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Das russische Zarenreich im 17. Jahrhundert

Sofia Alexejewna - Regentin von Russland

Mariä-Entschlafens-Kathedrale
Mariä-Entschlafens-Kathedrale
im Moskauer Kreml

Am 25. Mai 1682 (nach anderen Quellen am 23. Juni 1682, am 5. Juli 1682) wurden Iwan und Peter, die zu zwei verfeindeten Lagern gehörten, in der Uspenskij-Kathedrale (Mariä-Entschlafens-Kathedrale) gekrönt.

Sofia, Iwans Schwester, musste sich, statt der erstrebten Alleinherrschaft, mit der Vor-mundschaft über die beiden unmündigen Regenten begnügen, ohne jedoch den Plan aufzugeben zum ersehnten Ziel zu gelangen. Sie wurde drei Tage später von der Bojarenduma1 als Regentin eingesetzt, Peters Mutter (Natalia Kirillowna Naryschkina) dagegen wurde völlig ausgeschlossen und nur auf Bitten ihres Sohnes mit Verbannung in ein Kloster verschont.

 

Alexej Petrowitsch Antropow: Sofia Alexejewna
A. P. Antropow:
Sofia Alexejewna

Sofia hatte somit ihr Ziel erreicht; sie war mit Hilfe der Strelitzen2, wenn auch auf blutigem Wege, zur Herrschaft gekommen und übte diese mit Ehrgeiz sieben Jahre lang aus.

Zum ersten Mal in der russischen Geschichte hatte eine Frau das Sagen.

 

Um der mächtigen Soldatenherrschaft, der Strelitzen zu schmeicheln, ließ Sofia auf dem „schönen Markt" (Krasnaja Ploščad) eine steinerne Denksäule errichten, deren Inschrift alle, die unter Mörderhand gefallen waren, als Hochverräter bezeichnete und die Strelitzen, Diener des Ausruhrs, aber für Beschützer des Thrones erklärte.

Wassili Wassiljewitsch Golizyn
Wassili Wassiljewitsch Golizyn

 

Sofias Hauptstütze wurde ihr Günstling und Liebhaber Wassili Wassiljewitsch Golizyn3 und die Strelitzen, die Palastgarde, deren Anführer Fürst Iwan Chowansky war und die zum größten Teil aus Altgläubigen (Altorthodoxen) bestand.

 

Hinter den Familienintrigen spielte sich aber noch eine Religionskrise ab, das in den folgenden Ereignissen deutlich wird.

Russische Schützen im Jahr 1613 (im Hintergrund: Basiliuskirche und der Kreml)
Russische Schützen im 17. Jahrhundert
(im Hintergrund:
Basiliuskirche und der Kreml)

Die Zeiten, da die Strelitzen2 ein Produkt des militärischen Fortschritts darstellten und den Kern des Moskauer stehenden Heeres bildeten, waren schon lange vorbei. Sie galten als Trunkenbolde und empfänglich für Beste-chungsgelder. Schlecht bezahlt und durch allerlei klein-bürgerliche Nebenberufe dem Soldatenhandwerk entfremdet, waren sie zu einer Gar-nisonssoldateska4 herabgesunken, die von ihren adligen Offizieren kaum weniger ausgebeutet wurden als der leibeigene Bauer durch den Grundbesitzer. Sie waren von den mit Hilfe westeuropäischer Spezialisten modernisierten Heereseinheiten überholt und nur noch nicht aufgelöst worden, weil sie für Palastintrigen verwendbar waren.

Russisch-orthodoxes Kreuz. Der untere, schräge Querbalken symbolisiert den Übergang von Hölle zum Himmel
Russisch-orthodoxes Kreuz (die Altgläubigen
erkennen nur dieses Kreuz an).
Der untere, schräge Querbalken symbolisiert
den Übergang von dervHölle zum Himmel.

Die Strelitzen waren vor allem deshalb von der nach westlichem Vorbild modernisierten Armee ausgeschlossen, weil sie „Altgläubige“ waren, das heisst sie waren der altüberlieferten Liturgie treu geblieben, die im Jahr 1652 durch eine gewaltsam durchgesetzte Verordnung von oben verändert worden war, was die Kirchenspaltung auslöste.

die Reformen des Patriarchen Nikon die Reformen des Patriarchen Nikon

 

Der Chowanski-Aufstand

Iwan Andrejewitsch Chowanski
Iwan Andrejewitsch Chowanski

Chowanski, Oberst der Strelitzen, glaubte für seine Dienste von Sofia nicht genug belohnt worden zu sein und zettelte deshalb eine neue Verschwörung an, deren Opfer die ganze kaiserliche Familie werden sollte.

Nach ihrem erfolgreichen Aufstand waren die Strelitzen so kühn, dass sie „am 5. Juli 1682, drei Monate nach dem der geistliche Führer der Altgläubigen, Awwakum, als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war, ein öffentliches Reli-gionsgespräch zwischen Alt-gläubigen und Orthodoxen im Kreml erzwangen.

G. Mjassojedow: Tod des Protopopen Awwakum auf dem Scheiterhofen
G. Mjassojedow: Tod des Protopopen Awwakum auf dem Scheiterhofen

 

Die Lage in Moskau wurde allmählich auch für die Regentin Sofia bedenklich.

