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In Orbeljanowka (Orbel'yanovka)1

(Teil 1 von 2)

(Dieser Artikel ist Kleopha Fuchs, Schwester meines Ururgroßvaters Gabriel Fuchs, und Elisabeth Dorothea Bechtle, die Schwester meines Ururgroßvaters Christoph Wilhelm Bechtle, gewidmet.)

 

Lichtental in Bessarabien
Lichtental in Bessarabien

Das ungewohnte Klima, Fiebererkrankungen, Viehseuchen und räu-berische Überfälle ließen einige der Fami-lien jedoch wieder in ihre bessarabischen Gemeinden zurück-kehren, wie Jakob Schreiber2 und Johann Georg Wagner3 aus Gnadental, die Familie Johann Christian Fickel4 aus Lichtental.

Schauspielergruppe
Schauspielergruppe

Das Ehepaar Häcker (Christian Gottlieb Häcker5 und Kleopha Fuchs6, die Schwester meine Urur-großvaters Gabriel Fuchs) schloss sich im Kaukasus einer Schauspielergruppe an und durchzog mit ihr Russland. Sie kamen verarmt zurück und im Alter wohnten sie bei ihrem Sohn Gottlieb in Lichtental, wo sie auch starben und begraben wurden.

 

Bibelstunde
Bibelstunde

Philipp Dreher, der 1866 direkt von Württemberg in den Kaukasus ausgewandert war, wurde zum Lehrer und Ge-meindevorsteher von Orbel-janowka ernannt. Er hielt einmal wöchentlich in Orbeljanowka und Tempelhof7 seine abendlichen Bibelstunden. Mit seinen Vorträgen hinterließ er in seinen Zuhörern einen tiefen Eindruck und großen Zuspruch. Dreher übte eine evangelistische Wirksamkeit aus, wie sie von den Gründern des Tempels einst geplant worden war. Leider verlor die Gemeinde ihn bereits 1872 an Palästina, wohin er von der dortigen Tempelleitung berufen wurde.

 

nach einem Hagelschlag
nach einem Hagelschlag

Die kaukasischen Gemeinden der Jerusalemfreunde hatten es nicht immer leicht.

Hagelschläge verheerten wie-derholt nicht nur die Erträge mühevoller Jahre, sondern verwüsteten Gemüsegärten und Getreideäcker, töteten Kleintier und richteten großen Schaden an den Gebäuden an. Fröste in unangebrachten Zeiten schädigten den Weinbau auf Jahre und, wenn Wolkenbrüche niedergingen, so schwemmte das strömende Wasser in den Weinbergen den lockeren Boden bis auf die untersten Wurzeln der Stöcke weg, so dass strichweise die Stöcke wieder versenkt werden mussten.

Solche Schläge, die eine ganze Gemeinde auf einmal trafen, wurden als Sprache Gottes an die Gemeinde interpretiert und instinktiv fragten sich die Jerusalemfreunde: „Wie kommt es, dass Gott uns einmal über das andere so schwer heimsucht? Wie kommt es, dass, während die alten Wunden noch nicht vernarbt sind, Gott es für nötig findet, uns schon wieder neue zu schlagen?“

aus: verschiedene Autoren: Damals im Kaukasus, Tempelgesellschaft, 2001, S. 81;

 

Was wollte Gott der Gemeinde dadurch sagen, denn sein Wort kommt nicht leer zurück, sondern übermittelt (ausrichten) das, wozu er es gesendet hat. Und wenn man seinen Ruf einmal oder mehrmals überhört, so sei er imstande, weiter in dieser Art mit dem Volk zu reden, bis er endlich beachtet wird, denn „ich recke meine Hand aus den ganzen Tag zu einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.“ (Isaiah 65:2).
Wenn wir das Licht des Wortes Gottes nehmen, so lernen wir anhand der Geschichte des Volkes Gottes und können darüber ins klare kommen, was Gott uns als Gemeinde zu sagen hat. Wann suchte Gott sein Volk durch Gerichte heim? Jedes Mal, wenn dasselbe seinen hohen Beruf aus dem Auge ließ und einen Weg für sich erwählte, der seinen eigenen Gedanken entsprach und nicht Absichten Gottes.
Wollen wir also in Zukunft von solchen oder noch schwereren Gerichten Gottes befreit werden, so müssen wir die geistige Atmosphäre unserer Gemeinde untersuchen und alle falschen und verkehrten Strömungen aufgeben und uns voll und ganz der erkannten Aufgabe zuwenden. Und handelt es sich bei solchen Heimsuchungen um unsere Erziehung und um unsere Heilung von unseren Schäden, dann dürfen wir dankbar sein, dass Gott uns nicht in unsere eigene Wege dahingibt, auf denen wir ja doch schließlich untergehen würden.

