Du bist in: Deutsche in Russland > Das russische Zarenreich im 18. Jahrhundert

Die Ansiedlungspolitik unter Katharina II. (1762-1796)

(Teil 2 von 3)

Katharina II. von Russland
Katharina II. von Russland

Katharina II. begann im Interesse der Verbesserung kurz nach ihrem Regierungsantritt eine groß angelegte Ansiedlungspolitik der bisher brach-liegenden Steppengebiete an der Wolga und der Sicherung der Südflanke gegen nomadische, asiatische Völker.

Während ihre Vorgänger Einwanderern den Vorzug gaben, von denen sie einen Beitrag zur militärischen Verteidigung der umkämpften Südgrenze des Reiches, wie z. B. orthodoxe Balkanslawen unter Anna Iwanowna und serbische Militärsiedler unter Elisabeth I., erwartete Katharina, dass die Einwanderer ihre Kenntnis fort-schrittlicher Methoden in Acker- und Gartenbau, in Viehzucht und Handwerk unter der einheimischen Bevölkerung verbreiten würden.

 

Im 17. und 18. Jahrhundert waren in großer Zahl leibeigene Bauern in die Randzonen im Süden und Südosten des Russischen Reiches geflohen.

Nomadenstamm
Nomadenstamm

In den 1760er Jahren siedelten sich in dieser Gegend auf Initiative der Regierung hin russische Gutsbesitzer und Staatsbauern1, die sogenannten Einhöfer2, wolgaabwärts in Richtung Saratow an.

 

Der Staat verfolgte mit der Ansiedlung hier und in anderen Regionen auch das Ziel, die unruhigen Nomadenstämme in der Steppe sesshaft zu machen oder zurück-zudrängen.

 

Katharinas 1. Einladungsmanifest

So forderte die Zarin Katharina II. am 4. Dezember 1762 alle 'Reflektirenden in Europa, ausgenommen Juden auf, sich in den neuen Steppenbesitzungen frei niederzulassen.'

Das Manifest wurde in mehrere Sprachen und sogar auf Arabisch übersetzt und in ausländischen Zeitungen veröffentlicht. Den Herausgebern der Zeitungen befahl Katharina 100 Tscherwonez Belohnung zu geben.

Da es aber keine bestimmten Garantien (Privilegien) zu gunsten der künftigen Siedler enthielt, blieb dieses Einladungsmanifest ohne Erfolg.

Katharinas 2. Einladungsmanifest

Einladungsmanifest
Einladungsmanifest

So verfasste Katharina II. am 22. Juli 1763 ihr zweites Manifest, das an alle ausländische Kaufleute, Kleinbürger und Bauern (Juden inbegriffen) gerichtet war und ihnen erlaubte sich dort niederzulassen wo immer sie wünschten. Mittellosen Auswanderern sollten Reisegeldern zur Überfahrt ab der russischen Grenze bis zum Ansiedlungsort gewährt werden, was für viele eine große Verlockung war.

Außerdem hatte jeder Ausländer, der sich häußlich niederzulassen gedenket, nach Punkt 4 sich gleich nach seiner Ankunft bei einer der Grenzstädte oder bei der Tutelkanzlei als Kolonist zu melden und einen Treueid auf die Krone zu leisten.

„... ein jeder nach seinem Glauben und Gebräuchen den gewöhnlichen Eid treuer Unterthanenschaft zu leisten....“

Den meisten Kolonisten war diese Klausel anscheinend nicht aufgefallen, denn bei ihrer Ankunft weigerten sich viele den Untertaneneid zu leisten oder manche bewegten nur die Lippen, ohne etwas zu sagen.

Im Gegenzug sollten die 'zur Ansiedlung Angekommenen' Ausländer (§1)

  • persönlich frei sein und ihre Kinder und Nachkommen davon genießen (§7)
  • die freie Niederlassung an jedem beliebigen Ort des Russischen Reiches
  • freie Ausübung der Religion und das Recht zum Bau eigener Kirchen, für die die sich auf dem Land ansiedeln wollen
  • Befreiung von allen Steuern, Diensten und Einquartierungen für 30 Jahre (bei Niederlassung in Städten 5 Jahre - 10 Jahre); danach Verrichtung der landesüblichen Steuern und landschaftlichen Diensten
  • die Erlaubnis ein jeder dürfe sein erlerntes Gewerbe ausüben
  • Gewährung von zinslosen Darlehen (Rückgabe nach nach Jahren innerhalb von drei Jahren) für den Bau von Häusern, Anschaffung des zur Hauswirthschaft nöthigen Viehs, für alle zum Ackerbau und Handwerk nöthigen Instrumente
  • Einrichtung einer lokalen Selbstverwaltung
  • Befreiung vom Militär- und Zivildienst für die ganze Zeit ihres Aufenthalts; Freiwillige sollten außer dem gewöhnlichen Sold 30 Rubel erhalten
  • die Freiheit Russland jederzeit wieder verlassen zu können für jeden Ansiedler und Ausländer, der die Unterthanenschaft angenommen hat unter der Voraussetzung von allem im Kaiserreiche wohlerworbenen Vermögen einen Theil an die Kasse abzugeben (nach 1 bis 5 Jahren Aufenthalt den fünften Teil; nach 5 bis 10 Jahren Aufenthalt den zehnten Teil)

