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Die Ansiedlung der Deutschen in Livland

 

Katharina II. von Russland
Katharina II. von Russland

Die Hirschenhöfer (Deutschbalten)

Die organisierte Einwanderung der Deutschen in Russland erfolgte über einen Zeitraum von über 100 Jahren (1763-1875) in mehreren Schüben und in ganz verschiedenen Gebieten des Russischen Reiches.

 

Begonnen hat diese Ansiedlung mit den Manifesten der Zarin Katharina II. von 1762 und 1763.

Rund 300 Seelen wurden aber 1766 nach Livland (heutiges Lettland) geschickt und auf der menschenarmen Krondomäne, dem Gut Hirschenhof-Helfreichshof (lettisch: Iršu muiža), neben dem Fluss Düna südlich von Riga angesiedelt. Der größere Ort an der Düna ist Kokenhusen.

Hirschenhöfer
Hirschenhöfer

 

Peter III.
Peter III.

Keiner weiß heute so recht, warum es ausgerechnet dorthin ging. Ob noch Zar Peter III., der exzentrische Gemahl Katharinas II., da-hinter gesteckt hatte?

Er selbst stammte aus Holstein, hatte eine Vorliebe für deutsche Soldaten und hätte an den "dänischen Pfälzern" ein besonderes Interesse haben können, um aus ihren Reihen regelmäßig Nachwuchs für ein Garde-regiment zu rekrutieren. Aber das ist nur ein mögliches Motiv unter vielen.

 

Wie auch an der Wolga fanden sich in Hirschenhof Kolonisten, die schon vorher aus der Kurpfalz ausgewandert waren.

König Friedrich V. von Dänemark und Norwegen(Herzog von Holstein)
König Friedrich V. von Dänemark
und Norwegen,
Herzog von Holstein

Der dänische König Friedrich V. (Herzog von Schleswig-Holstein) hatte sie 1759 zur Kolonisation und zur Hebung der Landeskultur in sein Land und 1761 zur Trockenlegung der Moore und Sümpfe nach Schleswig-Holstein gerufen. Diesem Aufruf folgten viele Bauernfamilien. Nach 5 Jahren scheiterte dieses Unternehmen aber an den ungünstigen Bedingungen.

 

In Hirschenhof erhielten die Kolonisten das Gut in Erbpacht, je Familie 30 Desjatinen1. So wurde es im Ukas2 vom 10. Mai 1766 festgeschrieben. Nach einer Reihe von Freijahren hatten sie einen mäßigen Grundzins zu zahlen.

So wurden sie auch vom Militärdienst auf unbestimmte Zeit befreit. Sie erhielten weiterhin die Sonderrechte keine Einquartierungen aufnehmen zu müssen und keine Bodensteuer zu bezahlen. Das waren außergewöhnliche Privilegien, die wenn überhaupt nur den Mennoniten3 zugestanden wurden.

1. Weltkrieg

Im Februar 1915 wurde die Evakuierung der deutschen Siedler des Gouvernement Livland befohlen, da die deutsche Armee weiter vorrückte. Von dieser Maßnahme wurde die Kolonie Hirschenhof bei Kokenhusen betroffen.

85 deutsche Bauern wurden mit ihren Familien nach Ostrussland, ins Gouvernement Perm, evakuiert (deportiert). Einige Familien wurden bei Moskau angesiedelt.

„ …. Mit den Hirschenhöfern hat es so seine eigene Bewandtnis: Sie wurden aus ihren Heimstätten teilweise unter Anwendung roher Gewalt weggeschleppt, und zwar weil sie den an sie ergangenen Ausweisungsbefehl nicht sofort Folge leisteten. Eine hochgestellte Militärperson wollte sich nämlich für sie verwenden und hatte ihnen geraten, den endgültigen Bescheid aus Petrograd abzuwarten. Auf die örtlichen Behörden aber hatte das einen üblen Eindruck gemacht und wurde und wurde als trotziger Widerstand gegen die Militärobrigkeit ausgelegt. Nun wurden sie zwangsweise über Hals und Kopf von Haus und Hof verjagt und in das weite Permsche Gouvernement verbannt und diese Verfügung traf nicht blos die Hirschenhöfer, die in Hirschenhof selbst wohnten, sondern auch alle die, die dort nur angeschrieben waren, von dort ihren Paß bezogen, sonst aber keine Verbindungen mit ihrem Heimatdorf besaßen – sie alle mußten gleicherweise in die wilde Fremde, Leute, die jahrelang in Riga lebten, dort in guten Stellungen standen und nun als 'Verbannte' hinaus mußten; denn als solche empfing sie die Kungursche Behörde, nicht als kriegsgeschädigte Flüchtlinge, sondern als zwangsweise administrativ verbannte und unter Polizeiaufsicht stehende Verbrecher. Demgemäß war ihre Behandlung: eine Regierungsunterstützung wurde ihnen rundweg verweigert und erst später einem Teil der Nachzügler bewilligt.“

W. Ferhmann: Bei den Flüchtlingen in Kalender für die deutschen Kolonisten in Rußland auf das Jahr 1918, Petrograd, 1917, S. 56;
Pastor Adolf Plamsch
Pastor Adolf Plamsch

Pastor Adolf Plamsch aus Grodno, der als Flüchtlingspastor mehrmals das Gouvernement Perm bereiste, konnte „gelegentlich des Gottesdienstes den Hirschenhöfern aber eine angenehme Botschaft ausrichten: er konnte ihnen mitteilen, daß die Regierung es nunmehr [1917] für möglich befunden, sie auch als 'Flüchtlinge' anzuerkennen und daß sie als unbescholtene Untertanen das Recht wiedererhalten im ganzen Reiche zu leben; nur nach Hause dürften sie nicht. Ihre Rückreise ins Reich müsse aber auf eigene Rechnung unter Verzicht auf jede witere Regierungsunterstützung geschehen. Daraufhin sind gleich viele der Hirschenhöfer aus Kungur weggereist, manche trotz der Warnung direkt nach der alten Heimat; diese erlebten die schwere Enttäuschung, alsbald wieder nach Kungur zurückgeschickt zu werden, und zwar auf dem Etappenwege durch alle die schmutzigen Gefängnisse von Livland bis Perm.“

W. Ferhmann: Bei den Flüchtlingen in Kalender für die deutschen Kolonisten in Rußland auf das Jahr 1918, Petrograd, 1917, S. 57;

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Anmerkungen

1 1 Desjatine = alte russ. Flächeneinheit, entspricht ungefähr 1,0925 ha.

2 Ukas = historische Bezeichnung für: Erlass des Zaren

3 Mennoniten = Anhänger einer evangelischen Freikirche, die die Erwachsenentaufe pflegt u. den Wehrdienst u. die Eidesleistung ablehnt.