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Das russische Zarenreich im 16. Jahrhundert unter Iwan IV.

(Teil 2 von 6)

Die ersten Herrscherjahre

Wappen des Zarentums Russland
Wappen des Zarentums Russland

Iwans Herrschaft erwies sich zunächst als vielversprechend.

Als erkannt wurde, dass das Volk in technischen Belangen hinter dem übrigen Europa zurückstand, wurde 1547 der aus Goslar gebürtige Hans Schlitte in deutsche Lande gesandt, um dort Spezialisten für den russischen Dienst anzuwerben.

Das Interessante daran ist, dass dieses Ereignis in eine Zeit fällt als Iwan erst 17 Jahre alt war.

Hatte er selbst die Anweisung gegeben oder waren es die Großen des Reiches, Bojaren und Würdenträger gewesen, die die Reise des Hans Schlitte angeordnet hatten? Dass Iwan die Ansicht der Großen des Reiches teilte, erkennt man aus den Maßregeln der Regierung was die livländischen Kriegsgefangenen anging und aus der Liberalität, mit welcher den englischen Kaufleuten allerlei Rechte und Privilegien bewilligt wurden.

 

Der Werber Hans Schlitte

Schlitte gelang es 123 Personen anzuwerben. Wenn man die Personenliste Schlittes betrachtet, so kann man auf die Art der Bedürfnisse schließen, die man damals in Russland als ausländische Intelligenz, Bildung und Sachkenntnis empfand.

Brunnenmeister
Brunnenmeister

Unter den Angeworbenen befanden sich: 4 Ärzte, 4 Apotheker, eine größere Anzahl Chirurgen und Assistenten, einige Theologen, Rechts-gelehrte und Staatskundige, die die jungen Russen im Lateinischen, in den Kirchen-gebräuchen und guten Sitten unterweisen sollten, Archi-tekten, Zimmerleute und einige zum Bau von Grenzfestungen gegen die Tataren zu brauchende Kriegsbaumeister, Bergwerksverständige, Stein-metzer, Brunnenmeister, Glockengießer, Goldschmiede, Waffenschmiede, Panzermacher, Glaser, Papiermacher, Uhrmacher usw.

Man kann annehmen, dass Schlitte sich bei der Auswahl der Spezialisten an eine Anweisung gehalten hatte und da erscheint die Vielfalt der Bedürfnisse eigentlich als ein wichtiger Teil eines Regierungsprogramms. Wie man aus diesen Tatsachen schließen kann, hatte man in Russland sowohl das Bewusstsein davon, dass man der Ausländer bedürfe, als auch den Wunsch eine ganze Zahl von Industriezweigen und technischen Fertigkeiten zu entwickeln.

Allerdings stieß die Übersiedlung dieser 123 angeworbenen Personen nach Russland auf Schwierigkeiten und nur wenige von ihnen mögen bis nach Russland gelangt sein. Russlands Nachbarn (Polen und Livland), die die Vormachtsstellung an der Ostsee hatten, hielten das Streben des Zarentums nach Machtentwicklung für gefährlich und wussten die Weiterreise der angeworbenen Männer, die sich bereits in Lübeck befanden, zu verhindern.

Der neue Lebensraum der ausländischen Fachkräfte

Moskau

Als Lebensraum wurde den ausländischen Fachkräften, anders als unter Iwan III. wo sie in Moskau unter den Russen lebten, eine besondere Örtlichkeit am anderen Ufer des Flusses Jausa zugewiesen. Da die Mehrheit der Ausländer Deutsche waren wurde die Ausländervorstadt "Deutsche Vorstadt" (Nemezkaja sloboda1) oder aber auch spöttisch Sloboda Kukui2 (слобода Кукуй) genannt. Hier wohnten aber nicht nur Deutsche, sondern überhaupt alle Westeuropäer, also auch Holländer, Dänen, Franzosen, Engländer, Schotten, Schweden, Spanier, Italiener u. a.