Dreifaltigkeitskloster
Dreifaltigkeitskloster

Nur wenige Wochen später erhielt Sofia einen Hinweis auf eine von Chowanski geplante Verschwörung mit dem Ziel, die Zarenfamilie zu töten und selber Zar zu werden. Der Hof flüchtete, rechtzeitig gewarnt, in das Dreifaltigkeitskloster, dem gewöhnlichen Zufluchtsort der Zaren in Zeiten der Not, sechs Stunden von Moskau.

Fürst Chowanski wurde umgehend zum Tode verurteilt und zusammen mit seinem Sohn Andrei enthauptet. Auf die Nachricht von seinem Tod brach ein Aufstand aus, der aber sofort wieder niedergeschlagen wurde.

 

Strelitzen
Strelitzen

Obwohl die Strelitzen sich beugen mussten, hielt man sie immer noch für so gefährlich, dass es schreck-licher Strafgerichte bedurfte, um sie ganz auszulöschen.

Unter passendem Vorwand wurden daraufhin einige Regimenter der Strelitzen an ferne Grenzen des Landes (Archangelsk, Astrachan, sibirien) versetzt und die Bewachung der Zaren Edelleuten anvertraut, also den Strelitzen entzogen.

 

Sofias Regierungszeit

Um die Herrschaft im Innern zu festigen, musste mit den Nachbarstaaten Friede geschlossen, oder die schon bestehenden Verträge erneuert werden.

So bestätigte ein neuer Vertrag mit Schweden vom Jahr 1684 den von Kardis und der Waffenstillstand mit der Pforte wurde erneuert. Weniger bereit war Polen; es verlangte Kiew und Smolensk zurück, ohne jedoch ernstlich an Besitzunahme dieser frühern Abtretungen zu denken. Durch Vermittlung des römischen Stuhles wurde endlich 1686 dauernder Friede zwischen diesen beiden Staaten geschlossen: Russland behielt Kiew und Smolensk, zahlte dafür an Polen aber anderthalb Millionen polnische Gulden, auch versprachen sich beide Reiche im Fall eines Türkenkrieges gegenseitige Hülfe.

 

Giorgio Vasari: das Massaker an den Hugenotten

Giorgio Vasari:

Massaker der Hugenotten

In der Regierungszeit Sofias förderte sie die Eisen- und Textilherstellung und beseitigte die Zollschranken gegenüber der Ukraine, dem Grenzland der Steppe, gestattete den Protestanten den Bau steinerner Kirchen in der deutschen Vorstadt (Nemezkaja Sloboda) von Moskau und bot den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten in Russland Asyl.

Durch Handelsverträge mit Polen und Schweden, England, den Niederlanden, Brandenburg und Sachsen öffnete sie das Land weiter nach Westen.

 

Mit der heranstehenden Volljährigkeit Peters wurde für Sofia die Gefahr der Absetzung immer deutlicher und sie plante mit ihren Verbündeten einen Anschlag auf Peter. Als Zar Peter 1689 die Nachricht erreichte, es sei ein Anschlag auf sein Leben geplant, verbannte er seine Halbschwester Sofia in das Neujungfrauenkloster und ließ sie zur Nonne scheren. Sofia starb am 3. Juli 1705 als Schwester Susanna.

Sofias Berater Wassili Wassiljewitsch Golizyn wurde entmachtet und in den hohen Norden ins Exil verbannt.

 

Sofias Sturz war Peters Regierungsantritt im Russischen Zarentum. Formal blieb Iwan bis zu seinem Tode im Jahre 1696 noch Zar neben Peter.

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Anmerkungen

1 Die Bojarenduma exixtierte als Beratergremium schon seit dem 11. Jahrhundert. In ihr waren Bischöfe, Stadtälteste, Vertraute des Herrschers, Spitzen der Verwaltung und einflussreicheAdelsfamilien. Die Rolle der Bojarenduma war nicht geregelt, sie basierte auf der Tradition und blieb bis zum Ende des 17.Jahrhunderts die höchste Verwaltungseinrichtung mit beratender und richterlicher Funktion. Zar Peter der Große löste die Bojarenduma 1711 auf.

2 Strelitzen = Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelitzen bildeten den Kern der russischen Heere, waren aber ohne Kriegskunst und Mannszucht und wegen des Starrsinns, womit sie an ihren alten Einrichtungen und Privilegien festhielten, leicht zu Empörungen geneigt und für die Ruhe des Reichs gefährlich. Die Strelitzen erhielten nur geringen Sold, waren dafür aber mit Handels- und Gewerbeprivilegien ausgestattet; ihr Dienstverhältnis war lebenslänglich und erblich.

3 Wassili Wassiljewitsch Golizyn (* um 1644 in Moskau; † 21. April 1714 in Pinega) war ein führender Politiker Russlands und Geliebter der Zarin Sofia. Seit 1676 Bojar, lernte er vermutlich 1682 am Sterbebett Fjodors III. dessen Schwester Sofia kennen. Im Streit zwischen Peter und Sofia hinterbrachte sein Vetter Boris dem Zaren die Nachricht, dass Sofia ihn beseitigen wolle. Peter weigerte sich nach einem weiteren Konflikt, Wassili zu empfangen. Nach dem Übergang eines Großteils der russischen Truppen zu Peter und der Absetzung Sofias wurde Golizyn, wohl dank seinem Vetter Boris, bloß verbannt und nicht hingerichtet.

4 Soldateska = disziplinloses und gewalttätig vorgehendes Militär.