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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

Die große Gesandtschaft in den Vereinigten Niederlanden

(Teil 2 von 4)

Mit ein paar Reisegefährten kam Peter I. am 7. August 1697 in Amsterdam an. Ohne sich dort aufzuhalten, drängte es ihn nach Zaandam, dessen Werft im Bau von Handelsschiffen spezialisiert war.

Zar Peter-Haus in Zaandam
Zar Peter-Haus in Zaandam

Da Franz Lefort, der Leiter der Gesandtschaft, mit dem Rest des Gefolges auf sich warten ließ, nahm der Zar Quartier in einem bescheidenen Hinterhaus des Schmiedes Gerrit Kist, den er in Moskau kennen gelernt hatte und mit ihm oft gehandwerkelt hatte.

Haus des Gerrit Kist
Haus des Gerrit Kist

 

Peter als Zimmermann in gemeiner Matrosentracht
Peter als Zimmermann
in Waterländer Tracht

Als Pjotr Michailow schrieb sich der Zar auf Rogges Schiffswerft ein. Ohne sich erkennen zu geben, kaufte er sich Handwerkszeug, kleidete sich wie ein Schiffszimmermann und verbrachte seine Zeit mit den anderen Arbeitern. Er leibte und lebte im Wesen dieser Leute, von denen viele seine alten Bekannten waren, aß und trank mit ihnen, verschmähte das Angebot einer glänzenden Wohnung, bereitete sich selbst sein Essen und war nur stolz auf seinen Titel „Baas Peter" (Meister Peter), den er sich durch seinen Fleiß und seine Geschicklichkeit erworben hatte.

 

„Nun Zimmermann Peter von Saardam, warum helft ihr denn nicht?"
„Nun Zimmermann Peter von Saardam,
warum helft ihr denn nicht?"

Alles griff er an, er webte, schmiedete und drechselte. Alles versuchte er und scheute keine Arbeit. Er scheute sich auch nicht, als man ihn bat mitzuhelfen, um einen Balken fortzuschaffen.

 

Peters Absicht war leben zu lernen, um es seinem Volk zu lehren.

 

Doch blieb Peter nicht unerkannt. Da er sich durch die vielen Schaulustigen gestört fühlte, kehrte er schon nach nur einer Woche nach Amsterdam zurück, wo er sich bis Mitte Januar 1698 aufhielt, um seine Kenntnisse zu erweitern.

Tagsüber arbeitete der über zwei Meter große Peter monatelang als normaler Balkenschlepper beim Bau der Fregatte Peter und Paul, nachts studierte er die zugehörige Theorie, denn später wollte er mit seinen neu erworbenen Kenntnissen in seiner Heimat eine eigene Flotte aufbauen.

Peter und Paul
Abraham Storck: Zar Peter der Großen an Bord seiner Yacht auf dem Weg zur Fregatte Peter und Paul

 

Peter erhielt als Pjotr Michalow ein Zertifikat, das bestätigte, dass er für 4 Monate und fünf Tage als Schiffszimmermann unter Aufsicht des Meisters Pool gearbeitet hatte, dass er sorgfältig alle Zweige des Handwerks erlernt hätte und dass er sich anständig benommen hatte.

Peter der Große legt eine Prüfung ab
Yuri Kushevsky: Peter der Große legt eine Prüfung ab

 

Yuri Kushevsky: Peter beim Zähneziehen
Peter beim Zähneziehen

Peter besuchte aber auch Vorlesungen über Ingenieurkunst und Mechanik, ließ sich im Geschützwesen unterrichten, nahm aber auch an einer Leichensektion teil und lernte das Zähneziehen, das er an seinen Untergebenen übte.

Er verfrachtete Wagenladungen mit neuen Geräten, Werkzeugen und Waffen nach Russland und warb Hunderte von Kapitänen, Armeeoffizieren, Matrosen, Technikern, Ingenieuren, Facharbeitern, Köchen, Ärzten, Trommelspieler und 1 Gärtner für den Dienst in Russland an, um seine Landsleute auszubilden.

Er organisierte damit gewissermaßen einen Technologieschub und Wissenstransfer von Westeuropa nach Russland. Schließlich reisten rund 640 Holländer nach Russland.

 

Seemanöver zu Ehren Peters des Großen
Seemanöver zu Ehren Peters des Großen

Hier soll erwähnt werden, dass der Zar für die geistige Kultur der Niederlande, die im 17. Jahrhundert ein besonders hohes Niveau hatte, keinerlei Verständnis zeigte. Er war nicht in der Lage irgendeinen Eindruck der Philosophie, Literatur oder Kunst aufzunehmen. Sein Interesse wandte sich in erster Linie die der Flotte und der Armee dienenenden technologischen Fortschritte zu.

Die Naturwissenschaften verlockten ihn auch nur, weil sie praktisch anwendbar sind und kein abstraktes Wissen erfordern.

Peter I. in Zaandam
Peter I. in Zaandam

 

Ohne Zweifel zog die blühende niederländische Wirtschaft seine Aufmerksamkeit so sehr an, dass er intensiv Spezialisten für Russland anwarb, die entweder neue Produkte einführen oder die bereits bestehenden weiterentwickeln sollten.

