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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

Peter I. und die Deutsche Vorstadt

Patrick Gordon
Patrick Gordon

Peter, der gekrönte Selbstherrscher aller Reußen, besuchte im Frühjahr 1690 das erste Mal das Haus des Patrick Gordon1 in der Nemezkaja Sloboda, der Deutschen Vorstadt, in Moskau. Es soll hier bemerkt werden, dass es das erste Mal überhaupt war, dass Peter das Haus eines Ausländers betrat, in der damaligen Zeit einen unerhörten Schritt für einen Russen.

Der katholische Adlige Gordon, der vom Patriarchen als schlimmer Ketzer und als Unglück Russlands bezeichnet wurde, war nach der Glorious Revolution2 aus Schottland geflohen und empfand für Peter väterliche Freundschaft.

Geflohene Schotten galten als Jakobiten, woran Peter sehr interessiert war, aber zu Problemen mit der Kirche führte.

Gordon war General der russischen Armee und lehrte den Zaren die Besonderheiten des militärischen Gewerbes.

 

Peter mit seinen ausländischen Gefährten
Peter mit seinen ausländischen Gefährten

Nachdem sich der junge Zar vom Druck seiner Schwester Sofia Alexejewna befreit hatte, besuchte er immer öfter die Sloboda und verbrachte seine Zeit mit den dort lebenden Ausländern.

Peter lernte in der deutschen Sloboda eine neue Welt kennen, die ihm bisher durch Sitte und geistliche Bevormundung verschlossen war. 

Sein Interesse an der Ausländerstadt war in Russland nicht gern gesehen, denn Ausländer galten als "Ketzer" und der Kontakt mit ihnen war verpönt.

Patriarch Joachim
Patriarch Joachim

Die Patriarchen Joachim und Adrian (es waren die letzten, da das Amt 1700 aufgelöst wurde) hatten ja dringend geraten allen Verkehr mit den Lateinern, Lutheranern und Calvinisten3 zu meiden, jeden Einfluss, den die Ausländer ausübten mit dem Tod zu bestrafen, nie diesen Ketzern ein Amt zu geben und nie die Kleidung, Sitten, Gewohnheiten und Gebräuche der Ausländer anzunehmen oder einzuführen.

Die Ausübung ihrer Religionsbekenntnisse sei nicht erlaubt und ebenso wenig wären ihnen die dazu nötigen Plätze wegen der Verführung ihrer ketzerischen Versammlungen zu bewilligen; wo solche vorhanden, entweder in der Nähe oder zwischen christlichen Häusern, müsste man sie als teuflische Versammlungen zerstören; das Heil des Staates beruhe auf dem Ausschluss dieser Fremden.

 

In der Ausländervorstadt lernte Peter aber viel über die einzelnen Länder der Welt und sah sie als Vorbild für die von ihm angestrebte Gesellschaft, in der z. B. Frauen bei öffentlichen Festen anwesend waren usw. Hier lernte er eine andere Welt kennen als die altrussische, hier bildete sich ihm die Vision eines neuen und modernen Russland, wie er es auf seiner großen Reise in den Westen dann auch vertiefte und es dann in der neuen Hauptstadt Sankt Petersburg in die Realität umzusetzen versuchte.

 

Franz Lefort
Franz Lefort

In der Deutschen Vorstadt lernte Peter auch weitere zukünftige Berater kennen. Ein anderes, viel emotionaleres Verhältnis als zu Gordon unterhielt Peter zum lebenslustgen François Lefort, einem calvinistischen Kaufmannssohn aus Genf. Durch ihn kam Peter auch mit dem Calvinismus3 in Verbindung und lernte die Freuden westlicher Lebensart kennen. Ihr Leitmotiv war: stetiges Vergnügen.

Peters spätere Abscheu russischen Lebens und seine Verachtung von Traditionen stammen aus dieser Zeit.

Alexander Menschikow
Alexander Menschikow

Lefort war es dann auch, der dem jungen Zaren 1689 den Alexander Danilowitsch Menschikow4 vorstellte. Menschikow wurde bald Peters Kammerdiener und als Poteschnie in Preobrashenskoje auch Kamerad seines Herrn.

Zwischen den beiden entstand eine Freundschaft, die bis zu Peters Tod (1725) Bestand haben sollte.

 

Peter und Anna Mons
Peter und Marie Hamilton
(eine seiner Geliebten)
vor ihrer Hinrichtung

Auch seine erste Liebe fand Peter in der deutschen Siedlung, die berühmt für ihre schönen und wohl gekleideten Mädchen war. Durch Lefort lernte Peter die schöne Gastwirtstochter Anna Mons (Anna Margaretha) kennen, deren Familie aus Minden an der Weser an die Moskwa gekommen war.

