschaft aus, die am 6. November 1633 in Hamburg abfuhr. Das erste Ziel dieser Delegation war Moskau, wo sie mit Zar Michael I. ein Handelsabkommen abschließen wollte. Da der Zar aber äußerst unrealistische Vorstellungen darüber hatte, scheiterte die Gesandtschaft in ihrem eigentlichem Auftrag.
Über seine Reise berichtete Adam Ölschläger, wie Olearius er eigentlich hieß, in Moskowitische und persische Reise: die holsteinische Gesandtschaft 1633-1639, die 1647 erstmals in Deutsch erschien. Nach Herbersteins Reisebeschreibungen war dies der bedeutendste Bericht über Russland.