Die Deutsche Ostsiedlung
(Teil 5 von 9)
18. Jahrhundert
Unter Friedrich dem Großen wurden Schlesien1 und die Neumark2 in der preußischen Provinz Brandenburg besiedelt. Verheerende Überschwemmungen waren der Anlass die in der Neumark gelegenen sumpfigen Warthe-3, Oder- und Netzebrüche4 urbar zu machen und planmäßig zu besiedeln.
Oder-, Warthe-, Netzebruch
Friedrich der Große
Friedrich der Große wollte durch das Trockenlegen der Brüche nicht nur neues Land gewinnen, sondern wollte das durch ständige Kriege ausgeblutete Brandenburg mit Kolonisten aus aller Herren Länder bevölkern.
Schon 1740 konstatierte Friedrich seine merkantilistische Idee:
Darüber gibt’s nur eine Meinung, dass die Stärke eines Staates nicht in der Ausdehnung seiner Grenzen, sondern in seiner Einwohnerzahl beruht. ... Darum liegt es im Interesse eines Herrschers, die Bevölkerungszahl zu heben.
Für die Aufgabe ihrer Heimat erhielten die neuen Kolonisten freie Religionsausübung, Freiheit von der Leibeigenschaft und die Befreiung vom Militärdienst für sich selbst, ihre Kinder und Kindeskinder.
Das Oderbruch wurde in den Jahren 1747 bis 1753 trockengelegt.
Friedrich der Große auf einer Besichtigungsreise
Bruchlandschaft
Überschwemmungen und Sumpf-fieber, aber auch Widerstände der Einheimischen, die mit Waffengewalt bezwungen wurden, behinderten immer wieder die Arbeiten. Ca. 1.300 neue Kolonisten kamen in den Bruch und wurden bis 1761 in 33 neu gegründeten Dörfern angesiedelt. Die Siedler kamen aus Pommern, Sachsen, Schwaben, Franken, dem Vogtland, aus Polen und Böhmen und aus der gesamten Mark.
Überschwemmung
Das Netzebruch war vor dem 18. Jahrhundert kaum besiedelt. Die verheerenden Über-schwemmungen im Warthe-bruch von 1736 waren Anlass zur Einsetzung einer Trocken-legungskommission, die 1738 mit ihrer Arbeit begann und die Besiedlung des Netze-bruches mit 82 Familien vorsah.
Die beginnenden Arbeiten wurden allerdings durch den Siebenjährigen Krieg (1756–1763) verhindert. Erst 1763 erfolgte die Vermessung des Netzebruches und im Juni wurde mit der Trockenlegung begonnen, die 1769 beendet war. Die Mehrzahl der Neusiedler waren deutschsprachige Einwanderer aus Polen, deren Anzahl fast zwei Drittel betrug. Ein weiteres Zehntel waren Sachsen.
Das Warthebruch wurde von 1775-1785 trockengelegt und mit neuen Siedlern gezielt außerhalb von Preußen mit Vergünstigungen angeworben. Sie kamen aus Hessen-Darmstadt, Mecklenburg, Pfalz-Zweibrücken, Sachsen und Württemberg, aber auch aus Niederösterreich und aus dem Schweizer Kanton Neuenburg. Bis 1785 wurden 95 Kolonien gegründet.
Bis 1786 machten 300.000 Kolonisten in 300 Kolonien das trockengelegte Oder-, Warthe und Netzebruch zu ihrer neuen Heimat.
1 Schlesien wurde
vor 2.000 Jahren von Silingern, Wandalen, Lugiern und anderen germanischen
Völkern besiedelt. Nach dem Abzug der Silinger im Zuge der Völkerwanderung
erfolgte um das Jahr 500 eine Besiedelung durch slawische Völker. Im
9. Jahrhundert gelangte Schlesien unter die Herrschaft der Böhmen und
ab dem 10. Jahrhundert war es Bestandteil des polnischen Staates. Unter
dem Schutz des Kaisers Friedrich I. Barbarossa (als Friedrich III. auch
Herzog von Schwaben)
begann im 12. Jahrhundert eine zunehmende Germanisierung Schlesiens,
ohne die Region aus dem polnischen Staatsverband zu lösen.
1327 verloren die Piasten den Bezug zu ihrer polnischen Stammheimat und
unterstellten sich der Lehenshoheit der böhmischen
Könige. Schlesien verstärkte immer mehr seine Anbindung an den
Westen. Die böhmische Herrschaft ging 200 Jahre später auf das
Haus Habsburg über und von 1526 bis 1742 gehörte Schlesien zu Österreich.
Nach dem 1. Schlesischen Krieg fielen 1742 Niederschlesien, ein großer
Teil von Oberschlesien und die Grafschaft Glatz an Preußen. Der südliche
Teil Oberschlesiens blieb habsburgisch und bildete bis 1918 als Herzogtum
das Kronland Österreichisch-Schlesien.
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert lebten in Schlesien 3,5 Millionen Deutsche
und eine Million Polen. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg kam
es im Zuge der europäischen Neuordnung zur Neugründung der Staaten
Polen und Tschechoslowakei. Schlesien wurde in zwei Provinzen aufgeteilt: Oberschlesien
und Niederschlesien.
Der Vertrag von Versailles (1919) schrieb eine Volksabstimmung über den östlichen
Teil Oberschlesiens vor. Obwohl 1921 bei der Volksabstimmung 60% für den
Verbleib bei Deutschland stimmten, sprach der Oberste Rat der Alliierten, der
seit 1920 das Gebiet besetzt hatten die Gebiete Polen zu. Österreichisch-Schlesien
kam nach dem Ersten Weltkrieg zur Tschechoslowakei und gehört heute zu Tschechien
.
Nach dem deutschen Angriff auf Polen 1939 wurde Ostoberschlesien an das Deutsche
Reich angeschlossen.
Am 19. Januar 1945 fiel Oberschlesien in sowjetische Hände. Die Rote Armee überrollte
Niederschlesien und umzingelte bald die Stadt Breslau. Aus Furcht vor der heranrückenden
Roten Armee verließen die Schlesier zu Hunderttausenden in schlecht gerüsteten
Flüchtlingstrecks ihre Heimat. Schlesien fiel unter russische Besatzung,
wurde schließlich vom Deutschen Reich abgetrennt und Polen zugesprochen.
Zwischen 1945 und 1947 wurde der größte Teil der verbliebenen deutschsprachigen
Bevölkerung systematisch vertrieben.
Aufgrund des Potsdamer Abkommens (1945) kam fast ganz Schlesien an Polen; ein
kleines Gebiet westlich der Lausitzer Neiße / Nysa Łużycka gehört
heute zu Sachsen.
Nach Flucht und Vertreibung von rund 3 Millionen Deutschen wurden in Schlesien
insbesondere Bewohner aus den von der Sowjetunion besetzten ostpolnischen Gebieten
angesiedelt. Viele in Polen zurückgebliebene Deutsche siedelten insbesondere
nach 1970 (Warschauer Vertrag) in die Bundesrepublik aus. 1990 wurde durch den
Zwei-plus-Vier-Vertrag die deutsch-polnische Grenze endgültig anerkannt.
2 Neumark = historische Landschaft östlich der Oder und nördlich der unteren Warthe, das heute zu Polen U(Woiwodschaft Lebus) gehört.
3 Warthebruch= Niederung an der unteren Warthe (rechter Nebenfluss der Oder in Polen) zwischen Netzemündung und Kostrzyn;