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Die Rechtsstellung der deutschen Kolonisten

(Teil 3 non 3)

Katharina II.
Katharina II.

Ab 1862 wurden als Kolonisten nur noch Landwirte, aber keine Händler und Handwerker mehr, anerkannt. Gemäß den alten Bestimmungen Katharinas II. verlor der Kolonist sein Standes-recht, wenn er in einen anderen Stand übertrat. Wer also z.B. Kaufmann werden wollte, verlor seine Kolonistenvorrechte und war den andern russischen Staatsbürgern rechtlich gleich-gestellt. Durch gemeine Ver-brechen oder durch Rückkehr in die alte Heimat verlor der Kolonist die russische Staats-angehörigkeit und wurde staaten-los.

Den Kolonisten war ohne Erlaubnis der Obrigkeit nicht gestattet, den Bauernstand aufzugeben. Diese Erlaubnis musste jedoch gegeben werden, wenn sich ein anderer fand, der an Stelle des Scheidenden die Wirtschaft weiterführte.

Jeder Kolonist hatte freies Erwerbsrecht, freie Verfügung über sein Vermögen, Geld und Grundbesitz. Nur die Geistlichen konnten über das ihnen angewiesene Land nicht verfügen; es musste dem Amtsnachfolger weitergegeben werden.

Katharinas Einladungsmanifest aus dem Jahr 1763
Einladungsmanifest

Starb der Bauer ohne ein Testament zu hinterlassen, erhielt die Witwe den vierten Teil des Vermögens, alle Töchter zusammen ebenfalls ein Viertel und das übrige wurde in gleichen Teilen unter die Söhne verteilt.

 

Durch das Manifest von 1763 wurde den Ansiedlern eine 30 jährige Befreiung von Abgaben bewilligt. Diese Frist wurde durch den Ukas Alexanders I. vom 27. September 1806 für die Neuankömmlinge auf 10 Jahre herabgesetzt.

Nach Ablauf der Freijahre mussten die Kolonisten dieselben Abgaben leisten, wie die übrigen steuerpflichtigen Landbewohner Russlands. Für jede Desjatine anbaufähigen Landes waren jährlich 20-25 Kopecken “Kronsgeld“ zu bezahlen.

 

Für den Unterhalt der örtlichen Behörden, der Geistlichen und Lehrer mussten die Dorfmitglieder, entsprechend ihrem Land-besitz, Gemeindeabgaben leisten.

Ukrainer
Ukrainer

 

Diese Bestimmungen über die Selbstverwaltung der Kolonisten sollten bis 1871 in Kraft bleiben.

Während die Deutschen mit ihren ukrainischen und russischen Nach-barn bestens auskamen, entwickelte sich in Kreisen der russischen Adeligen, Politiker und Bildungs-bürger ein wachsender Deutschen-hass. Man beneidete ihnen ihre Privilegien, ihren wirtschaftlichen Aufschwung und empfand sie als nationalen Fremdkörper.

Aus Anlass und als Folge des deutsch-französischen Krieges (1870-1871) und der Gründung des Deutschen Kaiserreiches (1871) wurden die einstmals bei der Ansiedlung gegebenen Rechte (Privilegien) durch den Ukas Alexanders II. vom 2. Juli 1871 aufgehoben.

 

Alexander II.
Alexander II.

Die Selbstverwaltung wurde aufgehoben und die Kolonisten wurden den anderen Bewohnern des Reiches gleichgestellt. Die alte Einteilung in Gebiete (Wolost) und deren Selbstverwaltung blieb bestehen, da sie auf einem Staatsgrundgesetz beruhte. An die Stelle des wohlwollenden Für-sorgekomitees trat der strenge Landvogt. Der Kolonist war nun rechtlich ein Russe geworden.

Trotzdem machte man gerade in den 1870er Jahren den Deutsch-russen und polnischen Russen mancherlei Schwierigkeiten.

Manche Berufe und Beamten-stellen, z. B. solche im Tele-graphendienst, blieben ihnen ver-schlossen. Erst nach der Russischen Revolution von 1905 wurde dann vieles besser.

 

Deutsche in der zaristischen Armee
Deutsche in der zaristischen Armee

Am 13. Januar 1874 wurde die allgemeine Wehrpflicht mit 6jähriger Dienstzeit eingeführt, die auch auf die Deutschen ausgedehnt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie völlig befreit gewesen. Natürlich konnte bis dahin jeder freiwillig in die russische Armee eintreten. In diesem Fall erhielt jeder Freiwillige ein Geschenk von 9 Rubeln.

Nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht begann eine große Auswanderungswelle nach Nord- und Südamerika. Zuerst wichen die Kolonisten nach Sibirien aus, wo die Gesetze des Zaren nicht so streng ausgeführt wurden.

 

Im März 1887 wurde ein Fremdengesetz erlassen, das den Erwerb von Immobilien durch Ausländer in den westlichen Provinzen Russlands einschränken sollte. In dieser Situation bot die Annahme der russischen Staatsangehörigkeit Schutz. Nach Angaben des deutschen Konsuls in Kiew nahmen nach dem Erlass 25.000 deutsche Kolonisten die russische Untertanenschaft an. Wer die russische Untertanenschaft nicht annehmen wollte, musste sein Eigentum liquidieren. Pachtverträge wurden nicht mehr verlängert bzw. die Zinsen wurden stark erhöht. Unter diesen Bedingungen kam es bis 1890 zu einer regelrechten Auswanderungswelle von Kolonisten nach Brasilien.

Rock des deutschen Oberschulzen Höger um 1900
Rock des deutschen Oberschulzen
Höger, um 1900
(mit Genehmigung des Fotografen N. H.)

Diese im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstandene 'deutsche Frage' hatte nicht nur Beschränkungen für Ausländer zur Folge, sondern verschlechterte das Klima innerhalb Russlands für russische Deutsche allgemein. Bis 1912 wanderten rund 300.000 Deutsche aus Russland nach Nord- und Südamerika aus.

 

Bis 1905 bedurfte der Kolonist, wie übrigens die Russen selbst, für Reisen innerhalb Russlands einer besonderen Erlaubnis. Diese konnte der Oberschulze erteilen. Bei Auslandsreisen war der Kolonist denselben Passbestimmungen unterworfen wie die eingesessenen Russen.

 

Im übrigen entwickelten sich die staatsrechtlichen Verhältnisse der Kolonisten in Russland seit 1871 in derselben Weise wie die der übrigen russischen Bürger. So kam z. B. 1905 auch für sie das allgemeine Dumawahlrecht. In der Reichsduma1 hatten sie ihre Vertreter, wie Johann Münch aus der Kolonie Großliebental, ev.-luth., Heinrich Schellhorn, ein Wolgakolonist, römisch-katholisch, Widmer, Ludwig Lutz aus Waterloo u. a. Natürlich konnten diese Abgeordneten keinen maßgebenden Einfluss auf die Gesetzgebung ausüben, was eigentlich keine so große Unannehmlichkeit war.

Ankunft von Auswanderern in New York, Holzstich von 1896
Ankunft der Auswanderer in New York,
Holzstich von 1896

 

Es muss aber doch anerkannt werden, dass die russische Regierung gegen ihre Untertanen deutscher Herkunft stets eine wohlwollendere Haltung eingenommen hatte, als etwa den Polen, Litauern, Juden usw. gegenüber.

Im 1. Weltkrieg sollte sich das jedoch sehr ändern.

 

 

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Anmerkungen

1 Reichsduma nannte man die gewählte Volksvertretung, die von Nikolaus II. 1905 eingesetzt wurde.
Die 1. Reichsduma, 1906 in indirekten und ungleichen Wahlen entstanden, forderte unter der Führung der konstitutionellen Demokraten (Kadetten) grundlegende Konzessionen vom Zaren und wurde deshalb 1907 durch letzteren aufgelöst.

Die 2. Reichsduma von 1907 setzte sich vorwiegend aus Sozialrevolutionären und Sozialdemokraten zusammen (viele gemäßigte Abgeordnete der 1. Reichsduma waren nach Finnland geflohen und/oder boykottierten die neuen Wahlen). Da die 2. Reichsduma ebenfalls nicht bereit war, die geforderten Konzessionen aufzugeben, wurde auch sie durch den Zaren aufgelöst.
Nach der Einführung eines ungleicheren Wahlrechtes setzte sich die 3. Reichsduma (1907-12) aus gemäßigten Kräften zusammen und überstand als erste eine ganze Wahlperiode. Kooperativer, konnte sie einige wenige Reformen gegen den Zaren durchsetzen (Agrarreformen, Grundlagen für eine allgemeine Schulpflicht).
Die 4. Staatsduma (1912-17) konnte ihre Tätigkeit schließlich kaum noch wahrnehmen, da die Regierung praktisch jegliche Zusammenarbeit mit ihr ablehnte.