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Das russische Zarenreich im 16. Jahrhundert unter Iwan IV.

(Teil 6 von 6)

Moskau im Jahr 1591
Moskau im Jahr 1591

Nach 1560 entartete das maßlose Wüten Iwans IV. gegen missliebige Vertreter des Hochadels zu einem regelrechten Terrorregime.

Im Dezember 1564 verließ der Zar mit seiner Familie und seinem Hof, über-raschend für das ganze Land, Moskau und begab sich nach der 70 km von der Haupt-stadt entfernten Alexandrower Sloboda, wo er sich für 17 Jahre niederließ. In einem Schreiben an den Moskauer Metropoliten teilte er ihm mit, er sei nicht in der Lage, weiter zu regieren, weil ihn die Bojaren1 unaufhörlich verrieten, und er ihnen gegenüber schutzlos sei.

Andrej Kurbski
Andrej Kurbski

Kurz zuvor flüchtete nach Litauen der Feldherr Fürst Andrej Kurbski, wodurch sich der Zar in die Einbildung hineinsteigerte, er könne sich infolge des Verrats der Bojaren nur auf sich selbst verlassen und müsse geeignete Maßnahmen gegen sie ergreifen.

Obgleich eine Abordnung, bestehend aus Geistlichen und Bojaren, ihn inständig bat, nach Moskau zurück-zukehren und die Regierung wieder zu übernehmen, ließ er sie solange warten, bis die Abgesandten seinen Bedin-gungen zur Fortsetzung seiner Herrschaft zustimmten. Der Zar erhielt die volle Zusage, er solle alle Ungehorsamen und Verräter strafen, auch einige hinrichten, ihr Hab und Gut beschlagnahmen sowie eine besondere Leibwache mit eigener Verwaltung und Hofhaltung schaffen.

Misstrauisch bis zum Verfolgungs-wahn, unterdrückte der Zar Iwan IV. jeden Ungehorsam mit brutalen Strafgerichten. Als Terrorinstrument hatte er sich 1565 die Truppe der Opritschnina geschaffen.

ein Massaker der Oprtischnina
ein Massaker der Oprtischnina

Diese schwarz gekleidete "Spezialtruppe" des Zaren, eine berittene Bande mit den Emblemen des Hundekopfes und des Besens gekenn-zeichnet, deren Mitglieder zugleich Leibwächter, Spitzel, Polizisten und Henker waren (ähnlich wie im 20. Jahrhundert Stalins NKWD), versetzten die russische Bevölkerung in Schrecken und Entsetzen. Iwan IV. ermutigte sie zu Einzel- und Massenmorden an seinen vermeintlichen Feinden und Gegnern. So ließ er z.B. im Jahre 1570 seine „Leibgarde“ auf die Stadt Nowgorod los unter dem Verdacht, ohne Beweise zu besitzen, sie kollaboriere mit Litauen. In fünfwöchigen Mord- und Blutorgien wurden Zehntausende getötet.

Im Winter 1578 plünderte die Truppe der Opritschnina auf Befehl des Zaren deutsche Häuser in der deutschen Sloboda, zerstörte die protestantische Kirche, die St. Michaelskirche, die jedoch bald danach wieder aufgebaut wurde. Iwan IV. ließ 378 Menschen foltern und hinrichten.

Der Pogrom gegen die Fremden bewirkte Unmut auf deutscher Seite, ohne dass jedoch daraus Konsequenzen gezogen wurden: als sich nach dem Tode des Zaren (1584) die Möglichkeit zur Rückkehr in ihre Heimat bot, blieb ein großer Teil der Deutschen in Moskau zurück.

Der Brand von Moskau 1571

Devlet I. Giray
Devlet I. Giray

Krimtatarische und osmanische Armeen forderten immer wieder das von Iwan IV. in den Jahren 1552 und 1556 eroberten Wolgagebiet für den Islam zurück.

1571 gelang es einer kleinen Armee des Krimkhans Devlet I. Giray die schlecht geschützten russischen Befestigungen unentdeckt zu umgehen, am 24. Mai 1571 vor Moskau aufzutauchen und die Vorstädte mit Feuerpfeilen zu beschießen. Das Feuer breitete sich sehr schnell auf die ganze Stadt (den Kreml ausgenommen), die zu großen Teilen aus Holz errichtet worden war, aus.

