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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

Der 2. und letzte Aufstand der Strelitzen (1698)

(Teil 2 von 3)

Fjodor Aleksejev: Neu-Jerusalem Kloster
Fjodor Aleksejev: Neu-Jerusalem Kloster

In der Nähe des Männerklosters Neu-Jerusalem, etwa 25 km von Moskau entfernt, stieß Gordon1 mit seiner Truppe auf die Aufständischen. Die wilden, ohne tüchtige Anführer und ohne Plan angreifenden Massen der Slrelitzen2 wurden in kurzer Zeit besiegt. Gordon begnügte sich, von den Gefangenen jeden zehnten Mann auszuheben und hinrichten zu lassen. Etwa 5.000 Mann wurden gefesselt nach Moskau geführt und dem Richterspruch des Zaren überlassen. Zirka 3.000 hatten ihr Grab auf dem Schlachtfeld gefunden. Die Mehrzahl muss sich demnach durch Flucht gerettet haben, da 20.000 Mann dabei gewesen sein sollen.

 

Gottfried Schalken: Peter der Große um 1700
Gottfried Schalken:
Peter der Große um 1700

Peter bekam, wie schon erwähnt, die erste Nachricht von diesem Aufstand als er sich in Wien befand.

Sein Zorn war unbeschreiblich. Er, der es mit seinen Untertanen gut meinte, Künste und Wissenschaften und manche andere Annehmlichkeiten unter ihnen einbürgern wollte; er, der dieselbe Behaglichkeit, denselben Lebensgenuss, den er in andern Ländern fand, so gern in seine Heimat verpflanzen wollte, sah sich überall von Hindernissen, wie Vorurteile, Wildheit, Hartnäckigkeit und Starrköpfigkeit umringt.

 

Vom großen Kontrast zwischen der Hochkultur, die der Zar im Ausland gesehen hatte und den primitiven Bedingungen, die er in der Heimat vorfand, war Peter für lange Zeit depressiv. Er war reizbar, hatte oft Wutausbrüche und in verschiedenen von ihm geschrieben Briefen, äußerte er große Zweifel an der Durchführbarkeit seiner Vorhaben, Russland zu modernidieren.

 

So schrieb Johann Georg Korb3 in seinem „Tagebuch der Reise nach Russland":

„....... Er (Peter I.) schlug seinem Liebling Menschikow ins Gesicht; ...... in einem Wutanfall warf er Lefort zu Boden und trampelte auf ihm herum ....."

 

Peter hatte Amsterdam und London besucht und geglaubt, dass es ausreichen würde, die Kriegstechnik und den Schiffsbau zu erlernen, um Russland mit Hilfe von angeworbenen Sachverständigen unverzüglich aus seinem mittelalterlichen Zustand zu erwecken und zu einer Seemacht zu bringen.

Stich von einem Gemälde von Jean Michel G. Wanner, Peter I in Zaandam mit dem niederländischen Meister
Stich von einem Gemälde von Jean Michel G. Wanner:
Peter I in Zaandam mit dem niederländischen Meister

 

Versehentlich war der Zar aber auch mit anderen Aktivitäten und Formen Europas in Berührung gekommen, so dass er vorausahnte, dass die Technik der abendländischen4 Völker sich nur im Rahmen ihres Lebensstils entwickeln könnte.

 

Peter der Große am Morgen der Strelitzenhinrichtung
Peter der Große

Aber nun zurück zum Strelitzenaufstand. Das Unternehmen der Strelitzen störte Peter mitten in der Ausführung seines Plans, auch Italien, die Heimat der schönen Künste, zu sehen. Die Strelitzen waren dem Zaren seit dem Massaker von 1682 seine erbittertesten Feinde, die seine Abwesenheit zu verbrecherischen Zwecken zu benutzen gedachten! Er schwor, ein entsetzliches Gericht zu halten und sich von der Plage Strelitzen für immer zu befreien.

 

Peter der Große schnitt den Bojaren die Bärte ab
Peter der Große
schnitt den Bojaren die Bärte ab

Als sich am folgenden Tag nach seiner Rückkehr die Großen, Vertreter der alten Adelsfamilien, in Preobrashenskoje einfanden und sich ihrer sklavischen Sitte getreu vor dem Herrscher niederwarfen, hob Peter sie freundlich auf, dankte ihnen aber durch eine höchst empfindliche Kränkung, indem er ihre traditionellen Bärte abschneiden ließ. Nur Greise, der Bauer- und der Priesterstand durften noch der alten Gewohnheit folgen.

