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Die Auswanderung der Schweizer ins Schwarzmeergebiet

(Teil 2 von 2)

Der Reiseweg ins Russische Reich

Dennoch machte sich Escher am 4. Oktober 1803 mit 247 Personen von Kostanz aus auf den Weg. Die meisten von ihnen gaben Landwirt als Beruf an, aber es befanden sich unter ihnen auch mehrere Weber, Tuch- und Hutmacher sowie je ein Mediziner, Chirurg und Theologe. Es handelte sich aber um eine Gruppe „armer und noch dazu alleinstehender Leute“.

Ulmer Schachtel
Ulmer Schachtel

Die Kolonisten gelangten über den Bodensee zuerst nach Meersburg und von dort über Regensburg nach Ulm. Auf dem Wasserweg mit Ulmer Schachteln1 ging es weiter bis Wien, wo sie am 2. oder 4. November 1803 ankamen.

Auswanderungsweg der Schweizer Siedler
Auswanderungsweg der Schweizer Siedler

 

Die Fahrt kam wegen finanziellen Schwierigkeiten ins Stocken und konnte erst am 24. November wieder aufgenommen werden.

Escher schrieb von Wien aus nach Russland und rechtfertigte sich, dass er den Bitten der Kolonisten habe nachgeben müssen. Da die Weiterfahrt auf der Donau wegen der Jahreszeit gefährlich sei, werde er den Landweg über Brody (Galizien2) nehmen. "Befreie ihn die Regierung nicht aus der Lage, werde er sich umbringen."

Aus Mitleid mit der verzweifelten Situation der Auswanderer und um das internationale Ansehen Russlands zu wahren, gab der russische Geschäftsträger in Wien Escher schließlich 6.000 Gulden.

In wenigen Tagen erreichten sie Pressburg (Bratislava). Von hier ging die beschwerliche Reise auf Fuhrwerken nach Tyrnau (Trnava) das Waagtal hinauf.

Von Pressburg durch Oberungarn sollen sie Ende Dezember erschöpft und schlecht ausgerüstet in Rosenberg (Ružomberok) eingetroffen sein, wo sie eine zusätzliche Hilfe erhielten. Am 24. Mai 1804, also nach 5 Monaten Aufenhalt im gastlichen Städtchen ging der Exodus weiter.

 

Unterwegs verliess viele Auswanderer der Mut, sie kehrten wieder um. Man hatte ihnen auch erzählt, sie kämen in ein warmes Land, wo die mittlere Jahrestemperatur 12 Grad Celsius betrage.

30 bis 40 Menschen, vor allem Kinder, starben während der Reise an Pocken. Auf dem Weg wurde die Gruppe durch nachgefolgte Schweizer beziehungsweise durch einige auswanderungswillige Deutsche verstärkt. Die Expedition war fast auf die Hälfte zusammengeschrumpft.

Tatragebirge
Tatragebirge

Die Reiseroute führte zwischen den westlichen und östlichen Beskiden, über das Tatragebirge nach Lemberg (Lviv) weiter in Richtung Krim. Am 8. Juni 1804 kamen sie endlich an der russischen Grenze an. Nach einigen Ruhetagen wurde die Reise nach Taurien/Krim fortgesetzt, wo sie im Sommer 1804 nach zirka 10 Monaten endlich ankamen.

Das Leben der Kolonisten war anfänglich sehr hart und von vielen Schwierigkeiten geprägt.

Zunächst wurden sie unter misslichen Bedingungen in der offenen Steppe in den Hütten der Tataren angesiedelt, bis ihnen dann an Ostern 1805 in der Nähe Feodosija endlich Land zugewiesen wurde. Jeder Krimansiedler erhielt pro Familie nur 20 Desjatinen Land statt der 60, die in anderen Teilen Russlands vergeben wurden. Eine Desjatine entspricht 1,09 Hektar.

An dieser Stelle am Bach Indol entstand die erste Siedlung, die von 49 Schweizer Familien gegründet wurde (1810 kamen 25 Familien aus der Molotschnaja hinzu). Zur Erinnerung an ihre Heimat nannten sie diese Siedlung Zürichtal. Heute trägt das Dorf den russischen Namen Zolotoe Pole (Goldfeld).

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Anmerkungen

1 Die Ulmer Schachtel, ursprünglich lediglich ein Spottname für die äußerst einfache Konstruktion der Wiener Zille, einem flachbodigen Einweg-Bootstyp, das seit dem Mittelalter auf der Donau der Warenbeförderung diente. Während die Boote anfangs maximal 22 m lang und 3 m breit waren, vergrößerten sich ihre Maße mit der Zeit. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erreichten sie Größen von bis zu 30 Meter Länge und 7,5 Meter Breite. Die Bordwand dieser Boote hatte eine Höhe von etwa 1,5 Metern. Auf der Mitte des Schiffes befand sich eine größere Holzhütte. Bei Warentransporten lagerte hier das Handelsgut; bei Auswanderungen war dies der Wetterschutz der Passagiere. Anfang des 19. Jahrhunderts diente der Bootstyp der Ulmer Schachtel deutschen Auswanderern als Verkehrsmittel, um in die Länder des südöstlichen Europas zu gelangen. Sie schifften sich in Deutschland ein und fuhren die Donau abwärts in Richtung der Mündung ins Schwarze Meer. Die Ulmer Schachtel dient auch heute noch im deutschen und österreichischen Donauraum als Arbeits-, Fischer- und Freizeitboot.

2 Galizien = das nördliche Karpatenvorland zwischen der oberen Weichsel und der Bukowina.
Der Name Galizien knüpft an das Fürstentum Halitsch (Galitsch) an, das sich im 11. Jahrhundert vom Kiewer Reich löste. 1349 kam das Gebiet nördlich der Karpaten und östlich des Flusses San an Polen. Bei der 1. Polnischen Teilung 1772 fiel es zusammen mit dem kleinpolnischen Gebiet südlich von Weichsel und Wisłoka als Königreich Galizien und Lodomerien an Österreich; dieses gesamte Gebiet hieß seit 1795 Ostgalizien. Die in der 3. Polnischen Teilung 1795 von Österreich erworbenen Gebiete bis zum Bug und zur Pilica, Westgalizien genannt, kamen an das Herzogtum Warschau, 1815 an Kongresspolen. - Das historisch überwiegend von Ukrainern bewohnte östliche Galizien wurde 1919 wieder Polen einverleibt, nachdem dort kurze Zeit eine Westukrainische Volksrepublik existiert hatte. Seit 1939 ist dieses neuerdings gleichfalls Ostgalizien genannte Gebiet ein Teil der Ukraine. Als Westgalizien bezeichnet man heute das polnische Nordkarpatenvorland.