Moskau brennt

In wenigen Stunden brannte die von Truppen und Flüchtlingen über-füllte Stadt vollständig nieder. Tausende fanden in den Flammen den Tod oder wurden auf der Flucht im Gedränge zer-quetscht oder zertreten. Es war eines der schwersten Brände in der Geschichte Moskaus. Historiker schätzen die Zahl der Opfer des Brandes auf über 10.000 Menschen.

„Man fand in der Stadt nicht einmal mehr einen Pfahl, an den man sein Pferd binden konnte“, drückte ein deutscher Augenzeuge das Maß der Verwüstung aus.

Die letzten Herrscherjahre Iwans IV.

Ilja J. Repin: Detail des Ölgemäldes: Ivan IV. mit seinem erschlagenen Sohn Iwan
Ilja J. Repin: Detail des Ölgemäldes:
Ivan IV. mit seinem erschlagenen Sohn Iwan

Sein persönliches Ende leitete der moralisch wie physisch völlig zerrüttete Iwan selbst ein, als er im November 1581 seinen eigenen Sohn und Thronfolger Iwan im Jäh-zorn erschlug.

Kurz bevor Iwan IV. am 18. März 1584, vermutlich wegen einer Vergiftung, beim Schachspiel tot zusammenbrach, ließ der von Reue geplagte Gewaltherrscher ein umfassendes Verzeichnis seiner Opfer anlegen.

Historiker gehen davon aus, dass dem Terrorregime Iwans des Schrecklichen rund 6.000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Basiliuskathedrale errichtet von Iwan IV. zu Ehren des Sieges über die Tataren
Basiliuskathedrale
errichtet von Iwan IV.
zu Ehren des Sieges über die Tataren

Iwan hinterließ der Welt seinen schauder-haften Ruf, mehrere prunkvolle Kathedralen, einen ungeeigneten Thronfolger, seinen geistesgestörter Sohn Fjodor und ein ausgeblutetes Land ver-ursacht durch den 25 Jahre währenden zermürbenden Krieg (Livländischer Kriege auch: Erster Nordischer Krieg; 1558-1583), der die wirtschaftlichen Ressourcen Russlands über-forderte.

Iwans 40-jährige Regierung (Mord, Terror, Krieg und Verfolgung) brachte Russland schwere wirtschaftliche und politische Krisen. Hauptleittragende waren die Bauern, die in dem vornehmlich als Agrarstaatswesen ausgeprägten Land zu immer höheren Abgaben gezwungen wurden. Die Verarmung und Verschuldung der russischen Landbevölkerung war auch der Beginn ihrer völligen Versklavung und ihr rechtlicher Status verschlechterte sich zusehends. Ein halbes Jahrhundert später wurde im Gesetzbuch von 1649 (Sobornoje Uloschenije) die Leibeigenschaft verschuldeter und verarmter Bauern festgeschrieben.

Die hohen Steuern und die Zwangsaushebungen von Rekruten während des 25-jährigen Livländischen Krieges (1558-1583) hatten die Bauerndörfer ausgeblutet, und viele Bauern waren zu den Kosaken in den Südwesten Russlands geflohen, wo sie auf ein freieres Leben hofften.

Livländischer Krieg
Livländischer Krieg

Als Folge dieser Entvölkerung gingen die Einnahmen der Bojaren zurück, die nun einen Ausgleich für ihre Verluste und ein schärferes Vorgehen gegen die abtrünnigen Bauern verlangten.

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Anmerkungen

 1 Bojar = waren Adlige unterhalb des Ranges eines Fürsten bzw. des Zaren. In der Kiewer Rus hatte sich der Bojarenstand im 8.–9. Jahrhundert ursprünglich aus den Leibwachen der Fürsten entwickelt. Seit dem 12. Jahrhundert erlangten sie erheblichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Seit dem 15. Jahrhundert war Bojar ein vom Großfürsten bzw. Zaren verliehener Titel der Mitglieder des Bojarenrates (Ratgeber der Großfürsten und Zaren). Da sie der zentralistischen Politik der Moskauer Großfürsten entgegentraten, versuchten diese seit dem 15. Jahrhundert, den Einfluss der Bojaren zurückzudrängen. Zar Iwan IV. ließ im 16. Jahrhundert viele Bojaren töten oder deportieren, nachdem sich diese, um ihre Privilegien fürchtend, gegen ihn verschworen hatten. Peter I. schaffte den Bojarenstand Anfang des 18. Jahrhunderts endgültig ab und ersetzte ihn durch den Dienstadel (dworjanstwo). Der letzte Bojar starb 1750.