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Das russische Zarenreich im 16. Jahrhundert

(Teil 4 von 6)

Iwans Beziehungen mit England

Schiff

Auf der Suche nach einem nördlichen Handelsweg zum Orient kam der englische Forschungs-reisende Richard Chancellor 1553 ins Weiße Meer und “entdeckte” Russland.

Im europäischen Weltbild des 16. Jahrhunderts gehörte das Großfürstentum Moskau wie Amerika, Asien oder Afrika in die Gruppe der neu entdeckten oder exotischen Weltregionen. So glaubte man etwa, auf dem Gebiet des heutigen Russland, jenseits von Sarmatien und den Rhipeischen und Hyperboreischen Bergen, existiere ein irdisches Paradies, bewohnt von unbekannten Völkern mit seltsamen Bräuchen.

Karte  von Anthony Jenkinson (1562): russischer und tatarischer Osten, bewohnt von unbekannten Völkern mit seltsamen Bräuchen
Karte von Anthony Jenkinson (1562): russischer und tatarischer Osten, bewohnt von unbekannten Völkern mit seltsamen Bräuchen
Richard Cancellor trifft Iwan IV.
Richard Cancellor trifft Iwan IV.

Chancellor gelang es mit Iwan einen Handelsvertrag abzuschließen, der den englischen Kaufleuten volle Handelsfreiheit und umfassende Privilegien gewährte.

Ab diesem Zeitpunkt entwickelten sich die Beziehungen zwischen England und Russland immer besser und Iwans Vorliebe für England bestimmte jahrelang seine Politik.

 

Verschiedene Privilegien und Vorteile, die den Kaufleuten aus anderen Ländern von Iwan IV. und seinen Nachfolgern gewährt wurden, lockten Ausländer nach Russland. Damit begründete er eine Tradition, die im weiteren Verlauf der russischen Geschichte immer wieder aufgegriffen wurde.

alter englischer Hof
alter englischer Hof

 

Der angewachsene Zustrom europäischer Spezialisten nach Russland führte zur Entstehung von Handelshöfen in Moskau und anderen großen Städten.

Das waren zum Beispiel der Englische Hof für Kaufleute aus Westeuropa, der Panskij Hof für Kaufleute aus Polen und Litauen, der Armenienhof für Kaufleute aus dem Orient.

 

Wodurch aber war das lebhafte Interesse der deutschen Kaufmannschaft für Russland zu erklären?

Siegmund von Herberstein in Moskauer Kleidung
Siegmund von Herberstein
in Moskauer Kleidung

Denkt man daran, dass die Tier- und Pflanzenwelt in West- und Mitteleuropa zu Beginn des 16. Jahrhunderts verarmt war, kann man verstehen, dass die Reisebeschreibungen des Osteuropaexperten Herberstein1 über die Naturreichtümer Russlands ein starkes Interesse bei deutschen Kaufleuten wecken musste. Sie wurden nicht einmal von Herbersteins Berichten über die „grausame Kälte", die in Russland herrschte, abgeschreckt.

So schreibt Herberstein in seiner berühmten 'Moscovia':

 „.......Vor eisiger Kälte bekam der Boden tiefe Risse und wenn man Wasser senkrecht in die Luft spritzt, ja selbst wenn man nur ausspuckt, gefriert die Flüssigkeit ehe sie zur Erde fällt. ........
....... Bären, getrieben von Hunger, verließen Wälder und griffen Dörfer an. Die Bauern mussten in Scharen fliehen und erfroren draußen ........"

orthodoxe Holzkirche in Russland
orthodoxe Holzkirche in Russland

Auch die religiöse Toleranz gegenüber anderen Religionen, die für die russische Lebensweise, eine historisch herausgebildete Menta-lität, insgesamt typisch war, forderte das Interesse deutscher Kaufleute für Russland. Der Mensch wurde nicht nach seiner ethnischen oder konfessionellen Zugehörigkeit eingeschätzt, sondern nach seinen fachlichen und menschlichen Qualitäten.

Aber außer ökonomischen und religösen Faktoren muss es auch einen anderen Grund gegeben haben, der den Handel mit den Russen gefördert hat: einen politischen.

Viele Ausländer, die das Russische Reich im 16. Jahrhundert und den darauf folgenden Jahrhunderten besucht hatten, stellten einen autoritären Charakter einer starken Staatsmacht und eine Stabilität staatlicher Einrichtungen fest. Man erhoffte sich davon eine gewisse Ordnung und eigene Sicherheit in diesem fremden Lande.

Die guten Kontakte zu England motivierten Iwan, sich noch enger an den Westen anzuschließen. Die einzige Möglichkeit dazu sah er darin, bis zur Ostsee vorzudringen.

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Anmerkungen

1 Siegmund Freiherr von Herberstein (* 24. August 1486 in Wippach; † 28. März 1566 in Wien) war ausgezeichneter österreichischer Staatsmann und Geschichtschreiber. Nach seinem Studium der Rechte in Wien wurde Herberstein in der Finanzverwaltung sowie insbesondere im diplomatischen Dienst der Habsburger tätig.Von den Kaisern Maximilian I., Karl V., und Ferdinand I. wurde er zu insgesamt 69 diplomatischen Missionen beauftragt, von denen ihn zwei in den Moskauer Staat zum Großfürsten Wassili III. führten. Seine erste Reise im Jahr 1517 hatte das Ziel, einen Waffenstillstand zwischen Polen-Litauen und dem Moskauer Staat zu vermitteln. Maximilian I. zeigte sich beeindruckt von den Kenntnissen, die Herberstein sich über das Russische Reich verschafft hatte und beauftragte ihn bei einer weiteren Reise im Jahr 1526 Informationen über Moskowien und vor allem über die dortigen religiösen Verhältnisse zu sammeln. Herberstein fand sich nach eigener Aussage im Moskauer Staat gut zurecht, da er slowenisch sprach. Als hochrangiger Diplomat war er beim Sammeln seines Materials in Russland kaum behindert worden.
Als "Osteuropaexperte" publizierte Herberstein 1549 in Wien seine gesammelten Eindrücke in lateinischer Erstausgabe unter dem Titel "Rerum moscoviticarum commentarii", eine Reisebeschreibung, die ihn zum Begründer der Russlandkunde machte. Eine italienische Bearbeitung unter dem Titel Comentari della Moscovia et parimente della Russia et delle altre cose belle et notabile erschien 1550 in Venedig. Herberstein selber schrieb eine erweiterte Ausgabe in deutscher Sprache, die 1557 unter dem Titel Moscovia der Hauptstat in Reissen in Wien erschien. Herbersteins Werk war der erste bedeutende Bericht aus der Feder eines Westeuropäers über das im Abendland seit Generationen nur am Rande zur Kenntnis genommenen Russland. Die von 1238/40 bis 1480 dauernde Mongolenherrschaft hatte den Moskowien aus dem Blickfeld der meisten Mitteleuropäer gerückt.
Neben den detaillierten Schilderungen der Verhältnisse am russischen Hof sind seine Feststellungen über Kulturkontakte zwischen Russland und dem Westen, die zu seiner Zeit besonders mit Italien bestanden und durch das Wirken italienischer Renaissance-Baumeister, die den russischen Kirchenbau geprägt hatten.
Das Werk Herbersteins blieb aktuell und wurde später auch innerhalb Russlands derart geschätzt, dass Katharina II. es 1795 erneut in deutscher Übersetzung drucken ließ.