 

Kurz darauf, am 5. September, erließ er den Ukas, wonach seine Untertanen ein "europäisches Äußeres" anzunehmen hätten. Damit wurde das Tragen von Bärten, das eine Art von Statussymbol darstellte, unter Strafe gestellt.

Bojar in altrussischer Tracht
Bojar in altrussischer Tracht

Peter zog sich so die Wut der streng orthodoxen Russen auf sich, die aus religiösen Ansichten (der Mensch als Abbild Gottes sollte dieses Abbild nicht manipulieren) lange Bärte trugen.

Der Zar machte aus dieser Reform aber auch eine Einnahmsquelle. Wer auf seinen Bart beharrte, konnte sich gegen eine saftige Steuer, die von einem Kopeken bis hundert Rubel jährlich betrug (1722 waren das immerhin 50 Rubel) davon freikaufen. Das galt besonders für die Altgläubigen, denen die Kirche mit der Exkommunikation drohte, wenn sie sich scheren ließen.

Als 'Quittung', dass sie die Steuer bezahlt und damit das 'Recht am eigenen Bart' erworben hatten, erhielten sie eine Kupfermarke mit der Inschrift: der Bart ist eine unnütze Last. Diese Marke mussten sie stets auf der Brust tragen mussten. Die Armen, die die Steuer nicht bezahlen konnten, mussten sich bei einer Kontrolle niederknien und wurden rasiert. Die abgeschnittenen Haare steckten sie in ein Säckchen, das sie bis zum Tod an der Brust trugen und das man ihnen mit in den Sarg legte, damit sie dem Heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron Russlands, dieses Glaubenszeichen vorweisen konnten.

Peter der Große ließ seinen Untertanen Bärte abschneiden und den Kaftan kürzen
Peter der Große ließ seinen Untertanen Bärte abschneiden und den Kaftan kürzen

lineAnmerkungen

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1 Patrick Gordon war ein schottischer General der russischen Armee.Patrick wurde am 31. März 1635 als jüngster Sohn der katholischen Familie Gordon of Auchleuchries geboren. Aus religiösen Gründen weigerte er sich eine Universität in Schottland zu besuchen und verließ 1651 seine schottische Heimat. Über Danzig, Kulm, Posen und Hamburg tritt er 1661 in den Dienst des russischen Zaren Alexei I. Zusammen mit anderen Landsleuten und weiteren Westeuropäern sollte Patrick Gordon die russischen Truppen ausbilden. Doch findet er sich mit der komplizierten Situation am zaristischen Hof nicht zurecht und entschließt sich gegen Ende des Jahres 1661 Russland wieder zu verlassen, was ihm aber nicht erlaubt wurde. Er zeichnete sich in den Feldzügen gegen die Türken aus, war längere Zeit Kommandant von Kiew, wurde 1687 General und gewann seit 1689 hohen Einfluss auf Peter den Großen, dessen Heere er mit François Lefort auf europäische Art ausbildete. Im Türkenkrieg 1696 leitete er als kommandierender General die Operationen und eroberte die Festung Asow. Während Peters erster Auslandsreise war er Gouverneur von Moskau und unterdrückte den Aufstand der Strelitzen. Zum Ende seines Lebens war Gordon schwer krank und wurde immer wieder von Zar Peter besucht. Dieser soll während er starb (†29. November 1699) seine Hand gehalten und ihm die Augen geschlossen haben.

2 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.

3 Johann Georg Korb kam nach seinem Jurastudium nach Wien in den kaiserlichen Hofdienst. Als kaiserlicher Gesandter begab sich Korb im Januar 1698 an den russischen Hof des Zaren Peter des Großen nach Moskau. Vom ersten Tag an führte er zwei Jahre lang ein Tagebuch, das 1700 in lateinischer Sprache erschien. Ungeschminkt berichtete er von den Folterungen und Hinrichtungen in Moskau und Petersburg.
Der Zar war so erzürnt, dass er bis auf 52 Exemplare alle Bücher Korbs aufkaufte und auf dem Platz vor dem Kreml verbrennen ließ. Korb, für den österreichischen Kaiserhof nicht mehr tragbar, musste eine neue Laufbahn einschlagen. Ab 1701 war er in Diensten des Fürsten Christian August zu Sulzbach. Er starb am 15. November 1741.
Korbs Reisetagebuch und seine Beschreibungen als Gesandter am Zarenhof überlebten den Autor jahrhundertelang. Sie wurden in mehrere Sprachen übersetzt, 1968 auch ins Deutsche.
4 Als Abendland (auch: Christliches Abendland oder Okzident) wurde ursprünglich der westliche Teil Europas bezeichnet, besonders Deutschland, Österreich, England, Frankreich, Italien und die Iberische Halbinsel.