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Das russische Zarenreich im 18. Jahrhundert

Die Reformen Peters des Großen

Nach der blutigen Abrechnung mit den Strelitzen1 (Massenhinrichtungen 1698/99) leitete Peter umfassende Reformmaßnahmen ein, die den Bruch mit der Vergangenheit und den altertümlichen moskowitischen Lebensformen bedeuteten.

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Einführung des julianischen Kalenders
Einführung des julianischen Kalenders

Er führte bei Hof die westeuropäische Etikette und Kleiderordnung ein, stellte die altrussische Zeitrechnung, nach der das Jahr im Herbst begann, zum 1. 1. 1700 auf den julianischen Kalender um.

 

Unter Peter I. gelangten die Deutschen in Russland zu beachtlichem Einfluss. Mehr noch als seine Vorgänger unterstützte Peter I. den Zuzug von ausländischen Militärs und technischen Experten sowie Verwaltungsspezialisten und Gelehrten, die er benötigte, um seine Expansions- und Modernisierungsbestrebungen zu realisieren und die gesamte Infrastruktur des russischen Staates den Bedürfnissen einer modernen Großmacht anzupassen.

St. Petersburg entsteht
St. Petersburg entsteht

 

Die Gründung der Stadt St. Petersburg (1703) war wohl das deutlichste Symbol für den Willen Peters des Großen, Russland nach westeuropäischem Vorbild zu modernisieren.

Das Ansiedlungsmanifest vom 16. April 1702

Peter der Große
Peter der Große

Nach einigen improvisierten Anwerbungen während Peters Großer Auslandsreise 1697/98 richtete er sich am 16. April 1702 in einem Anwerbemanifest, in dem die Leitsätze der Ansiedlungspolitik festgelegt wurden, an Auswanderungs-willige in den deutschen Ländern und den anderen westeuropäischen Staaten. Vor allem auf Offiziere, Soldaten und Militärs, aber auch auf Kaufleute, Künstler und Beamte aller Art hatte es Peter der Große abgesehen.

Es war das erste Berufungsmanifest des Zarenreiches, das die systematische Herbeiführung von notwendigen ausländischen Fachleuten in Gang setzte.

deutsche Fachkräfte in Russland
deutsche Fachkräfte in Russland

Mit diesen Fachkräften versuchte Peter am Beginn des 18. Jahrhunderts westliches Know-How in sein damals rückständiges Reich zu importieren, um Armee, Streitkräfte, Handel und die staatliche Verwaltung zu reformieren. Dafür versprach er ihnen umfangreiche Privilegien. Ein zentraler Punkt war das Zugeständnis der Religionsfreiheit.

Dieses Anwerbemanifest fand in den deutschen Ländern ein großes Echo. Einige Tausend Spezialisten wanderten nach Russland ein, die als Stadtplaner, Baumeister und Handwerker an der Gründung und dem Bau der neuen Hauptstadt St. Petersburg (1703) teilnahmen und bei Hof, im Bildungswesen, in Wirtschaft, Verwaltung und Armee eine bevorzugte Oberschicht bildeten.

St. Petersburg

1712, noch während des Großen Nordischen Krieges2, zog Peter mit seinem Hofstaat in das neu gegründete Sankt Petersburg um. Dieser Verlegung der Zarenresidenz in den äußersten Nordwesten und fernab von Moskau kam eine zukunftsweisende Bedeutung zu. Sie signalisierte einen bewussten Bruch mit der altmoskowitischen Vergangenheit. Petersburg wurde die neue Hauptstadt. Moskau, bis dahin Hauptstadt Russlands, bestand zu jenem Zeitpunkt noch fast vollständig aus Holzhäusern. Bis 1917 blieb St. Petersburg Hauptstadt und Sitz der Zaren. 

 

Der Aufbau von Heer, Flotte und neuer Hauptstadt sowie der lange andauernde Nordische Krieg (21 Jahre) verschlangen gewaltige Summen, die durch Steuern aufgebracht werden sollten. Dieser Druck auf die Untertanen führte zu mehreren Aufständen (z. B. in Astrachan 1705/06, die Bauernerhebung unter Bulawin am Don 1707/08).

 

Nachdem Peter seine erste Frau Jewdokija Fjodorowna Lopuchina nach dem 2. Strelitzenaufstand 1698 ins Kloster Susdal verbannt hatte, heiratete er 1712 die Magd Martha Skavronskaja, die nach seinem Tod als Katharina I.3 zwei Jahre Kaiserin war.

 

Patriarch Adrian
Patriarch Adrian

Sein ganzes Leben lang, setzte Peter seine ungeheure Kraft und seine Energie daran Russland zu modernisieren. Er führte fremde Sitten ein, verbot althergebrachte Gebräuche der Russen und nahm der Kirche die Macht.