Aber auch in diesem Bereich galten für ihn mehr militärische als wirtschaftliche Bedürfnisse. So richtete er sich in erster Linie an die Metallurgie, die für die Durchführung seines Programms der Bewaffnung eine wesentliche Bedeutung spielte: das Ziel war den Bedarf von Eisen und Kupfer durch die Produktion in russischen Bergwerken decken zu können und sich somit von der teuren Importation aus Schweden befreien zu können.

 

Peter studierte die Technik des Einpolderns und wollte wissen, wie man erfolgreich Städte bombardiert.

Der Zar war handwerklich äußerst geschickt und begriff sofort, wie eine Maschine funktionierte und wie er sie noch besser nachbauen konnte.

Dem Anatomieprofessor Frederik Ruysch kaufte er eine enorme Sammlung von 2.000 anatomischen Präparaten ab und ließ sie nach Russland bringen.

Jan van Necks: Der holländische Anatom Frederik Ruysch (1683-1731) seziert einen verstorbenen Säugling
Jan van Necks:Der holländische Anatom Frederik Ruysch
seziert einen verstorbenen Säugling

 

Wilhelm von Oranien
Wilhelm von Oranien

Privat traf er mit Wilhelm von Oranien (Statthalter der Niederlande und König von England) zusammen, der ihn dann auch nach England einlud.

 

Der Bau der holländischen Schiffe gefiel dem rastlosen Peter aber nur so lange, bis er sie für die besten hielt.

Als er durch Engländer überzeugt wurde, dass die englischen Fahrzeuge leichter, gefälliger und nach richtigeren mathematischen Berechnungen gebaut würden, wollte Peter das selbst sehen und erlernen.

Im Januar 1698 fuhr der Zar mit einem kleinen Teil der Gesandtschaft (25 Personen) nach London, wo er sich bis Ende April 1698 aufhielt.

 

Die zurückgebliebenen Russen führten unterdessen in Amsterdam ein lustiges Leben. Allmählich fielen die Gäste der Hauptstadt zur Last und man wünschte sie los zu werden, doch vor der Rückkehr des Zaren war keine Aussicht, diesen Wunsch erfüllt zu sehen.

Die Ausgaben der Niederlande für die russische Gesandtschaft betrugen etwas über eine halbe Million Gulden und wurden durch eine Abgabe auf russische Ein- und Ausfuhrartikel zurückerstattet.

 

Peter der Große hatte versucht diese Reise noch nutzbarer zu machen, indem er jedem seiner Reisebegleiter eine besondere Mission zuteilte, welche hauptsächlich darin bestand, sich mit diesem oder jenem Zweig der Industrie bekannt zu machen und die geschicktesten Industriellen jener Zeit zur Übersiedlung nach Russland zu bewegen, wo ihnen Privilegien und Vorteile aller Art geboten wurden. Auf diese Weise gelang es, 640 Industrielle für Russland zu gewinnen, deren Zahl durch hugenottischeGlaubensflüchtlinge aus Frankreich noch vermehrt wurde.

 

Ludwig XIV.
Ludwig XIV.

Die diplomatischen Verhandlungen Leforts, Verbündete für einen eventuellen neuen Krieg gegen das Osmanische Reich und die Krimtataren zu gewinnen, blieben jedoch erfolglos.

Die Holländer verweigerten den Zaren im Kampf mit den Osmanen1 zu unterstützen. Damals fühlte sich Westeuropa nicht so sehr vom Morgenland bedroht, sondern vom Sonnenkönig Ludwig XIV.

Vor der Tür stand damals der Spanische Erbfolgekrieg und England und Holland versuchten alle verfügbaren Kräfte zu sammeln, um die hegemonialen Versuche Frankreichs zurückzudrängen. Zu diesem Zweck versuchten sie Österreich in eine Koalition gegen Ludwig XIV. zu gewinnen.

Leopold I.
Leopold I.

Aber seit 1663 waren die österreichischen Truppen in Süd-Ost-Europa in einem langen Krieg gegen die Osmanen verwickelt. Um diese Truppen für den Krieg gegen Frankreich zu gewinnen, schlugen England und die Niederlande den Österreichern schließlich vor, einen separaten Frieden zwischen dem römisch-deutschen Kaiser Leopold I. und dem Sultan Mustafa II. abzuschließen, ohne sich um die Isolation, in der sich Russland befunden hätte, zu kümmern.

Mit der Absicht, diese Entwicklung, die gefährlich für die russische Außenpolitik geworden wäre, zunichte zu machen, begab sich die russische Gesandtschaft von Amsterdam nach Wien.

 

Schon damals empfing der Zar Nachrichten über neu ausgebrochene Strelitzenunruhen2, die man nicht durch Gewalt unterdrückte, sondern gütlich beigelegt hatte, worüber der Zar dem Reichsverweser Romodanovski sein Missfallen brieflich zu erkennen gab.

Am 15. Mai 1698 trat Peter mit seiner Gesandtschaft die Rückreise an.

lineAnmerkungen

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1 Osmanen = ein historisches Turkvolk in Kleinasien, seit 1923 einheitlich als Türken bezeichnet

2 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.