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Die Auswanderung der Deutschen nach Russland

(Teil 2 von 2)

Von 1764 - 1767 wurden 104 Dörfer an der Wolga gegründet, 45 dieser Siedlungen wurden auf der Bergseite (linkes Wolgaufer) und 59 auf der Wiesenseite. Diese Dörfer waren bei ihrer Gründung streng konfessionell getrennt.

deutsche Kolonien an der Wolga
deutsche Kolonien an der Wolga

 

Aufgrund des Bevölkerungswachstums wurden ab den späten 1840er Jahren weiter 68, sogennante, Tochterkolonien im Südosten der ursprünglichen Dörfer gegründet. 1865 gab es 170 deutsche Wolgadörfer. Weitere 10 kleine mennonitische Kolonien wurden von 1854 - 1875 gegründet.

hier geht's zur Liste der Wolgakolonien

 

Mit der Besiedlung des Wolgagebietes verfolgte die russische Regierung nicht nur wirtschaftliche Ziele. Die neu angelegten Dörfer sollten die inneren Gouvernements vor Raubzügen nomadisierender Kalmücken1 und Kasachen2, die damals Kirgisen genannt wurden, schützen.

Nomadenüberfall
Nomadenüberfall

Die für die Kolonisation verwendeten Ländereien wurden von den nomadi-sierender Viehhirten, die sich scheinbar erst 1740 der russischen Krone unterworfen hatten, als Weideland benutzt. Sie fühlten sich durch die Anlage der Kolonien und die Ausweitung des Ackerbaus bedrängt und griffen wiederholt einzelne Siedlungen an. In den Jahren 1771 und 74 wurden 17 Kolonien von Nomaden überfallen. Die Orte Chasselois, Cäsarsfeld, Keller und Leitzinger hatten darunter so schwer gelitten, dass sie nicht wieder aufgebaut wurden. Rund 3.000 Siedler sollen bis 1775 bei Überfällen ums Leben gekommen sein. Die zurückgebliebenen Bewohner der Kolonien Keller und Leitzinger gründeten später zusammen eine neue Kolonie (Neukolonie, Kustarnaja Krasnorynowka).

Daneben standen die deutschen Siedler in Konkurrenz mit russischen Pionieren um die besten Acker- und Weideflächen, konnten sich aber meist nicht durchsetzen.

 

Der 2. Weltkrieg

Der 2. Weltkrieg bedeutete schließlich das endgültige Ende der Deutschen im Russischen Reich. Die Wolgadeutschen, wie die Krimdeutschen und die Kaukasiendeutschen, erlitten ein änliches Schicksal.

Deportation
Deportation

Aus Furcht vor einer Kollaboration mit dem Feind ließ Stalin zirka 444.000 Deutschstämmige ab dem 3. August 1941 auf "ewige Zeiten" vertreiben. Innerhalb weniger Wochen (im Oktober 1941 war die Aktion abgeschlossen) wurden sie aus den europäischen Teilen der Sowjetunion nach Osten – vorwiegend Sibirien, Kasachstan und in den Ural deportiert.

Familien wurden ausei-nandergerissen, die Menschen wurden mit Viehwaggons transportiert und irgendwo in den Steppen Kasachstans "abgekippt", wo sie sich Erdhütten gruben und mit Entsetzen dem bevorstehenden Winter entgegensahen.

ein Grab in Kazakistan
Kasachstan

Wieder andere wurden Kolchosen4 zugewiesen und mussten dort nach Überlebensmöglichkeiten suchen, die man den "Faschisten" eigentlich gar nicht zubilligte.

Gleichzeitig wurden ihre staatsbürgerlichen Rechte aberkannt und ihr Eigentum bis auf ein geringes Handgepäck eingezogen.

Die meisten von ihnen (im Alter zwischen 14 und 60 Jahren) mussten in Arbeitslagern (Trudarmee3) unter unmenschlichen Be-dingungen arbeiten. Mehrere Hunderttausend starben in dieser Zeit vor allem an schlechten Arbeits-, Lebens- oder medizinischen Bedingungen.

1964 wurden sie offiziell vom Vorwurf der Kollaboration befreit und die Bundesrepublik Deutschland ermöglichte ihnen seit den 1970er Jahren die Ausreise nach Deutschland.

 

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Anmerkungen

1 Kalmücken = westmongolisches Volk, die v. a. in Kalmükien, aber auch in den Gebieten Astrachan, Wolgograd, Rostow am Don, Orenburg sowie in der Region Stawropol in Russland leben. Die Kalmüken wanderten im 17. Jahrhundert über den Ural an die untere Wolga.

2 Kasachen = turksprachiges Volk in Zentralasien; man findet sie vom Kaspischen Meer bis zur Gobi, in Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, China, der Mongolei und Afghanistan.

3 Trudarmee = Arbeitsarmee (russ.: Трудовая армия Trudowaja armija, kurz трудармия Trudarmija) war eine militarisierte Form der Zwangsarbeit in der Sowjetunion während und nach dem Zweiten Weltkrieg von 1941 bis 1946. Betroffen davon waren vor allem Russlanddeutsche aber auch die finno-ugrischen Komi, sowie Rumänen, Ungarn und Italiener.
Die meist unschuldigen Häftlinge wurden aufgrund ihrer deutschen Abstammung als kostenlose Arbeitskräfte eingesetzt, wofür sie wie die letzten Verbrecher und Mörder behandelt wurden. Der Unterschied der Trudarmee zum Gefängnis lag nur darin, dass die Menschen nicht eingesperrt, sondern in einer Arbeitskolonie untergebracht wurden. Die Gefangenen, die sich über 100 Meter von den Baracken entfernten, wurden kaltblütig erschossen. Alle Häftlinge standen unter spezieller Aufsicht des NKWD (Innenministerium der UdSSR) und durften den Wohnort nicht ohne Erlaubnis des NKVD verlassen.

4 Kolchos = Kollektivwirtschaft; Kollektivwirtschaft; genossenschaftlich organisierter landwirtschaftlicher Großbetrieb in der UdSSR. Nach 1917 auf der Grundlage der Freiwilligkeit entstanden, seit 1929 durch (Zwangs-)Kollektivierung bäuerlicher Einzelwirtschaften, in deren Folge Millionen von Bauern deportiert wurden und umkamen (Entkulakisierung).
Der staatseigene Boden wurde den Kolchosen zur Nutzung gegen Pflichtablieferungen zu staatlich fixierten Preisen überlassen, Überschüsse zu freien Preisen auf den sogenannten Kolchosemärkten verkauft.
Die Rolle der Kolchosen waren strategischer Art und sollten dem Staat feste Agrarlieferungen garantieren. Dadurch kam es zu immer größeren Beschneidungen des ''kollektiven'' Ernteertrages. In jedem Herbst führte die Steuereinzugskampagne zu einem regelrechten Machtkampf zwischen dem Staat und der Bauernschaft, die verzweifelt versuchte, einen Teil der Ernte für sich zu behalten. Es ging um Entscheidendes: für den Staat um die Einnahmen, für die Bauern ums Überleben.