Für den 1700 verstorbenen Patriarchen Adrian I. durfte kein Nachfolger gewählt werden; seit 1721 stand ein dem Staat untergeordnetes Kollegium, der Heilige Synod, an der Spitze der Kirche.

Peter gestaltete den gesamten Staatsapparat nach rationalen, westlichen (vornehmlich nordeuropäischen Vorbildern entlehnten) Gesichtspunkten um (Städtereform, 1699; Gouvernementsordnung, 1708-19). Hinzu kam die Bildung neuer Regierungsbehörden (Regierender Senat, 1711; Kollegienverwaltung, 1717; Generalprokurat, 1722).

Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg
Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg

Peter ließ eine Schriftreform (1710) durchführen, förderte u. a. die Einrichtung von Fachschulen und der Akademie der Wissenschaften (Gründungserlass 1724). Außerdem veranlasste er Forschungsexpeditionen zur Erschließung der östlichen und südöstlichen Gebiete des Zarenreiches (u. a. erste wissenschaftliche Sibirienreise 1720-27 von Daniel Gottlieb Messerschmidt und die "Erste Kamtschatka-Expedition" 1725-30 von V. J. Bering).

Rangtabelle Peters I.
Rangtabelle Peters I.

Mit der Rangtabelle von 1722 schuf sich Peter einen Dienstadel, der im Geist der europäischen Frühaufklärung nur nach dem Leistungsprinzip rekrutiert werden sollte.

Den fiskalischen Interessen des Staates diente die Ablösung der bisherigen Hofsteuer durch eine Kopfsteuer (eigentlich "Seelensteuer"), die seit 1724 von jeder arbeitsfähigen Person männlichen Geschlechts der abgabenpflichtigen Bevölkerung auf der Grundlage periodischer Volkszählungen ("Revisionen", erstmals durchgeführt 1719-21) erhoben wurde und die die Hauptlast der petrinischen Kriegsanstrengungen und Reformversuche zu tragen hatten.

 

Peter I. verfügte auch die Abschaffung des Titels “Zar“, den er im westeuroäischen Sinne 1721 durch den Titel “Imperator“ ("Allrussischer Kaiser", russisch "imperator vserossijski") ersetzte. Diesen Titel trugen nach ihm alle anderen russischen Zaren.

 

Über Eheschließungen der Nichten und zweier seiner Kinder verband er die außenpolitischen Interessen Russlands mit deutschen Fürstenhäusern (Kurland, Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig-Wolfenbüttel, Holstein-Gottorp).

 

Nicolai Ge: Peter I. verhört seinen Sohn Alexei
Nicolai Ge: Peter I. verhört seinen Sohn Alexei

Peter geriet in einen tiefen Gegensatz zu seinem Sohn aus erster Ehe, dem Zarewitsch Alexei Petrowitsch, den er nach dessen Flucht über Österreich nach Italien (1717) nach Russland zurückholen ließ, enterbte und dem er wegen Hochverrats den Prozess machte. Alexei wurde gefoltert, 1718 zum Tode verurteilt und dann begnadigt, starb aber wenige Tage später im Gefängnis an den Folgen der Folterungen.

Ivan Nikitich Nikitin: Peter I. auf dem Totenbett
Ivan Nikitich Nikitin:
Peter I. auf dem Totenbett

Unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit Alexei erließ Peter zwar 1722 eine neue Thronfolgeordnung, die verfügte, dass der russische Herrscher unter Umgehung des Geblütsrechts seinen Nachfolger selbst wählen könne, versäumte es aber, sein Lebenswerk durch eine rechtzeitige Bestimmung des Thronfolgers zu sichern.

Er starb überraschend am 8. Februar 1725 im Alter von 52 Jahren; ihm folgte seine 2. Gemahlin, Katharina I., auf den Thron.

Der plötzliche Tod des Zaren am 8. Februar 1725 leitete eine krisenhafte Übergangsphase ein, die vier Jahrzehnte andauern sollte.

 

Als Herrscherpersönlichkeit erregte Peter der Große bei den Zeitgenossen Aufsehen und Anstoß, weil er alle herkömmlichen gesellschaftlichen Konventionen missachtete.

Trotz aller Widerstände konnte er durch seine Reformen in der Wirtschaft, Armee und der Verwaltung das Zarenreich in einen modernen Staat mit europäischer Prägung verwandeln.

 

In Musik und Literatur wurden zahlreiche Episoden aus dem Leben des Zaren verarbeitet. Vom Aufenthalt in Holland handeln u. a. die Opern "Zar und Zimmermann" (1837) von A. Lortzing und "Der Nordstern" (1854) von E. Scribe/G. Meyerbeer.