Sie konnte gut tanzen und lebhafte Gespräche führen, das für russische Verhältnisse zu jener Zeit sehr ungewöhnlich war, denn die Russen hielten ihre Ehefrauen vor der Außenwelt versteckt: sie mussten sich die meiste Zeit im Terem, dem Frauenhaus, aufhalten.

 

Der Familie Mons wurde in dieser Zeit ein massives, geräumiges Steinhaus in der Deutschen SIoboda in der Nähe der lutherischen Kirche gebaut und ein schönes Gut außerhalb der Stadt geschenkt.

Haus der Familie Mons in der Deutschen Vorstadt
Haus der Familie Mons in der Deutschen Vorstadt

 

Anna Mons wurde in die beste Gesellschaft aufgenommen.

,,Es war bekannt, dass der Zar unmittelbar vor und nach jeder Reise, vor und nach größeren Entscheidungen oder besonderen Erlebnissen das Haus der Anna Mons in der deutschen Vorstadt aufsuchte".

Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich, Area, Stuttgart, 1986, S. 37;

 

Zehn Jahre dauerte das Verhältnis. Dann warf Anna ein Auge auf einen Mann aus ihrer Umgebung. Als Peter das 1703 erfuhr, verordnete er ihr Hausarrest, verbot ihr den Kirchgang und bot ihr die Ehe an. Sie lehnte ab.

Katharina I.
Katharina I.4

Als dann Martha Skavronskaja4, die künftige Frau des Zaren, auf der Bildfläche erschien, erwirkte Anna Mons die allerhöchste Erlaubnis, sich mit dem deutschen Gesandten Keyserling zu vermählen. Das Glück währte aber nicht lange. Fünf Monate nach der Hochzeit starb Keyserling.

 

Peter lernte aber noch eine Menge anderer Ausländer, Offiziere, Ärzte, Chirurgen, Apotheker, Kaufleute und Handwerker in der Deutschen Sloboda kennen und versuchte von ihnen zu lernen.

Peter I. als Zimmermann
Peter I.

Bezeichnend für ihn war, dass ihm eine theoretische Auskunft nie genügte, er wollte alles selber ausführen und scheute sich nicht, in Werften neben Arbeitern Hand anzulegen. Es gab schließlich kaum ein Handwerk und kaum eine Technik, vom Schiffsbau bis zum Zähneziehen, die er nicht geschickt zu meistern verstand. Nach seinem Tod fand sich überall, wo er sich aufgehalten hatte, eine Unmenge von ihm selbst verfertigter Sächelchen, Stühle, Geschirr, Tabaksdosen usw.

 

lineAnmerkungen

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1 Patrick Gordon war ein schottischer General der russischen Armee.Patrick wurde am 31. März 1635 als jüngster Sohn der katholischen Familie Gordon of Auchleuchries geboren. Aus religiösen Gründen weigerte er sich eine Universität in Schottland zu besuchen und verließ 1651 seine schottische Heimat. Über Danzig, Kulm, Posen und Hamburg tritt er 1661 in den Dienst des russischen Zaren Alexei I. Zusammen mit anderen Landsleuten und weiteren Westeuropäern sollte Patrick Gordon die russischen Truppen ausbilden. Doch findet er sich mit der komplizierten Situation am zaristischen Hof nicht zurecht und entschließt sich gegen Ende des Jahres 1661 Russland wieder zu verlassen, was ihm aber nicht erlaubt wurde. Er zeichnete sich in den Feldzügen gegen die Türken aus, war längere Zeit Kommandant von Kiew, wurde 1687 General und gewann seit 1689 hohen Einfluss auf Peter den Großen, dessen Heere er mit François Lefort auf europäische Art ausbildete. Im Türkenkrieg 1696 leitete er als kommandierender General die Operationen und eroberte die Festung Asow. Während Peters erster Auslandsreise war er Gouverneur von Moskau und unterdrückte den Aufstand der Strelitzen. Zum Ende seines Lebens war Gordon schwer krank und wurde immer wieder von Zar Peter besucht. Dieser soll während er starb (†29. November 1699) seine Hand gehalten und ihm die Augen geschlossen haben.

2 Unter Glorious Revolution versteht man die "Glorreiche (=unblutige) Revolution" die 1688 in Großbritannien stattfand und sich gegen den amtierenden katholischen Stuartkönig Jakob II.  richtete.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stand England unter der Herrschaft der katholischen Stuarts, während die Bevölkerung, damit auch der einflussreiche englische Landadel der anglikanischen Kirche angehörte.  Im Anschluss an diese Revolution kam es zu einem Thronwechsel der die Herrschaft des seit 1660 bestehenden Stuartkönigtums beendete. Der aus Holland herbeigerufene protestantische Wilhelm III. von Oranien löste zusammen mit seiner Frau 1689  Jakob II. ab.

