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Karras - eine schottische Kolonie in Nordkaukasien

Die Kolonie Karras (heute: Teil von Inosemzewo) lag etwa 15 km im Norden von Pjatigorsk Gouvernement Stawropol am Fuße des Beschtau im Nordkaukasus und wurde im russischen Volksmund ”Schottlanka” genannt.

Die Namensgebung Karras lässt sich aus ”Carus” d. h. ”teuer, lieb, wert” ableiten oder nach einem ”abasinischen Aul”. Diese Einzelkolonie, die 1804 von schottischen Missionaren (Henry Brunton, Alexander Paterson, Jellorum Harrison) gegründet wurde, war unabhängig von jeder geistlichen Behörde und Beaufsichtigung und verwaltete sich selbst nach den Ordnungen der ”reformierten1 schottischen Freikirche” auf der Grundlage des Ukasses des Kaisers Alexander I. vom 25. Dezember 1806. Die Gemeinde bildete damit ein eigenes Kirchspiel.

Tscherkessen
Tscherkessen

Die Schotten hatten das Recht, von den Tscherkessen, Tataren und anderen Gebirgsvölkern, die den christlichen Glauben noch nicht angenommen hatten, Sklaven anzukaufen mit der Verpflichtung, diese nach einigen Jahren “bekehrt” aus der Sklaverei zu entlassen.

1807 erhielten die schottischen Missionare 7.000 Desjatinen2 Land zugewiesen. Ab 1815 kamen dann deutsche Kolonisten aus dem Wolga- und Schwarzmeergebiet, die die ”Wolgaer” genannt wurden. 1819 gründeten diese in der Nähe eine selbständige evangelische Kolonie mit Namen Nikitowskoje (Nikitowka Nr. 4, Temir-Kul). Daraufhin stellten Deutsche den weitaus größten Teil der Einwohner der beiden Siedlungen.

Wolgadeutsche
Wolgadeutsche

1854 erhielt die Kolonie ihre erste Kirche; der Gottesdienst wurde in deutscher Sprache abgehalten. 1905 gehörten dem Kirchspiel Karras-Pjatigorsk sechs Gemeinden (Bethanien3, Blumenfeld4, Landstraßenort5, Luxemburg, Nikolajewka6, Wiesengrund7) mit insgesamt 5.659 Gläubigen an.

Mischehen waren in dieser Kolonie auch üblich, so dass sich die ”Schottländer” mit Deutschen verheirateten und beide mit Kabardinern und Tscherkessen.

Allmählich siedelten sich in Karras auch Russen, Armenier, Griechen, Juden und Polen an. Die Kolonie nahm alle auf, die sich der Gemeindeordnung unterwarfen. Land wurde unentgeltlich zugeteilt, Fischfang und Holzeinschlag waren kostenlos.

Die Kolonie entwickelte sich schnell. Es wurde eine Kalk-, Ziegel- und Lederfabrik erbaut, große Wein- und Obstgärten angelegt und Nussbäume gepflanzt. Der Kartoffelanbau wurde vor allem von den deutschen Kolonisten vorangetrieben.

Brynsa
Brynsa

Die Kolonisten versorgten die Städte Pjatigorsk, Mineralnyje Wody, Schelesnowodsk und Kislowodsk mit Butter, Eier, Milch, Quark, Schafkäse (Brynsa), Ziegenmilch, Fleisch, Hühner, Enten und Gänsen. Es gab eine Honigproduktion und Blumen wurden für den Blumenmarkt geliefert. 1926 war der Ort Sowjetsitz und es gab eine 4-klassige Schule und eine Lesehalle.

1941 wurden dann alle Deutschen beschuldigt mit dem Feind (Deutschland) kollaboriert zu haben. Als Kulaken diffamiert, wurden sie nach Sibirien und Kasachstan deportiert. Damit hörte die Kolonie auf zu existieren.

1959 wurden Karras und Nikolajewka vereinigt und erhielten den Status einer Siedlung städtischen Typs. Gleichzeitig erfolgte die Umbenennung in Inosemzewo.

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Anmerkungen

1 reformierte Kirche (oft auch: evangelisch-reformierte Kirche): auf die Reformation Ulrich Zwinglis und Johannes Calvins (Calvinismus) zurückgehende Kirchengemeinschaften, die hauptsächlich in der Schweiz, in Schottland, in einigen Teilen Deutschlands, in Frankreich, in Ungarn und den USA (Presbyterianer) verbreitet ist.

2 1 Desjatine = alte russ. Flächeneinheit, entspricht ungefähr 1,0925 ha.

3 Bethanien (auch: Bethanien Nr. 4, Konstantinowka) wurde 1852 von mennonitischen Wolgadeutschen gegründe t und lag etwa 5 km im Osten von Pjatigorsk.

4 Die evangelische Kolonie Blumenfeld lag etwa 20 km im nordöstlich von Pjatigorsk.

5 Die Kolonie Landstraßenort lag etwa 55 km im Nordwesten von Prochladnaja.

6 Die evangelische Tochterkolonie Nikolajewka (auch: Nr. 9), die von Wolgadeutschen gegründet wurde, lag etwa 5 km von Pjatigorsk. Während der Sommersaison kamen zahlreiche Kurgäste aus Pjatigorsk und Mineralnie Wody in diese Kolonie. 1959 wurden Nikolajewka und Karras vereinigt und erhielten den Status einer Siedlung städtischen Typs. Gleichzeitig erfolgte die Umbenennung in Inosemzewo.

7 Die Kolonie Wiesengrund lag etwa 20 km im Nordosten von Pjatigorsk.