Mit seiner Biografie befassen sich u. a. die Romane von D. S. Mereschkowski (1905), Klabund (1923), A. N. Tolstoi (1929‒45; unvollendet) und (unter Bezug auf das gegenwärtige Russland) D. A. Granin (2000). Zudem entstanden mehrere Historienfilme über ihn (u. a. "Pjotr Perwy", 1937/38, Regie: Wladimir Petrow; "Peters Jugend", 1981, Regie: S. A. Gerassimow; "Peter the Great", 4 Teile, 1986, Regie: Marvin J. Chomsky).

lineAnmerkungen

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1 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.

2 Der Große Nordische Krieg (1700-21) sicherte Russland trotz anfänglicher Rückschläge (vernichtende Niederlage bei Narwa, 30. 11. 1700) nach dem entscheidenden Sieg über Karl XII. von Schweden in der Schlacht von Poltawa (8. 7. 1709) den Zugang zur Ostsee (Livland, Estland, Ingermanland, Teile Kareliens mit Wyborg und Kexholm [Priosjorsk]). Nach dem Frieden von Nystad (10. 9. 1721) war Russland die überragende Macht an der Ostsee.
Im Krieg gegen das Osmanische Reich hatte der missglückte Pruthfeldzug von 1710/11 zwar die Rückgabe Asows erzwungen, doch brachte der Feldzug gegen Persien (1722/23) Gebietserwerbungen an der West- und Südküste des Kaspischen Meeres (u. a. Rescht und Baku).

3 Katharina I. war von 1725-1727 russische Zarin. Über ihren frühen Werdegang findet man nur unsichere und widersprüchliche Angaben.
Katharina wurde am 5. April 1684 in Jēkabpils (Lettland) als Martha Skavronskaja geboren. Sie war die Tochter von Samuelis Skavronskis, einem katholischen lettischen Bauern polnischen Ursprungs und Elisabeth Moritz. Marthas Eltern sollen 1684 oder 1685 an der Pest gestorben sein und ihre Tante brachte sie in Marienburg beim evangelischen Pfarrer Ernst Glück unter, wo sie als Hausmagd aufwuchs. Ihr wurde weder lesen noch schreiben gelehrt und blieb lebenslang ein Analphabet.
Sie war ein sehr schönes Mädchen und Frau Glück soll gefürchtet haben, dass Marta eine Beziehung mit ihrem Sohn anfangen würde. Nach Ausbruch des Großen Nordischen Krieges wurde sie 17-jährig mit dem schwedischen Dragoner Johann Kruse verheiratet. Kurz darauf mussten sich die Schweden aus Marienburg zurückziehen. 1702, als russische Truppen unter Boris Petrowitsch Scheremetew die Stadt eroberten, wurden alle Einwohner gefangen genommen. Martha geriet zusammen mit der Familie Glück in russische Gefangenschaft und gelangte mit dieser nach Moskau, wo sie im Haushalt Scheremetews arbeitete. Später wurde sie Fürst Alexander Menschikow, dem besten Freund von Peter dem Großen, übergeben, ob sie seine Geliebte wurde, ist umstritten.
Im Herbst 1703 nahm sie Zar Peter, der sie bei Menschikow kennengelernt hatte, als ständige Lebensgefährtin in sein Haus. 1705 konvertierte Martha zum orthodoxen Glauben und nannte sich fortan Ekaterina Alexejewna. Sie gebar Peter als Mätresse und seit 1712 als seine rechtmäßige Frau 11 Kinder, von denen allerdings nur 2 Töchter überlebten, und zwar Anna und die spätere Zarin Elisabeth.
Katharina begleitete ihren Mann auch auf dem Feldzug gegen die Türken (1710–1711). Hier bewies sie einen seltenen Mut mit männlicher Ausdauer und natürlicher Klugheit; sie rettete Peter den Großen am Pruth  vor der Gefangennahme der Türken. Dafür "schenkte" sie ihren ganzen Schmuck dem türkischen Wesir. Um ihr dafür den Beweis von seiner und Russlands Dankbarkeit zu geben, stiftete er den nach ihr benannten Damenorden (s.Katharinenorden). 1724 ernannte Peter der Große seine Ehefrau zur Zarin und Mitregentin.
Mit Sanftmut und Milde begegnete Katharina den wilden Launen ihres Ehemannes, zügelte seinen Jähzorn und seine Neigung zur Grausamkeit. Eine Episode ihres Schicksals hat Franz Kratter unter dem Titel: Das Mädchen von Marienburg für die Bühne bearbeitet.
Peter hatte es allerdings versäumt vor seinem Tod durch ein gültiges Dokument die Thronfolge zu bestimmen. Nach dem Tod Peter des Großen, im Jahr 1725, konnte Katharina, die politisch eigentlich weitgehend uninteressiert war, mit Hilfe Menschikows und einer Palastrevolution den russischen Thron besteigen. Sie wurde am 8. Februar 1725 als Kaiserin gehuldigt, starballerdings nach einer kurzer Regierungszeit von nur 2 Jahren im Alter von 43 Jahren. Katharina übergab den Thron an ihren Enkel Peter II. (Sohn von Alexeis)