aus: Warte des Tempels, Nr. 23 vom 5. Juni 1890;

 

der Kamelberg bei Orbeljanowka
der Kamelberg bei Orbeljanowka

Unter dem Einfluss der direkt aus Württemberg Zugewanderten entstanden dann auch Jünglings- und Jungfrauenvereine, in denen das Interesse für religiöse Fragen und Probleme der Zeit geweckt und der Sinn der jungen Leute auf die ernstesten Fragen des Lebens gelenkt wurden. Natürlich hielt sich dieses geistige Suchen und Ringen aufs engste an die Lehren der Bibel und den Tendenzen des Tempels entsprechend an die Weissagungen der Propheten und der Offenbarung Johannis. Allerdings artete diese Art von Missionsbetrieb nicht in Beterei aus.

 

bei Orbeljanowka
bei Orbeljanowka

In den Kolonien gab es keine Ärzte. Es kamen zwar noch einzelne Versuche von Ge-sundbeterei7 mit Handauf-legung vor, aber diese Übung blieb auf einzelne Fälle beschränkt.

Im großen und ganzen wandte man sich zur Behandlung ernsthafterer Krankheitsfälle an die Ärzte des 12 Fußstunden (20 km) entfernten Badeortes Pjatigorsk.

 

Im Frühjahr 1869 wurde beschlossen die Taufe, die schon bei den Mennoniten in Gnadenfeld an der Molotschna als „Ganztaufe“ durchgeführt wurde, auch in Orbeljanowka und Tempelhof einzuführen.

 

Michail Jurjewitsch Lermontow: Tiflis, 1837
Michail Jurjewitsch Lermontow: Tiflis, 1837

Nach Überwindung der Anfangsschwierigkeiten wurde auch wieder an die Schule gedacht. Da noch kein Schulhaus gebaut werden konnte, wurde ein entspre-chender Raum in einem Privathaus für diesen Zweck zur Verfügung gestellt.

Im Frühjahr 1869 unternahmen dann die beiden Lehrer Philipp Dreher aus Orbeljanowka und Friedrich Lange aus Tempelhof eine Reise nach Tiflis zum Fürsten Orbeljani, dem Besitzer der Pachtsteppe, und baten ihn um eine Unterstützung zum Bau einer Schule in Orbeljanowka. Dieser gewährte ihnen einen Pachtnachlass von 2.000 Rubel.

 

Trotz aller Anfangsschwierigkeiten entwickelten sich in recht kurzer Zeit zwei wirtschaftlich aufstrebende Gemeinden mit je 50 Familien und so waren 1872 beide Dörfer, Orbeljanowka und Tempelhof, ganz besiedelt.

Unter den Bürgern von Orbeljanowka waren folgende Nachnamen: Roth, Lange, Zacher, Unruh, Strecker, Krügler, Lade, Rübler, Glaser, Schell, Hahn, Hofmeister, Singer, Alldinger, Steudle, Ziegler, Wächter, Stark, Barchet und andere mehr.

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Anmerkungen

1 Zur Realisierung dieses Artikels geht ein besonderer Dank an Peter Lange, Genealoge und Leiter des Archivs der Tempelgesellschaft.

