barabara

Das russische Zarenreich im 16. Jahrhundert unter Iwan IV.

(Teil 3 von 6)

Ermutigt durch den erworbenen Zugang zum Kaspischen Meer, wollte Iwan IV. an der Ostsee einen ähnlichen Erfolg erreichen wie der im Wolgagebiet in den Jahren 1552 und 1556. Davon versprach er sich einen eisfreien Hafen sowie ein “Fenster” für den Warenaustausch.

Brüder der Ritterschaft Christi zu Livland
Brüder der Ritterschaft Christi
zu Livland

Doch der Weg zur Ostsee wurde durch den Deutschen Orden versperrt, der das Küstengebiet zwischen Schweden und Polen besetzt hielt, das damals Livland hieß.

1558 griff Iwan Livland (Livländischer Kriege auch: Erster Nordischer Krieg; 1558-1583) an und erzielte beträchtliche Anfangserfolge: die Städte Narwa und Dorpat wurden durch die Russen eingenommen.

Die Stadt Narva, die im Livländischen Krieg für kurze Zeit an Russland fiel, wurde zu einem Haupthafen an der Ostsee ausgebaut. Iwans Absicht war die russischen Handelsbeziehungen zu Mittel- und Westeuropa auszubauen und warb deshalb weiterhin Techniker, Bergleute, Offiziere, Fachleute und andere Gewerbe in Mittel- und Westeuropa an.

Dorpat (Tartu) im Jahr 1553
Dorpat (Tartu) im Jahr 1553

Eine Gruppe lutherischer Deutscher (damals war es üblich, alle Menschen, die germanischen Ursprung hatten, als Deutsche zu bezeichnen) aus Dorpat wurden gefangen genommen und nach Russland deportiert.

Iwans Absicht war die deutschen Elemente der Gewerbtätigkeit, der Künste und der Industrie hierher, nach Russland, zu verpflanzen und sie als Lehrmeister für sein Volk zu nutzen. Auf diese Weise bekam er Goldschmiede, Maurer, Schneider, Schuster, Gießer, Schieferdecker, Maler, Brauer usw.

Die Mehrzahl der Gefangenen behielt der Zar in seiner Nähe und wies ihnen einen besonderen Platz außerhalb der Grenze der Stadt Moskau an, wo sie sich niederlassen und zusammen leben sollten, die anderen wurden auf verschiedene Provinzstädte (u, a. Vladimir, Niznyj Novgorod und Kazan) verteilt.

Auf diese Weise entstanden die ersten Ausländerviertel, die sogenannten Nemezkaja Sloboda1, deren Bewohner weder in ihrer Religionsübung, noch in ihrem privaten Leben, noch in ihrem materiellen Erwerb gestört und beeinträchtigt wurden.

deutsche Vorstadt
deutsche Vorstadt

Wenn diese Gefangenen ihre Sehnsucht nach der Heimat auch behielten, so zeigten sie sich doch als ordentliche und arbeitsame Leute und unter dem Schutz des Zaren errangen sie durch ihre Geschicklichkeit und ihren Fleiß ein Wohlbefinden und einen gewissen Wohlstand. Nur das an sie geknüpfte Ziel, ihre Fertigkeiten unter den Russen zu verbreiten wurde nicht erreicht. Es zeigte sich, dass das russische Volk abgeneigt war, sich an den Arbeiten der Ausländer ein Beispiel zu nehmen und, dass dem Bemühen, einen inländischen Gewerbstand zu bilden die größten Schwierigkeiten entgegenstanden.

Hierbei zeigte sich, auf welcher Stufe der Entwicklung der Adel und die Geistlichkeit sich befand. Sie waren es, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nichts Neues aufkommen lassen wollten und dem Fremden einen hartnäckigen Widerstand entgegensetzten. Je größer des Herrschers Begünstigung der Ausländer und ihrer Leistungen war, desto entschiedener traten Neid und Hass hervor.

In diesen Vorstädten lebten jedoch, anders als die häufig vorgenommene Übersetzung "deutsche Vorstadt" nahezulegen scheint, keineswegs nur Deutsche, sondern überhaupt alle Westeuropäer, also auch Holländer, Dänen, Franzosen, Engländer, Schotten, Schweden, Spanier, Italiener u. a. Sie alle wurden im Russischen bis etwa zur Mitte des 17. Jahrhunderts als nemcy d. h. als Stumme, des Russischen Unkundige bezeichnet.

Apollinari M. Wasnezow: Moskau
Apollinari M. Wasnezow: Moskau

Die älteste und bedeutendste deutsche Siedlung in Russland bildete sich in der Ausländervorstadt "Deutsche Vorstadt" (Nemezkaja sloboda1) oder aber auch spöttisch Sloboda Kukui2 (слобода Кукуй) genannt, vor den Mauern Moskaus, die schon seit den 1540er Jahren existierte.

Durch die Ansiedlung der Baltendeutschen wurde die deutsche Gemeinde so groß (sie soll 1570 schon 4.000 Einwohner gehabt haben), dass sie 1576 die Erlaubnis zur Einrichtung einer lutheranischen Kirche erhielt, bei der vermutlich auch Schulunterricht stattgefundenen hat.

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Anmerkungen

 1 Nemezkaja sloboda = deutsche Vorstadt; obwohl dort Angehörige der verschiedensten Nationen lebten. Nmezkij kommt von nemoj (stumm); so nannte man alle, die nicht des Russischen mächtig waren, später wurde es vor allem auf Deutsche bezogen. Diese Ausländer genossen russisches Bürgerrecht und unterstanden den allgemeinen Gesetzen, hatten aber einige Sonderrechte, z. B. hinsichtlich der Selbstverwaltung und der Glaubensausübung. Letzteres blieb ihnen auch später erhalten. Im 19. Jahrhundert entstand hier ein Viertel reicher Kaufleute und Fabrikanten.

2 Kuckui hieß die deutsche Vorstadt, die nicht weit von Moskau an dem Fluss Jausa entstanden war. Der Name “Kuckui" stammt von dem Ausruf des Erstaunens ..kuck hie!", das den deutschen Frauen entschlüpfte. wenn sie etwas in Staunen versetzte. ,.Kuck hie" war aber dem russischen Schimpfwort „chuj" (Schwanz) sehr ähnlich und wurde von den Einwohnern der Vorstadt als Beleidigung empfunden. Daraufhin verbot der Zar den Gebrauch dieses Schimpfwortes unter Androhung der Strafe des Auspeitschens und ließ die Vorstadt von da an “Neue Ausländische Vorstadt" nennen.