 

Carl Röchling: Schlacht von Leuthen, Sturm auf das Kirchenportal
Carl Röchling: Schlacht von Leuthen (5. 12. 1757),
Sturm auf das Kirchenportal

Die Privilegien dieses zweiten Manifestes kamen den Wünschen der deutschen Aussiedler sehr entgegen; vor allem die Befreiung vom Militärdienst, denn damals forderten die deutschen Fürsten und Landesherren nicht nur Kriegsdienste und Abgaben, sondern es wurden auch zehntausende Männer bzw. Landeskinder an ausländische Mächte wie England und Frankreich verkauft. Viele Männer konnten mit einer Auswanderung den teilweise brutalen Werbemethoden durch die Armeen der deutschen Herrscher entkommen.

mehr zu Werbemethoden Aufrüstungsmethoden

 

Fachwerkhaus

Für die Werbung von Siedlern beauftragte die russische Regierung staatliche und private Werber (vyzyvateli), Lokatoren genannt, die oft unter Missachtung entspre-chender Auswanderungs-verbote im Heimatland Siedler anwarben. Für ihre Leistungen, für jede überredete Familie, erhielten die staatlichen Lokatoren eine Prämie. Die privaten Lokatoren, meist Franzosen, Holländer und Schweizer hingegen erhielten pro angeworbene Familie ein Darlehen auf zehn Jahre, 3 Siedlerparzellen auf der Ostseite der Wolga und auf der Wiesenseite für je 100 angeworbene Familien.

Die Lokatoren, die ohne auf die bäuerliche Eignung für die Siedlung zu achten wahllos und skrupellos jeden anwarben, erzeugten geradezu ein Ausreisefieber. Weil in erster Linie Familien gesucht wurden, kam es in den Herkunftsorten und den Sammelstellen zu kurzfristig angesetzten Eheschließungen.

Wer waren diese Auswanderer?

Die Auswanderer, die zumeist infolge des Siebenjährigen Krieg (1756-63) verarmt waren, stammten vorrangig aus ländlichen und kleinstädtischen Verhältnissen und viele waren bereit, auszuwandern, weil sie neu anfangen wollten oder mussten.

Schlacht von Kolin 1757
Die Schlacht von Kolin war eine der verlustreichsten Schlachten des Siebenjährigen Krieges.

 

Abschied der Auswanderer Zeichnung von Rudolf Suhrlandt (1781 - 1862)
Abschied der Auswanderer
Zeichnung von Rudolf Suhrlandt (1781 - 1862)

Sie kannten das Rus-sische Reich vor der Auswanderung nur aus der Werbung der Loka-toren und der staatlichen und kirchlichen Gegen-propaganda.

Die Hoffnung auf größeren Landbesitz, fi-nanzielle und wirt-schaftliche Schwierig-keiten in der Heimat, die Freistellung vom ver-hassten Militärdienst, konfessionelle Gründe, aber auch Abenteuerlust und Heiratsabsichten traten als wichtigste Auswanderungsgründe hervor.

Auf die Verheißungen3 der Lokatoren entstand ein so großes Echo, dass einige deutsche Fürsten sich sogar dazu gezwungen sahen, Auswanderungsverbote zu erlassen, da sie einen größeren Exodus, und damit einen Abzug der Steuerzahler, befürchteten.

So konnten russische Werber mit Erfolg also nur im deutschen Westen und Südwesten werben. Denunzianten wurden hohe Belohnungen versprochen.

Die Massenauswanderung ins Russische Reich

Obwohl es damals gar nicht leicht war auszuwandern, löste Katharina II. mit ihrem Einladungsmanifest eine Massenauswanderung aus.

Auswanderung

Zwischen 1763 und 1774 zogen 30.623 Kolonisten vorwiegend aus den süd- und südwestlichen deutschen Kleinstaaten (Nordbayern, Baden und Hessen) sowie aus der Schweiz und dem Elsass4 über Lübeck oder Hamburg in das Russische Reich. Den Deutschen schlossen sich vielfach aber auch Holländer und Italiener an.