3 Calvinismus = evangelisch-reformierte Glaubenslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin, die nur die geistige Präsenz Christi beim Abendmahl und das Schicksal der von Gott Auserwählten vertritt.

4 Alexander Danilowitsch Menschikow wurde 1670 in Moskau geboren und stammte aus sehr einfachen Verhältnissen. Sein Vater soll ein litauischer Bauer gewesen sein und er wird er als „ehemaliger Pastetenverkäufer“ bezeichnet. Mit etwa neun Jahren diente er als Page im Haushalt des Schweizer Offiziers Lefort in der Deutschen Vorstadt.Eine seiner Aufgaben war z. B. das tragen des Geldbeutels. Im Haus von Lefort soll er 1689 den ungefähr zwei Jahre älteren Zar Peter I. kennen gelernt haben.
Nach dem Tod Leforts im Jahr 1699 folgte ihm Menschikow als Peters Günstling und Berater. Nach Peters Tod war Menschikow von 1725 - 1727 De-facto-Herrscher von Russland.

4 Katharina I. war von 1725-1727 russische Zarin. Über ihren frühen Werdegang findet man nur unsichere und widersprüchliche Angaben.
Katharina wurde am 5. April 1684 in Jēkabpils (Lettland) als Martha Skavronskaja geboren. Sie war die Tochter von Samuelis Skavronskis, einem katholischen lettischen Bauern polnischen Ursprungs und Elisabeth Moritz. Marthas Eltern sollen 1684 oder 1685 an der Pest gestorben sein und ihre Tante brachte sie in Marienburg beim evangelischen Pfarrer Ernst Glück unter, wo sie als Hausmagd aufwuchs. Ihr wurde weder lesen noch schreiben gelehrt und blieb lebenslang ein Analphabet.
Sie war ein sehr schönes Mädchen und Frau Glück soll gefürchtet haben, dass Marta eine Beziehung mit ihrem Sohn anfangen würde. Nach Ausbruch des Großen Nordischen Krieges wurde sie 17-jährig mit dem schwedischen Dragoner Johann Kruse verheiratet. Kurz darauf mussten sich die Schweden aus Marienburg zurückziehen. 1702, als russische Truppen unter Boris Petrowitsch Scheremetew die Stadt eroberten, wurden alle Einwohner gefangen genommen. Martha geriet zusammen mit der Familie Glück in russische Gefangenschaft und gelangte mit dieser nach Moskau, wo sie im Haushalt Scheremetews arbeitete. Später wurde sie Fürst Alexander Menschikow, dem besten Freund von Peter dem Großen, übergeben, ob sie seine Geliebte wurde, ist umstritten.
Im Herbst 1703 nahm sie Zar Peter, der sie bei Menschikow kennengelernt hatte, als ständige Lebensgefährtin in sein Haus. 1705 konvertierte Martha zum orthodoxen Glauben und nannte sich fortan Ekaterina Alexejewna. Sie gebar Peter als Mätresse und seit 1712 als seine rechtmäßige Frau 11 Kinder, von denen allerdings nur 2 Töchter überlebten, und zwar Anna und die spätere Zarin Elisabeth.
Katharina begleitete ihren Mann auch auf dem Feldzug gegen die Türken (1710–1711). Hier bewies sie einen seltenen Mut mit männlicher Ausdauer und natürlicher Klugheit; sie rettete Peter den Großen am Pruth  vor der Gefangennahme der Türken. Dafür "schenkte" sie ihren ganzen Schmuck dem türkischen Wesir. Um ihr dafür den Beweis von seiner und Russlands Dankbarkeit zu geben, stiftete er den nach ihr benannten Damenorden (s.Katharinenorden). 1724 ernannte Peter der Große seine Ehefrau zur Zarin und Mitregentin.
Mit Sanftmut und Milde begegnete Katharina den wilden Launen ihres Ehemannes, zügelte seinen Jähzorn und seine Neigung zur Grausamkeit. Eine Episode ihres Schicksals hat Franz Kratter unter dem Titel: Das Mädchen von Marienburg für die Bühne bearbeitet.
Peter hatte es allerdings versäumt vor seinem Tod durch ein gültiges Dokument die Thronfolge zu bestimmen. Nach dem Tod Peter des Großen, im Jahr 1725, konnte Katharina, die politisch eigentlich weitgehend uninteressiert war, mit Hilfe Menschikows und einer Palastrevolution den russischen Thron besteigen. Sie wurde am 8. Februar 1725 als Kaiserin gehuldigt, starballerdings nach einer kurzer Regierungszeit von nur 2 Jahren im Alter von 43 Jahren. Katharina übergab den Thron an ihren Enkel Peter II. (Sohn von Alexeis)