Kleopha Fuchs, *15.10.1842 in Sarata, Tochter meines Urururgroßvaters Johann Georg Fuchs, *25.5.1801 in Wasserburg/Bayern und Klara Cleopha Klein, *10.10.1802 in Gundremmingen/Bayern. Kleopha Fuchs heiratete am 12.3.1862 in Gnadental Christian Gottlieb Häcker, *21.10.1838 in Gnadental, †20.3.1911 in Lichtental. Aus der Ehe ergingen 5 Kinder: Luise,*6.1.1864 in Gnadental, †25.4.1934 Mariewka; Christian Gottlieb, *13.10.1866 Gnadental; Helene, *1870 in Obeljanowka, †1885 in Odessa; Anna, *13.10.1877 in Petersburg; Adella, *1880 in Akkerman;
(Quelle: Koblenz Resettlement Questionnaires - Lichtental, Bessarabia, Src Item #1: Film 12 ; Src Item #2)

Elisabeth Dorothea Bechtle, *29.09.1820 in Höpfigheim war schon 1832 mit ihren Eltern (Christian Leonhard Bechtle, Kolonist und Kiefer, *7.9.1784 in Höpfigheim (Württemberg) und Elisabeth Dorothea Groß, *3.10.1789 in Oberstenfeld (Württemberg) und seinen 7 Geschwistern (Johann Jakob, *2.10.1811; Christina Elisabetha, *5.11.1812; Johanna Heinricke, *16.04.1814; Karoline, *5.09.1818; Christoph Wilhelm, 16.11.1822; Christoph Friedrich, *1.08.1825; Rosina Catharina, *25.02.1828) von Höpfigheim nach Sarata ausgewandert.

2 Nach einiger Zeit kam Jakob Schreiber arm von Orbeljanowka zurück. Seine Frau »Mariebas,war eine bekannte Hebamme, von deren Einkommen beide lebten. Er hatte einen halben Hof von Johann Wagner Nr. 10 gekauft.
Er blieb der Tempellehre treu und lästerte über die evangelische Kirche. Die Leute hielten ihn für einen Atheisten. Als er am 15. Januar 1911 verstarb, erhob eine Gruppe von Einwohnern Einspruch gegen eine kirchliche Beerdigung. Darüber fand eine Gemeindeversammlung statt. Infolge der Verdienste seiner Ehefrau als Geburtshelferin wurde der Einspruch abgelehnt. Am 19. Januar 1911 wurde Jakob Schreiber von Küsterlehrer Jakob Heer auf dem Lichtentaler Friedhof kirchlich bestattet. Jakob Schreiber war der letzte Jerusalemfreund in Bessarabien.

3 Johann Georg Wagner kam später aus Orbeljanowka verarmt zurück und emigrierte in die Dobrudscha.

4 Christian Fickel kehrte 1878 nach Lichtental zurück, wo er sich in der Oberen Straße ein Haus baute.

5 Der Großvater von Christian Gottlieb Häcker (Hecker), *16.10.1838 in Gnadental, der Müller Georg Friedrich, *16.11.1781 in Nussdorf/Vaihingen wanderte 1832 mit seiner 2. Frau Heinrike Juliane Wiedmaier, *17.8.1801 in Markgröningen, und seinem Sohn aus 1. Ehe Johann Friedrich, * 18.6.1811 in Aurich/Vaihingen nach Gnadental aus.
Johann Friedrich jun. heiratete in Sarata am 9.8.1837 Johanna Christina Catherina Dorsch, *19.4.1807 in Neudeck, Öhringen. Aus der Ehe gingen 5 Kinder (Christiana Louisa, *16.8.1837; Christian Gottlieb, *16.10.1838; Katharina Friederika, *5.7.1845; Johann Jacob, *27.3.1848) hervor. Christian Gottlieb Häcker heiratete in Sarata am 12.4.1862 Kleopha Fuchs, die Schwester meines Ururgroßvaters Gabriel Fuchs.
Bei der Weiterwanderung verkaufte Christian Gottlieb seine Wirtschaft an Gottlieb Oswald Nr. 29. Im Kaukasus schloss sich das Ehepaar Häcker einer Schauspielergruppe an und durchzog mit ihr Russland. Sie kamen verarmt nach Bessarabien zurück. Im Alter wohnten sie bei ihrem Sohn Gottlieb in Lichtental, wo sie auch starben und begraben wurden.

6 Tempelhof (Prikumskoye) wurde 1868 von mennonitischen Templern aus Gnadenfeld an der Molotschna gegründet.

7 Gesundbeterei gegen Darmgicht: O Jerusalem, Jerusalem, du jüdische Stadt, wo sie Christ, den Erlöser gekreuzigt haben, er hat sein Fleisch und Blut verschüttet; das ist gut gegen Wirfel, Werfel und Darmgicht. Amen.
Diese und andere Bräuche findest du hier.