Bis auf kleine Gruppen wurden 26.509 von ihnen nach Saratow, wo nur 23.126 Kolonisten ankamen. Auf beiden Seiten der Wolga entstanden 63 Lokatoren- und 41 Kronsiedlungen (Wolgadeutsche), bei Petersburg, in der Nähe von Riga, im Gouvernment Cherson und in Wolhynien.

die deutsche Ansiedlung im Russischen Reich unter Katharina II.. Deutsche Ansiedlung unter Katharina II.

 

Das Gebiet war damals eine kaum kontrollierte und dünn besiedelte Grenzregion.

baumlose Steppenlandschaft
baumlose Steppenlandschaft

"Feld, sei dort viel. Auch Wald, Wiesen und Wasser. Nur gibt es in der Gegend keine Dörfer und Städte außer Saratow und Pokrowsk. Nur wilde Menschen ziehen dort umher und rauben und plündern, wo sie nur können."

aus: Sebastian Bauer,
historischer Roman vom Wolgadeutschen Wilhelm Brungardt,
* 1908 in Herzog (Wolgagebiet) † 20.11.1990 in Nowosibirsk

barrabarrabarra

zurück 1 2 3 weiter

Anmerkungen

1Staatsbauern wurden auch als "Kronsbauern" bezeichnet und galten offiziell als Leibeigene des Staates (im Gegensatz zu den Leibeigenen der Landbesitzer). Sie verfügten über mehr Freiheiten als man denkt. So konnten die Staatsbauern Land erwerben, durften aber keine Leibeigenen besitzen. Die Staatsbauern wurden auch dazu berechtigt ihren Status aufzugeben und in die Stadt zu ziehen. Die “Leibeigenen des Staates“ waren dem Staat aber auf vielerlei Weise verpflichtet: sie konnten in die Armee eingezogen werden, mussten Steuern entrichten und Pacht für das vom Staat zur Verfügung gestellte Land zahlen.

2 Einhöfer = in Russland freie Gutsbesitzer, die zwar erbliches Eigentum hatten dem Kaiser aber Soldaten stellen mussten.

3 Verheißungen der Lokatoren = Zum Teil wurde den Kolonisten der Himmel auf Erden versprochen. Damit die Kolonisten die weite Reise überhaupt antraten, versprachen die Lokatoren ihnen viel mehr, als dann nachher eingehalten wurde. Die Umstände in den Siedlungen wurden in den rosigsten Farben geschildert. Den Kolonisten wurden 1 Haus, 1 Kuh und Land für die Landwirtschaft zugesagt. Das Steppenland musste aber erst urbar gemacht werden. Für die Reise ins “gelobte Land“ erhielten sie etwas Geld, das sie bei Antritt der Reise bekamen.
Bewusst haben die Lokatoren vermieden über die schlechten Bedingungen in den Ländereien zu sprechen. Vom wilden, mannshohen harten Steppengras, das die Kühe widerwillig fraßen, wurde natürlich nicht gesprochen. Aber die Siedler fanden es dann so vor. Neben allen Arten von Getreide, Reis und Tabak sollten sogar Maulbeerbäume für die Seidenraupen auf den Flussinseln der Wolga wachsen, was dann nicht stimmte.

4 UnterelsassVon 1798 – 1871 war die Region Elsass Teil von Frankreich. In den Jahren 1803 – 1817 gab es drei Auswanderungswellen von Elsässern nach Südrussland. Die meisten kamen aus den Kreisen Weißenburg (Wissembourg), Hagenau (Haguenau) und Zabern (Saverne) im Unterelsass. Diese Gebiete hatten in den Jahren der Französischen Revolution wirtschaftlich am meisten zu leiden. In dieser Zeit verließen etwa 40.000 Menschen ihre Heimat und zogen über den Rhein in deutsche Lande. Erst 1798 durften sie in das Elsass zurück, waren aber land- und mittellos geworden. Immer mit der Hoffnung auf eigenes Land suchten viele elsässische Bauern einen Neuanfang in Russland.
Die erste Auswanderungswelle setzte mit dem Manifest Alexanders I. ein. Bereits 1803/04 zogen viele Familien in die Gebiete bei Odessa und wurden in den Liebentaler Kolonien bzw. auf der Krim angesiedelt.
Die 2. und größte Auswanderungswelle folgte in den Jahren 1808/09. Diese Gruppe gründete zusammen mit Kolonisten aus der Südpfalz und dem Herzogtum Baden die katholischen Kolonien am Kutschurgan und im Beresaner Gebiet.
Nach dem Sturz Napoleons und der Invasion des Elsass folgte im Jahr 1817 die 3. Welle. 25 Familien aus dem Elsass wanderten nach Russland aus. Soziale Missstände und die katastrophale materielle Lage der meisten Bauernwirtschaften (Missernten in den Jahren 1815-1817) zwangen viele Menschen zur Auswanderung.