mehr zur Deutschen Vorstadt ...... die Deutschen in Moskau

Die Eroberung von Kasan

Kazan
Kazan

Mit Hilfe der ausländischen Spezialisten (Tataren, Tscherkessen, Kosaken, Deutsche3, Italiener und Polen) bildete Iwan ein 7.000 Mann starkes Kriegerkorps und eroberte 1552 das tatarische Khanat Kasan, wo er fast alle Einwohner töten ließ und 1556 das Königreich Astrachan. Somit dehnte er seine Herrschaft an der Wolga entlang bis zum Kaspischen Meer aus, was nicht nur Handel und kulturellen Austausch mit Persien und Zentralasien bedeutete sondern auch ein Ausgangspunkt für den Vorstoß nach Sibirien. Zum ersten Mal war der Zar Herrscher über zahlreiche Muslime, denen er Religionsfreiheit einräumte.

Die ausländischen Soldaten hatten mit den Siegen über die Tataren ein besonderes Vertrauen und die Gunst des Zaren erworben.

So berichtet der schwedische Diplomat Peer Peersson (Pseudonym Petrus Petrejus *1580 in Uppsala - †1646 in Stockholm) in seinen Historien und Bericht von dem Grossfürstenthumb Muschkow :

wie der Zar diese ausländischen Truppen, insbesondere die Deutschen, sehr liebte, vertraute er ihnen Schlösser und Festungen an und beschenkte sie reichlich, selbst mit Landgütern. Solches verdross aber die Russen sehr und sie beklagten sich darüber. Indessen erhielten sie zur Antwort: „es wäre recht so, denn jene wären muthig und beherzt und stritten ritterlich wider die Feinde".

Diese Siege, die die russische Ostexpansion einleiteten, waren die einzigen militärischen Erfolge der fast vier Jahrzehnte dauernden Herrschaft Iwans. Mit diesen Eroberungen schien es endgültig gelungen zu sein, Russland vom "Joch der Tataren" befreit zu haben. Russland wurde zu einem multinationalen und multikonfessionellen Land.

Russland von 1533-1556
Russland von 1533-1556

Als Iwan nach der gewonnenen Schlacht in Moskau wie ein gottähnlicher Friedensfürst einzog, war sein Volk begeistert. Iwans Siege über die Tataren machten ihn bei seinem Volk sehr beliebt und selbst seine späteren Grausamkeiten konnten dieser Einstellung kaum etwas anhaben.

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Anmerkungen

1 Nemezkaja sloboda = deutsche Vorstadt; obwohl dort Angehörige der verschiedensten Nationen lebten. Nmezkij kommt von nemoj (stumm); so nannte man alle, die nicht des Russischen mächtig waren, später wurde es vor allem auf Deutsche bezogen. Diese Ausländer genossen russisches Bürgerrecht und unterstanden den allgemeinen Gesetzen, hatten aber einige Sonderrechte, z. B. hinsichtlich der Selbstverwaltung und der Glaubensausübung. Letzteres blieb ihnen auch später erhalten. Im 19. Jahrhundert entstand hier ein Viertel reicher Kaufleute und Fabrikanten.

2 Kuckui hieß die deutsche Vorstadt, die nicht weit von Moskau an dem Fluss Jausa entstanden war. Der Name “Kuckui" stammt von dem Ausruf des Erstaunens ..kuck hie!", das den deutschen Frauen entschlüpfte. wenn sie etwas in Staunen versetzte. ,.Kuck hie" war aber dem russischen Schimpfwort „chuj" (Schwanz) sehr ähnlich und wurde von den Einwohnern der Vorstadt als Beleidigung empfunden. Daraufhin verbot der Zar den Gebrauch dieses Schimpfwortes unter Androhung der Strafe des Auspeitschens und ließ die Vorstadt von da an “Neue Ausländische Vorstadt" nennen.

3 Auch wenn in diesem historischen Zusammenhang von „Deutschen“ gesprochen wird, muss diese Bezeichnung im mittelalterlichen Sinn verstanden werden, so dass heute die Mehrheit dieser Spezialisten nicht mehr als „Deutsche“ gelten würden, sondern als Österreicher, Holländer und Flamen, die in der Neuzeit eigenständige Nationalstaaten gebildet haben und heute nur noch sehr bedingt als Deutsche bezeichnet würden.